Autor Thema: [DE] "Stadtbahn" Hamburg tot – und zwar schon vor Baubeginn  (Gelesen 4876 mal)

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T1

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Mit dem Wahlsieg der SPD in Hamburg vor knapp 2 Wochen starb die Stadtbahn Hamburg (welche übrigens eine echte Straßenbahn hätte werden sollen). In einem politischen Chaos mit dauernden Umkehrschüben hat es sie in der Luft zerfetzt, nachdem sich vor dem Wahlkampf sowohl SPD als auch die CDU endgültig distanziert haben, obwohl sie einerseits von der SPD vor Jahren gefordert wurde als auch von der CDU in Koalition mit der GAL beschlossen wurde.

Einen passenden Artikel habe ich auf www.nahverkehrhamburg.de gefunden:

Hamburg-Wahl: SPD regiert – Stadtbahn verliert

Nach ihrem fulminanten Wahlsieg wird die Hamburger SPD die seit Jahrzehnten diskutierte Stadtbahn - mal wieder - aufs Abstellgleis schieben. Im Grunde entsorgt sie damit aber nur einen bereits klinisch toten Patienten. Die wirklichen Totengräber sitzen woanders – bei den Grünen.

Die Stadtbahn – das ungeliebte Kind in Hamburg. Nach jahrzehntelangem Streit um deren Wiedereinführung ist es in diesen Tagen mal wieder soweit: Das Projekt wird kurz vor Realisierung ausgebremst. Planungen im zweistelligen Millionenbereich landen im Aktenschredder oder bestenfalls in geräumigen Amtsstuben-Schubladen.

Dabei war das Projekt doch diesmal so weit fortgeschritten wie noch nie: Das Planfeststellungsverfahren für den ersten Bauabschnitt läuft. Die nötigen Fördergelder sind beim Bund beantragt und die Bauindustrie wartet bereits auf die ersten Aufträge.
Warum schlägt die SPD dies alles in den Wind? Wieso führt sie die Planungen nicht einfach weiter – immerhin hatte sie vor drei Jahren noch selbst für die Stadtbahn gekämpft.

Die Antwort ist einfach: Patient "Stadtbahn" ist eigentlich schon seit Monaten klinisch tot. Gestorben an mangelnder Liebe. Ausgeblutet durch unterlassener Hilfeleistung der grünen Mutter.

Noch vor drei Jahren hatte die Beziehung zwischen der GAL und ihrem "Lieblingskind" so glücklich begonnen. Als Quantensprung im Öffentlichen Nahverkehr feierten die Grünen ihr Bestehen auf die Stadtbahn im schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Endlich werde man die längst überfälligen Schienenanbindungen für Bramfeld, Steilshoop und Osdorf anpacken.
Doch schon in den ersten Wochen nach der Wahl 2008 folgte die erste Ernüchterung. Angepackt wurde nämlich zuerst nur bei den beiden Problemkindern "Moorburg" und "Schulreform". Sie waren wichtiger und verlangen die volle Konzentration der Grünen. Für die Stadtbahn blieben keine Kapazitäten.

So verfloss wichtige Zeit. Knapp zwei Jahre köchelte das Thema auf grüner Sparflamme. Hin- und wieder wurden der Öffentlichkeit zwar verschiedene Trassenentwürfe präsentiert – allerdings ähnlich begeisternd und mitreißend, wie eine Uni-Vorlesung zum Steuerrecht.
Ambitionierte Visionen? Kreative Öffentlichkeitsarbeit? Workshops mit Anwohnern? Fehlanzeige!

Stattdessen wurden die Hamburger vor vollendete Tatsachen gestellt. Es gab weder eine ergebnisoffene und transparente Abwägung von Alternativen (ist eine Stadtbahn auf der gewünschten Strecke wirklich das beste Verkehrsmittel?) noch eine ernsthafte Bürgerbeteiligung am Trassenverlauf.
Keine feine Art von einer Partei, die zeitgleich in Stuttgart Massenaufstände gegen die dortige Tieferlegung des Hautbahnhofes organisierte und mit einem beispiellosen Erfolg mehr Bürgerbeteiligung bei Großprojekten einforderte.

Mit diesem Vorgehen haben die Grünen die bis dahin kerngesunde Stadtbahn ernsthaft ins Straucheln gebracht. Noch war aber nichts verloren. Mit einer professionellen Marketingkampagne, einer großen Portion Leidenschaft und nachträglicher Einbindung der Bürger hätte man das Ruder noch rumreißen und die beeindruckenden Vorteile einer Stadtbahn unter das Volk bringen können. Die GAL entschied sich für das Gegenteil und versuchte, das Thema unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle zu halten – was zunehmend misslang.

Die Lokalpresse zerrte die Stadtbahn immer wieder ins Rampenlicht und zerriss sie förmlich. Weder die GAL noch die grüne Stadtentwicklungsbehörde kamen dem inzwischen am Boden liegenden Kind ernsthaft zur Hilfe. Die "Stadtbahn-Partei" überließ die Meinungshoheit über das Projekt kampflos den Medien.
Selbst die Hamburger Hochbahn, die die Stadtbahnplanungen inzwischen übernommen hatte, konnte nicht mehr viel retten. Als städtisches Unternehmen musste sie die Vorgaben der Stadtentwickungsbehörde umsetzen – im "von oben" verordneten Bummeltempo. Die entnervten öffentlichen Rufe von Hochbahnchef Elste nach einem höheren Planungstempo verhallten bei der GAL offenbar ungehört – genauso wie die Leidenschaft, mit der Elste das Projekt in der Öffentlichkeit immer wieder verteidigte.

So schleppten die Grünen "ihre" Stadtbahn lustlos bis in den Sommer vergangenen Jahres. Erst nach dem Scheitern der Schulreform und der grünen Erkenntnis, dass man eigentlich nur noch die Stadtbahn auf der politischen Agenda habe, besann man sich auf das einstige "Lieblingskind".
Auf einmal kam Fahrt in die Sache. In einem beeindruckenden Tempo wurden das Planfeststellungsverfahren für den ersten Bauabschnitt in Angriff genommen und Pläne für weitere Strecken geschmiedet.
Das Problem: Die Grünen sprangen plötzlich mit einem Thema aus den Büschen, das in den Vormonaten (durchaus bewusst) kaum öffentliche Beachtung fand und durch mangelndes Marketing in der Bevölkerung eher negativ besetzt war. Der somit völlig überraschende und unvorbereitete Stadtbahn-Sprint löste in der Bevölkerung einen unvermeidlichen – und durchaus vorhersehbaren - Reflex aus: Man fühlte sich überrumpelt, "Die da oben machen doch eh, was sie wollen", und "Uns fragt ja keiner".

Die nun folgenden hilflosen Anwohner-Diskussionen und die Ankündigung von "Bürgerforen" kamen viel zu spät. Das Kind "Stadtbahn" lag schon längst auf dem Sterbebett.

So kam es im letzten Dezember zu der paradoxen Situation, dass das Projekt Stadtbahn mit Beginn des Planfeststellungsverfahrens so weit wie noch nie und gleichzeitig so tot wie noch nie war.

Schade. Die Grünen haben das durchaus sinnvolle und für viele Stadtteile bitternötige Verkehrsprojekt durch hausgemachte Fehler regelrecht verbrannt. Keine andere Partei wird sich an den Überresten noch die Finger verbrennen wollen.


Das Projekt war wie oben geschrieben schon sehr weit fortgeschritten. Auf www.strassenbahn-hamburg.de findet man Computersimulationen, auf der Hochbahn-Seite findet man alle Planfeststellungsunterlagen.

Wir können nur hoffen, dass es bei uns nicht irgendwann ähnlich so endet – ich könnte mir gut vorstellen, dass so eine Situation beim 13er genauso passieren könnte. Auch wenn der Ausgang der nächsten Gemeinderatswahlen nicht so drastisch ausfallen wird wie in Hamburg, man kann ja nie wissen, wie schnell sich der Wind dreht... :-\

13er

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Re: [DE] "Stadtbahn" Hamburg tot – und zwar schon vor Baubeginn
« Antwort #1 am: 03. März 2011, 01:37:46 »
Ja, hoffentlich keinerlei Vorbild für Wien in irgendeiner Weise!  :down:
Mit uns kommst du sicher... zu spät.

N1

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Re: [DE] "Stadtbahn" Hamburg tot – und zwar schon vor Baubeginn
« Antwort #2 am: 03. März 2011, 08:30:06 »
Einen passenden Artikel habe ich auf www.nahverkehrhamburg.de gefunden:

Hamburg-Wahl: SPD regiert – Stadtbahn verliert

Nach ihrem fulminanten Wahlsieg wird die Hamburger SPD die seit Jahrzehnten diskutierte Stadtbahn - mal wieder - aufs Abstellgleis schieben. Im Grunde entsorgt sie damit aber nur einen bereits klinisch toten Patienten. Die wirklichen Totengräber sitzen woanders – bei den Grünen.

[...]
Doch schon in den ersten Wochen nach der Wahl 2008 folgte die erste Ernüchterung. Angepackt wurde nämlich zuerst nur bei den beiden Problemkindern "Moorburg" und "Schulreform". Sie waren wichtiger und verlangen die volle Konzentration der Grünen. Für die Stadtbahn blieben keine Kapazitäten.
Es ist nicht nur so, dass, wie der Autor weiter unten erwähnt, die Schulreform gescheitert ist (sie wurde in einem Referendum abgelehnt), vielmehr wird das Kohlekraftwerk Moorburg auch noch gebaut. In dem Sinne ist es auch schon wurscht, dass die dortigen Grünen nicht ihre "volle Konzentration" auch auf die Stadtbahn gelenkt haben. ::)

Zitat
Wir können nur hoffen, dass es bei uns nicht irgendwann ähnlich so endet – ich könnte mir gut vorstellen, dass so eine Situation beim 13er genauso passieren könnte. Auch wenn der Ausgang der nächsten Gemeinderatswahlen nicht so drastisch ausfallen wird wie in Hamburg, man kann ja nie wissen, wie schnell sich der Wind dreht... :-\
Ja, man muss sich immer vor Augen halten, dass die Legislaturperiode in Wien nur fünf Jahre dauert. Selbst wenn Rot-Grün bis 2015 hält, weiß keiner, wie sich die Situation nachher präsentieren wird. Der Wahlausgang muss gar nicht mal so drastisch (also im Hamburger Sinn mit sozialdemokratischer Absoluter) ausfallen, da Rot und Schwarz in Wien bekanntlich gerne miteinander koalieren (die SPÖ ließ z.B. die ÖVP von 1945 bis 1973 trotz absoluter Mehrheit mitregieren). Wenn die Grünen nicht deutlich vor dem nächsten Wahltermin brauchbare Ergebnisse in Sachen Straßenbahnausbau vorzuweisen haben, dann wird uns das Hamburger Beispiel näher sein als uns lieb ist.
"Der Raum, wo das stattfand, ist ziemlich groß."
Hans Rauscher

44er

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Re: [DE] "Stadtbahn" Hamburg tot – und zwar schon vor Baubeginn
« Antwort #3 am: 03. März 2011, 11:20:02 »
Das Scheitern dieses mutigen Projektes zeigt wieder einmal,dass in vielen Ländern der Fahrgast keinen Stellewert in der Politik hat.
Man darf halt solche wichtigen Projekte nicht nur vom planerisch-technischen sehen, sondern zu einem guten Lobbing gehört es auch, dass mehr als bisher für die Fahrgast Partei ergriffen wird, denn nur dann geschieht es nicht - wie heute häufig- dass das Scheitern oder das Gelingen solcher Projekte von der Befindlichkeit von Einzelpersonen oder Gruppen abhängt.
Hoffen wir, dass es in Wien doch noch zu einem sinnvollen Ausbau der Straßenbahn kommt, denn wir haben sie ja, und wenn man Sie ordentlich betreibt, dann bewährt sie sich auch.
Nicht zu vergessen den Schienenbonus - eine Erscheinung, die man auf der ganzen Welt feststellen kann.
Schade Hamburg - ein Blick nach Frankreich wäre lehrreich, denn die dortigen Entwicklungen wären ohne einen breiten Konsens nicht möglich.

T1

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Re: [DE] "Stadtbahn" Hamburg tot – und zwar schon vor Baubeginn
« Antwort #4 am: 03. März 2011, 17:48:46 »
Es ist nicht nur so, dass, wie der Autor weiter unten erwähnt, die Schulreform gescheitert ist (sie wurde in einem Referendum abgelehnt), vielmehr wird das Kohlekraftwerk Moorburg auch noch gebaut. In dem Sinne ist es auch schon wurscht, dass die dortigen Grünen nicht ihre "volle Konzentration" auch auf die Stadtbahn gelenkt haben. ::)

Ja, die Politik in Hamburg agierte die letzte Zeit sowieso ungeschickt. Aber wen wunderts bei Leuten wie Ahlhaus und Co.? Böse Zungen behaupten ja, der Scholtz hat nur gewonnen, weil die CDU mit dem Ahlhaus den einzigen weniger markanten Menschen in ganz Hamburg gefunden haben.

Man darf halt solche wichtigen Projekte nicht nur vom planerisch-technischen sehen, sondern zu einem guten Lobbing gehört es auch, dass mehr als bisher für die Fahrgast Partei ergriffen wird, denn nur dann geschieht es nicht - wie heute häufig- dass das Scheitern oder das Gelingen solcher Projekte von der Befindlichkeit von Einzelpersonen oder Gruppen abhängt.
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Schade Hamburg - ein Blick nach Frankreich wäre lehrreich, denn die dortigen Entwicklungen wären ohne einen breiten Konsens nicht möglich.

Nun ja, das Scheitern war das Ergebnis einer dilettantischen Koalitionspolitik und man nie wirklich sich bemüht hat die Stadtbahn als gute Lösung zu verkaufen, man hat eigentlich großteils offen über sie gestritten. Die vorbildliche Offensive der Hochbahn kam dann etwas zu spät.

Schade auch darum, weil Hamburg wohl der erste große Neubaubetrieb werden hätte können – noch dazu mit geschlossenem Rasengleis, was in Deutschland auch nicht unbedingt zum Standard zählt. Somit bleibt wohl Saarbrücken in nächster Zeit der einzige Neubaustraßenbahnbetrieb, wenn man von den Anbindungen an benachbarte Netze in Oberhausen (mit Mühlheim und Essen) und Heilbronn (mit Karlsruhe) absieht. Wobei bei zweiterem sich schon ein eigenes kleines Netz entwickelt, auch wenn der große Teil davon – ganz wie in Karlsruhe – auf Eisenbahnstrecken ausdehnt.

Das Argument Schienenbonus ist in Hamburg nebensächlich, schließlich gibt es bereits zu viele Fahrgäste in den zu ersetztenden Buslinien. Das Hauptargument waren ja die hohen Baukosten und dass die Bürger es nicht wollen. Na klar, wenn man mit Drüberfahrmentalität kommt, will niemand was.

pTn

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Re: [DE] "Stadtbahn" Hamburg tot – und zwar schon vor Baubeginn
« Antwort #5 am: 20. Februar 2018, 21:51:49 »
So erlaube ich mir von etwas Lebendem zu berichten, der U-Bahn, die dort von der Hochbahn betrieben wird und erweitert wurde.
mehr Bilder gibt es hier: http://public-transport.net/metro/Hamburg/index.html


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