Autor Thema: Tramwayhochzeit  (Gelesen 2179 mal)

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benkda01

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Tramwayhochzeit
« am: 29. Mai 2016, 16:43:27 »
Ich habe vor ein paar Tagen zuhause zufällig ein altes Taschenbuch in Frakturschrift mit humoristischen Kurztexten über "den Wiener" gefunden.

Einer dieser Texte trägt den Titel "Tramwayhochzeit" – da er ganz lustig ist, habe ich ihn 1:1 hierher abgeschrieben (ich empfehle, das Browserfenster zu verschmälern, damit der Text nicht allzu mühsam zu lesen ist):



Tramwayhochzeit

Jeder kennt ihn. Es müßte denn ſein, daß irgendwer in Wien noch niemals über die Aſpernbrücke gefahren wäre. Ich ſehe ab von Kindern und Dienstmägden, die ſich auf der Fahrt nach dem Prater befinden und deren ganzes Intereſſe die auf den Brückenköpfen ruhenden Löwen verſchlingen. Aber ſonſt kann niemandem das alte Männlein entgangen ſein, das vor einer Bretterhütte neben den Tramwaygleiſen ſitzt und mittels einer Stange die Wechſel verſchiebt, über welche die Tramwaywagen nach den verſchiedenen Richtungen verkehren. Es iſt ein hübſcher alter Mann mit einem feinen Geſichte; der Teint hofratsmäßig vergilbt, das weiße Haar gelockt, die Augen von jener abgeklärten Fröhlichkeit, welche das Alter verleiht. Zu jeder Stunde des Tages kann man ihn auf dem Bänkchen ſehen, von dem aus er die Geſchicke der Tramwaywagen lenkt mit nie fehlender Hand. Er kennt alle Kutſcher und Kondukteure, da ſie doch tauſendmal an ihm vorbeigefahren; und ſtets nickt er ihnen freundlich zu. Er kennt auch die Geſpanne und hat ſeine Lieblinge unter den Pferden, namentlich unter den prächtigen Tieren, welche einſpännig die kleinen hübſchen Wagen ziehen. Paſſiert ein ſolches, ſo ſtößt er das eigentümliche Zungenſchnalzen aus, mit dem in Wien die Pferde angefeuert werden, und es freut ihn ſichtlich, wenn das Roß darnach den Kopf in die Höhe wirft und mit neuer Wucht an den Strängen zieht.

So belebt der Platz auch iſt, ſo kommt der alte Wechſelſchieber doch ſelten in die Lage, ein Geſpräch zu pflegen. Faſt ohne Pauſe raſſeln die Wagen heran, für die er, je nach den Farben ihrer Stirnſcheiben oder Lampen den Wechſel ſtellen muß. Wehe, wenn er einmal zerſtreut wäre und den Wechſel falſch richtete! Es würde das beiſpiellose Unglück eintreten, daße ein Quaiwagen auf das Ringgeleiſe rollte oder umgekehrt, für welche Kataſtrophe er ohne Erbarmen mit einer Geldſtrafe von zehn Kreuzern belegt werden würde. Quai und Ring, das iſt ſeine Welt, das heißt, nur jene Teile von Quai und Ring, welche in den Kreuzungspunkt vor der Aſpernbrücke münden. Ich möchte bezweifeln, ob der alte Mann in ſeinem Leben je Zeit gefunden, den ganzen Ring und den ganzen Quai zu ſehen. Vielleicht kennt er dieſe Stadtteile nur vom Hörenſagen, hat jene traumhafte, nie zutreffende Vorſtellung von ihnen, wie wir ſie uns von Städten und Ländern bilden, die uns ferne ſind, und vielleicht beneidet er die zahlloſen Menſchen, die täglich an ihm vorbei in jene als ſo wunderſchön ausgeſchrieenen Stadtgegenden fahren, welche er ihnen durch ſeine Wechſelſtellung erſchließt, aber aus perſönlicher Anſchauung nicht kennt.
Indes, nein, ich glaube, er beneidet niemanden. So oft ich auch an ſeinem Häuschen vorbeigefahren bin, nie habe ich auf dem Geſichte des guten alten Menſchen Verdruß, Unzufriedenheit oder Langeweile erblicken können. Ihm iſt's recht, daß das Leben keine andere Frage an ihn ſtellt, als: Quai oder Ring? Er fühlt ſich glücklich in ſeinem beſchränkten Wirkungskreiſe und es würde ihm den Reſt ſeiner Tage vermutlich bloß das eine verbittern können: wenn nämlich durch ſeinen Hakenſtab noch eine dritte Linie zu eröffnen wäre oder noch gar eine vierte. Ein derartiger Knotenpunkt kann nur durch übermäßige Anſtrengung des Geiſtes ohne Unfall überwacht werden. Der lange, hagere, ſonngebräunte Wechſelwärter auf dem Knotenpunkte Schottenring ſitzt oft tiefſinnig auf ſeiner improviſierten Bank unter der Gaslaterne. Er hat im Gegenſatze zu ſeinem Kollegen von der Aſpernbrücke die ganze Welt aufzuſchließen. Seine Hand eröffnet der reiſenden Menſchheit die Landſtraße, Dornbach, Döbling u. ſ. w. und er iſt ſich der Verantwortlichkeit ſeiner Stellung ebenſo wohl bewußt wie der Expeditor, welcher infolge des unabläſſigen Pfeifens, womit er die Abfahrten der Wagen regelt, ſich allmählich einen läſtigen Backenkrampf eingewirtſchaftet zu haben ſcheint, aber trotzdem fortpfeifen muß bis an ſein Lebensende.

Und doch ſind der weiße und der braune Wechſelwärter, der ewig pfeifende Expeditor und ſelbſt der von Wagen zu Wagen hüpfende Kontrolleur noch in angenehmen Stellungen bei der Tramway gegenüber dem — Kondukteur, deſſen Lebensweg ſich beiſpielsweise zwiſchen Dornbach und Praterſtern hin= und herbewegt. Wer es weiß, daß dieſen armen Leuten kaum die notwendige Schlafenszeit gegönnt iſt und daß ſie an den wenig freien Tagen gewöhnlich noch Straftouren machen, der wird weit eher erſtaunt ſein, einen heiteren, höflichen Kondukteur anzutreffen, als einen grämlichen, groben. Eine beiſpielloſe Zucht ſeitens der Geſellſchaft aber hat es dahin gebracht, daß ſelbſt die mürriſcheſten Kondukteure einen Schein von Höflichkeit um ſich verbreiten; ſie gleichen den bedauernswerten Bären, die brummend tanzen, weil es der Herr ſo will.

Wann dieſe geplackten Menſchen ihren Privatangelegenheiten obliegen, weiß der Himmel. Ich habe auch nie begriffen, wie einer von ihnen zu einem Weibe gekommen iſt. Erſt als ich einmal beobachtete, wie der Kondukteur des Wagens, auf dem ich fuhr, einer Küchenſchönen in den Pauſen ſeiner Berufsthätigkeit angelegentlichſt den Hof machte, bildete ich mir eine beiläufige Vorſtellung von der Art der Brautwerbung und Eheſchließung eines Tramwaykondukteurs.

Die Bekannſchaft wird alſo auf dem Wagen gemacht. Der Kondukteur giebt der Hoffnung Ausdruck, er werde die Schöne am nächſten Tage gelegentlich der zehnten Tour durch dieſelbe Straße wiederfinden. Das Stelldichein wird für die Haltestelle dort und dort verabredet. Das Mädchen erſcheint, der Wagen iſt übervoll; auf dem Trittbrette — weiter hinauf kann ſie nicht — geſteht ſie dem troſtloſen Kondukteur, daß er einen angenehmen Eindruck auf ſie gemacht habe. Zu der Endſtation findet er einige Minuten Zeit, um ihr zu ſagen, daß ſein Lebenslauf ein ſehr einförmiger und einſamer geweſen: Dornbach=Praterſtern. Ob ſie ſeine Lebensgefährtin ſein wolle für täglich fünf bis ſieben Stunden? Sie verlangt eine Bedenkzeit. Am nächſten Tage, wieder auf der Tour, giebt ſie ihm ihr Jawort. Er möchte ſie dafür umarmen, aber im Waggon ſchickt ſich das nicht, weshalb er bloß darauf Bezug habende Verſprechungen leiſten kann.

Sie beſorgt nun alle zur Hochzeit nötigen Schritte, mietet eine Wohnung, beſtellt die Ringe und erſtattet ihm täglich während der ſo und ſo vielten Tour Rapport. Am Trauungstage kleidet er ſich in die neue Uniform. Die Sache iſt ausgezeichnet verabredet. Die Braut wartet ſeiner in der Kirche nächſt dem Praterſtern. Er ſieht ſie bereits im Vorbeifahren und wirft ihr einen Kuß zu. Auf dem Praterſtern angelangt, läßt er ſich raſch den Stundenpaß ausfüllen und rennt dann in die Kirche,  nachdem er dem Kutſcher noch geſagt hat: "Franzl, ſei ſo gut, fahr' langſam bei der Kirch'n und pfeif', ich ſteig' dort erſt auf."
Die Trauung beginnt.

"Sind Sie geſonnen &c.," fragt der Prieſter.
"Um Gottes willen, ja!" rufen die Brautleute aus einem Munde, denn der Franzl klingelt ſchon vorüber und pfeift.
Sie ſtürzen hinaus, der neuvermählte Kondukteur hilft ſeiner jungen Frau beim Aufſteigen und giebt ihr ſofort das Hochzeitsgeſchenk, eine Fahrkarte, wie jedem anderen Paſſagier. Die Hochzeitsreiſe geht bis zu den Remiſen in Hernals, in deren Nähe ſich die Wohnung des jungen Ehepaares befindet.
"Pfirt di' Gott, Toni; wann kommſt denn?"
"Leb' wohl, Marie; na, um eins in der Nacht kommt ich, ich fahr' g'rad heut' mit der blauen Latern'" (mit dem letzten Wagen).

Übers Jahr, vielleicht um dieſelbe ſpäte Nachtſtunde, erfährt er beim Heimkommen, daß er Vater geworden, und wenn gerade Winter iſt, ſieht er den Neugeborenen wochenlang nicht bei Tageslicht, da er ja morgens zeitig aus dem Hauſe muß. So fährt er Jahr für Jahr zwiſchen Dornbach und Praterſtern, der Tramway=Siſyphus, hin und her, ohne Raſt, ohne Ziel. Die einzige andere Strecke, die er vielleicht noch einmal befahren wird, iſt ihm bei Lebzeiten zu ſchauen nicht vergönnt. Sie führt zum Zentralfriedhof; wenn er dieſe "Tour" macht, iſt er bereits tot.
Ich glaube nicht, daß die Wirklichkeit ſtark abweichen wird von dieſem ausgedachten Bild einer Tramwayhochzeit. Es iſt ein Jammer, die Rackerei dieſer armen Teufel mitanſehen zu müſſen. Und die ſind keine Socialiſten, oder höchſtens ganz inwendig, daß niemand was weiß. Meiner Seel', ich möchte nicht Tramwayaktionär ſein; mich würden die zwanzig Kreuzer Zinſenplus, die mit ſolcher Ausnützung von Menſchenkräften verdient werden, in der Taſche brennen.

Tramwayhüttl

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Re: Tramwayhochzeit
« Antwort #1 am: 10. Juni 2016, 16:11:51 »
Wie bitte kommt man /kommst Du zu einem langen S ?!
Bitte seien Sie achtsam! Zwischen Ihren Ohren befindet sich nichts als Luft.

diogenes

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Re: Tramwayhochzeit
« Antwort #2 am: 10. Juni 2016, 16:19:32 »
Auf meinem Linux geht's mit AltGr+s.
Ceterum censeo in Vindobona ferrivias stratarias ampliores esse.
Oh 8er, mein 8er!