Wien bekommt eine neue Straßenbahn, den sogenannten "Flexity Wien" aus dem Bombardier-Werk in Wien-Donaustadt. Die ersten beiden Fahrzeuge wurden im vergangenen Jahr fertiggestellt. Während der erste Flexity-Wagen bereits an die Wiener Linien übergeben wurde und schon fleißig Testfahrten am Straßenbahnnetz absolviert, kam die zweite Garnitur zunächst in den Nachbarbezirk Floridsdorf, um im Klima-Wind-Kanal von Rail Tec Arsenal auf Herz und Nieren geprüft zu werden. Schließlich müssen Straßenbahnen bei jedem Wetter fahren - und das kann in Wien sowohl +40 als auch -20 Grad Celsius betragen. Im Klima-Wind-Kanal können alle Wetterbedingungen auf Knopfdruck simuliert werden, mit präzisen Messgeräten werden die Daten erfasst und können so in die weitere Konstruktion des Fahrzeugs einfließen.
Schon bei den ersten Testläufen zeigte sich, dass die neue Straßenbahn für Wien offensichtlich einen schwerwiegenden konstruktiven Mangel aufweist: Während simulierte Außentemperaturen in beliebiger Höhe und Tiefe dem Wagen prinzipiell nichts anhaben konnten, steckt der Teufel jedoch im Detail, konkreter: im Temperaturunterschied zwischen Wageninnerem und Außenwelt. Denn kaum arbeitete die Klimaanlage des Zuges gegen tropisches Wetter oder setzte sich die Heizung des Zuges in Gang, um arktischem Wetter entgegenzuwirken, begannen die Scheiben des Zuges zu zerplatzen (siehe Bild links). Die Techniker von Bombardier stehen bislang vor einem Rätsel. Noch ist nicht geklärt, ob dieses Dilemma eventuell daher rührt, dass die Fensterscheiben nicht mehr wie früher in den stählernen Wagenkasten eingeklebt sind, sondern mittels Gummiwülsten eingerahmt und quasi in das Gerippe eingeklemmt werden.
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Der kanadische Waggonbaukonzern ließ in einer ersten Stellungnahme verlauten, man werde sich des Problems akribisch genau annehmen, es sei jedoch zu befürchten, dass der Flexity Wien im schlimmsten Fall einer kompletten Neukonstruktion unterzogen werden muss, was die Auslieferungspläne um 18 bis 24 Monate nach hinten verschieben würde. Die ersten Serienfahrzeuge würden dann vermutlich erst 2020 oder 2021 an die Wiener Linien übergeben werden können.
Die Verantwortlichen der Wiener Linien erklärten hingegen auf Anfrage, dass man sich bereits Alternativen überlegt habe, um die Auslieferung der Flexity-Serie dennoch programmgemäß beginnen zu können: "Unsere Altfahrzeuge werden laufend ausgemustert. Wenn der Flexity zu spät kommt, entstehen Lücken, die sich nicht schließen lassen - die altehrwürdigen 'Emils' halten einfach nicht mehr länger." Mit "Emil" sind übrigens die alten, rot-weißen Straßenbahnen des Typs "E1" gemeint, die mit einem stolzen Alter von 40-45 Jahren immer noch auf einigen wenigen Linien täglich unterwegs sind. "Da die Schwierigkeiten ausschließlich auftreten, wenn die Fahrzeuge heizen oder kühlen, können wir das Problem einfach in den Griff bekommen, indem wir Heizung und Klimaanlage im Fahrgastraum deaktivieren oder die Fahrzeuge gleich ohne diese Luxuseinrichtungen bestellen", erklärte der Betriebsleiter der Hauptwerkstätte der Wiener Linien.
Diesem Argument pflichtete auch der Fahrgastbeirat der Wiener Linien bei: "Für uns hat es oberste Priorität, dass die neuen Flexity-Straßenbahnen rasch ausgeliefert werden und die alten Stufenmodelle ersetzen. Ob Heizung oder Klimaanlage eingebaut sind, ist sekundär - die Räder müssen rollen." Außerdem, so der Fahrgastbeirat, seien die Wiener Fahrgäste von der ersten Niederflurstraßenbahn ULF schon gewohnt, dass er im Winter kaum geheizt sei und die Hälfte aller ULF-Straßenbahnen habe sowieso keine Klimaanlage, somit könne deren Nichteinbau im Flexity kein Problem darstellen. "Klimaanlagen sind klimaschädlich, denn sie sorgen für erhöhten Stromverbrauch und somit unnötigen CO2-Ausstoß. Bei einem umweltfreundlichen Verkehrsmittel wie der Straßenbahn ein absolutes No-Go", mahnte der Vorsitzende des Fahrgastbeirats, der bekannte Verkehrsplaner Univ.Prof. Hermann Knoflacher.
Wie aus internen Unternehmenskreisen zu hören ist, wurde der Ausbau von Heizung und Klimaanlage aus den beiden Flexity-Prototypen bereits begonnen. Die Windkanal-Tests werden danach fortgesetzt.