Autor Thema: Stadtarchäologie  (Gelesen 26473 mal)

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WIENTAL DONAUKANAL

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Re: Stadtarchäologie
« Antwort #60 am: 28. Mai 2020, 18:51:51 »
Diese Gastarbeiter suchten mangels entsprechender Einrichtungen ihren sozialen Kontakt im öffentlichen Raum oder an vermeintlich abgelegenen Plätzen. Berüchtigt war der Südbahnhof, wo ab dem frühen Abend und an Wochenende je nach Zuspruch aus der Korbflasche laut musiziert und getanzt wurde.

Die Freizeit durfte natürlich möglichst wenig kosten, schließlich trachtete man danach, möglichst viel des verdienten Geldes in die Heimat mitnehmen zu können. Logisch, dass die also nicht zum Wirten gingen.

Ja natürlich wollt man mit dem verdienten Geld zuhause etwas Wohlstand schaffen, übrigens die Wirte hätten sie gar nicht ins Lokal gelassen.

moszkva tér

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Re: Stadtarchäologie
« Antwort #61 am: 01. Juni 2020, 08:39:34 »
Die "Gastarbeiter" - sie würden eigentlich nicht wie Gäste behandelt - wollten ursprünglich auch nur ein paar Jahre bleiben.
Auch tragisch: zuerst stecken sie jeden Schilling in ihr Häuschen am Balkan, dann beginnt der Krieg und alles ist futsch.

Übrigens gibt es in Bosnien, Serbien und anderen Gastarbeitergegenden das Phänomen, dass alles in den Sommermonaten viel teurer wird, weil die Gastarbeiter da auf Heimaturlaub sind.

Petersil

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Re: Stadtarchäologie
« Antwort #62 am: 08. Juni 2020, 18:27:50 »
Ah, jetzt ist alles klar, danke. Das heißt, das Schild wandte sich wohl an die Jugoslavischen Gastarbeiter; das ist die Einfahrt zur ÖBB-Traktion. Bleibt nur die Frage, warum man sich die Mühe der Übersetzung gemacht hat.

Das war bei der ÖBB durchaus üblich, ich hab auch schon Dienstvorschriften aus der damaligen Zeit in serbokroatischer Übersetzung gesehen. Vermutlich hat das die Einschulung der Gastarbeiter massiv beschleunigt.

Warum dort eine Tafel je auf Serbisch und Kroatisch mit den genau gleichen Formulierungen hängt, ist aber tatsächlich spannend. Entweder haben der Schildermaler bzw. der Übersetzer auf Kosten der ÖBB ein Geschäft machen wollen oder man war sich nicht sicher, ob alle Serben (also auch die mit nur ein paar Jahren Volksschule) die lateinische Schrift lesen können. Heutzutage können Serben ja grundsätzlich beide Schriften lesen und schreiben, Kroaten haben zu jugoslawischen Zeiten die kyrillische Schrift passiv beherrscht, wenn auch nicht selber verwendet, aber das geht zurück.

Geschriebenes Serbisch und Russisch kann man übrigens extrem einfach unterscheiden: Wenn ein J vorkommt, ist es Serbisch.

RobertK

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Re: Stadtarchäologie
« Antwort #63 am: 09. Juni 2020, 14:07:41 »
Serbisch verwendet das kyrillische Alphabet (ganz links), Kroatisch das Lateinische (ganz rechts).

Warum dort eine Tafel je auf Serbisch und Kroatisch mit den genau gleichen Formulierungen hängt, ist aber tatsächlich spannend.

Bitte verwechselt nicht "Sprache" (serbisch/kroatisch) und "Schrift" (kyrillisch/lateinisch).

In der Nähe meines Wohnsitzes im 3. Bezirk gab es bis vor Kurzem noch am Einfahrtstor eines Wohnauses eine der üblichen "Einfahrt freihalten"-Tafeln, allerdings zweisprachig: auf deutsch und auf serbisch (in lateinischer Schrift). Heute wollte ich sie fotografieren, leider war sie nicht mehr da.

Der Grund dafür war wohl der gleiche wie damals: man wollte sich einigen besonders unbelehrbaren Leuten in ihrer Muttersprache "nähern".

Diese Gastarbeiter suchten mangels entsprechender Einrichtungen ihren sozialen Kontakt im öffentlichen Raum oder an vermeintlich abgelegenen Plätzen.

Ein ähnliches Phänomen gibt es heute noch, allerdings unter Österreichern ohne Migrationshintergrund: die "vor dem Supermarkt bei den Einkaufswagerln Bier-Trinker". Auch hier sind der Grund mangelnde finanzielle Mittel bei gleichzeitigem Wunsch nach sozialen Kontakten.

viennense23

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Re: Stadtarchäologie
« Antwort #64 am: 02. Februar 2024, 19:29:38 »
Ein Dank an das Tramwayforum und seine aufmerksamen User,

durch meinen Eintrag 2018 kam ich mit einem Kurator des WIEN MUSEUMS in Kontakt, die Fassadenaufschrift in der Favoritenstraße 60 wurde abgenommen und

 ist jetzt ein wichtiges und viel besprochenes Exponat im neueröffneten WIEN MUSEUM!






viennense23

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Re: Stadtarchäologie
« Antwort #65 am: 02. Februar 2024, 19:44:08 »
Wir haben das vor Kurzem entdeckt. Hans Adolf Grünsfeld war ein angeheirateter Großonkel unserer Mutter.

Bissl Ganslhaut...