Autor Thema: Wifo, 1981: Der Einfluß des Benzinpreises auf den Personenverkehr  (Gelesen 6378 mal)

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moszkva tér

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Ca. 30 Jahre alt, aber immer noch hochaktuell, wie ich finde. Deswegen stelle ich es nicht ins Historienunterforum:
Das Wifo hat 1981 eine Studie veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen Benzinpreis, Fahrtkosten für ÖV sowie die Anzahl der beförderten Personen beleuchtet.
Die Studie kann man hier als Pdf herunterladen: http://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/MOBE/1981Heft01_010_018.pdf

Die wichtigsten Aussagen finde ich folgende:
Zitat
Von 1966 bis 1973 stieg der Treibstoffpreis durchschnittlich nur um 2,5 % pro Jahr. Dagegen wurden der Bahntarif jährlich um 7,4 %, der Tarif der Überlandbusse um 8,5 % und die Tarife der innerstädtischen Verkehrsmittel um 9,5% hinaufgesetzt. [S 11]
Nach 1973 sind jedoch aufgrund der Ölkrisen die Benzinkosten wieder deutlich schneller gestiegen, als die Tarife für den ÖV. Allerdings habe ich zumindest den Eindruck, dass auch nach der Studie der ÖV schneller teurer wurde als der Sprit. Oder täuscht das nur?

Zitat
... daß der Benzinpreis längerfristig die Benzinnachfrage doch recht deutlich beeinflußt. Die Anpassungsprozesse gehen über strukturelle Verschiebungen des Fahrzeugbestandes ...,  Änderungen der Fahrgewohnheiten sowie die stärkere Beachtung alternativer Verkehrsmittel. [S 16]
Bereits 1981 wurde also festgestellt, dass mit dem Preis ein Lenkungseffekt im Verkehr erzielt werden kann. Die beobachteten Benzinpreissteigerungen in den 1970ern durch die Ölkrisen waren allerdings außergewöhnlich in deren Intensität.
Ärgerlich ist, dass eine historische Chance für den ÖV vollkommen ungenutzt blieb, der Kahlschlag im Wiener Oberflächennetz war damals an einem Höhepunkt. Zwar wurden massive Investitionen in den U-Bahn-Bau getätigt, jedoch die Feinverteilung komplett vernachlässigt oder gar zerstört.
Besonders schlimm wurde es dann natürlich in den 1980ern, als Auto fahren nach den Ölkrisen wieder billig wurde.

Ich rege einmal hier eine Diskussion an und vertrete folgende Meinungen:
1) Ich finde, man sollte das Autofahren stärker sanktionieren. Dies kann sehr gut über den Benzinpreis erfolgen, da so Vielfahrer einerseits und Benzinschlucker andererseits am meisten draufzahlen und auch am meisten zum Umstieg auf Alternativen angespornt werden können.
2) Die hohen Kosten für Sprit sollen natürlich der öffentlichen Hand zugute kommen, und nicht den Erdölfirmen oder Konzernen, die ja jedes Jahr Rekordumsätze feiern.
3) Das Geld sollte zweckgebunden sein für den ÖV, speziell die flächige Erschließung periphärer Gebiete. Straßenausbauten sollten möglichst unterbleiben, oder wenn, nur punktuell erfolgen.
4) Kostenwahrheit im öffentlichen Verkehr ist gefährlich: Wenn man in Wien für eine U-Bahn-Fahrt tatsächlich so viel zahlen müsste, wie sie real kostet, wäre das wahrscheinlich der Preis von einer Übernachtung im Mittelklassehotel. Daher Kostenwahrheit nur im IV!
5) Die Stadt- und Regionalplanung soll natürlich die Zersiedelung verhindern und eine Stadt der kurzen Wege fördern!

Ich freue mich auf eine interessante Diskussion.

hema

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Re: Wifo, 1981: Der Einfluß des Benzinpreises auf den Personenverkehr
« Antwort #1 am: 21. Oktober 2010, 13:27:48 »


4) Kostenwahrheit im öffentlichen Verkehr ist gefährlich: Wenn man in Wien für eine U-Bahn-Fahrt tatsächlich so viel zahlen müsste, wie sie real kostet, wäre das wahrscheinlich der Preis von einer Übernachtung im Mittelklassehotel. Daher Kostenwahrheit nur im IV!

Falsch. Kostenwahrheit generell!  :up:
Niemand ist gezwungen meine Meinung zu teilen!

95B

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Re: Wifo, 1981: Der Einfluß des Benzinpreises auf den Personenverkehr
« Antwort #2 am: 21. Oktober 2010, 13:38:32 »
Nach 1973 sind jedoch aufgrund der Ölkrisen die Benzinkosten wieder deutlich schneller gestiegen, als die Tarife für den ÖV. Allerdings habe ich zumindest den Eindruck, dass auch nach der Studie der ÖV schneller teurer wurde als der Sprit. Oder täuscht das nur?
Ein Einzelfahrschein kostet heute ungefähr so viel wie 1,5 Liter Benzin (1,8 zu 1,2). 1991 wurde der Preis eines Einzelfahrscheins von ATS 14 auf ATS 15 angehoben. Ein Liter Benzin müsste demnach vor 20 Jahren ca. ATS 10 gekostet haben. Ich habe keinerlei Erinnerung, ob sich der Preis damals tatsächlich in dieser Größenordnung bewegt hat und das Web gibt leider diesbezüglich auch nichts her.

Bereits 1981 wurde also festgestellt, dass mit dem Preis ein Lenkungseffekt im Verkehr erzielt werden kann.
Der Lenkungseffekt von Steuern ist bei weitem nichts Neues. Viele dieser Lenkungseffekte sind halt politisch nicht erwünscht oder inopportun. Schließlich geht es einem Politiker nicht um das Wohl seiner Bürger, sondern einerseits um Maximierung der Wählerstimmen (damit er nicht vom Volk abgesägt wird), andererseits um Maximierung der Einnahmen der öffentlichen Hand (damit er nicht von den Kollegen oder der Partei abgesägt wird). Dass beide Ziele einander ausschließen, ist klar. Der Politiker muss daher versuchen, auf der Kurve, die zwischen den beiden Extremen verläuft, das Optimum annähernd zu erreichen. Oder, vereinfacht ausgedrückt: Jede populäre Maßnahme bedarf einer im gleichen Ausmaßen unpopulären Maßnahme.

1) Ich finde, man sollte das Autofahren stärker sanktionieren. Dies kann sehr gut über den Benzinpreis erfolgen, da so Vielfahrer einerseits und Benzinschlucker andererseits am meisten draufzahlen und auch am meisten zum Umstieg auf Alternativen angespornt werden können.
Ich empfinde "sanktionieren" als unpassenden Ausdruck, da du damit gleich a priori eine negative Konnotation erzeugst. Ich würde eher sagen: Man kann das Autofahren über den Benzinpreis beeinflussen. Allerdings ist das meiner Meinung nach nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Grundübel ist nicht der viele Verkehr, sondern es sind die vielen Autos - die ermöglichen es ja überhaupt erst, dass uns der Verkehr buchstäblich überrollt. Die meiste Zeit jedoch fährt ein Auto nicht, sondern es steht. Die Maßnahmen müssen also dort ansetzen, wo man dem Autobesitzer für das stehende Vehikel bzw. das Vehikel an sich Geld abknöpfen kann - sei es über Parkraumbewirtschaftung, über eine Art Umweltabgabe oder Einmalabgaben wie Nova & Co. Sonst kompensiert der Autolenker die höheren Spritpreise einfach durch etwas weniger Fahren. Besser wäre es aber, wenn er zu dem Schluss käme, dass sich bei diesen Preisen das Auto für ihn einfach nicht auszahlt.

2) Die hohen Kosten für Sprit sollen natürlich der öffentlichen Hand zugute kommen, und nicht den Erdölfirmen oder Konzernen, die ja jedes Jahr Rekordumsätze feiern.
Selbiges gilt natürlich auch für die Kosten, deren Einhebung ich unabhängig von der Fahrzeugbewegung vorschlage.

3) Das Geld sollte zweckgebunden sein für den ÖV, speziell die flächige Erschließung periphärer Gebiete. Straßenausbauten sollten möglichst unterbleiben, oder wenn, nur punktuell erfolgen.
Leider, leider ist das wiederum eine unpopuläre Maßnahme. Und mit der flächigen Erschließung peripherer Gebiete sprichst du gleich das nächste Problem an: Wieso haben wir in unseren städtischen Regionen überhaupt derart viele dünn besiedelte Räume? Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen, was ist das Gefährliche daran? Nun, die hauptsächliche Gefahr dieser Raumentwicklung hat bereits von uns Besitz ergriffen. Aus der ursprünglichen Freiheit zur Mobilität und dem daraus entstehenden Bewegungsdrang ist längst ein Bewegungszwang geworden, weil die kleinräumige Nahversorgung unter den gegebenen Umständen nicht überlebensfähig war und zusammengebrochen ist.

Ein schönes Beispiel für eine Gegenbewegung zu dieser Entwicklung lässt sich übrigens in Grätzeln mit hohem Ausländeranteil beobachten: Viele Einwohner solcher Gebiete kommen aus eher ärmlichen Schichten und verfügen über kein Auto, daher hat sich dort mehr oder weniger von selbst eine neue Nahversorgungsinfrastruktur mit Greißlern, Kleinsupermärkten, Bäckereien usw. gebildet.

5) Die Stadt- und Regionalplanung soll natürlich die Zersiedelung verhindern und eine Stadt der kurzen Wege fördern!
Das verhindern jedoch die Auftraggeber dieser Stadt- und Regionalplanung, da es ihnen nicht ins Konzept passt. Die Beschneidung der Mobilitätsmöglichkeiten ist auf jeden Fall negativ bewertet, auch wenn in Wahrheit keinerlei Einschränkung auch nur irgendeiner Freiheit dahinter steckt. Jahrzehntelange Arbeit diverser Lobbys hat es jedoch geschafft, dass "der Autofahrer" bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von jeder Seite gern als "Melkkuh der Nation" dargestellt wird und niemand diesem Unsinn widerspricht oder ihn auch nur kritischer Betrachtung unterzieht.

Was den Individualverkehr betrifft, sind noch Jahrzehnte an Arbeit zu leisten, um das goldene Kalb wieder von seinem Altar zu entfernen. Immerhin hat es ja auch ebensoviele Jahrzehnte gedauert, es dort einzuzementieren. Und noch dreht sich die Betonmischmaschine munter weiter!
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

13er

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Re: Wifo, 1981: Der Einfluß des Benzinpreises auf den Personenverkehr
« Antwort #3 am: 27. Oktober 2010, 23:28:54 »
1) Ich finde, man sollte das Autofahren stärker sanktionieren. Dies kann sehr gut über den Benzinpreis erfolgen, da so Vielfahrer einerseits und Benzinschlucker andererseits am meisten draufzahlen und auch am meisten zum Umstieg auf Alternativen angespornt werden können.
Auch wenn man das aus den falschen Gründen getan hat, so hat man immerhin seit Erstellung deines Postings die MöSt moderat angehoben. Das wird aber sicher niemanden daran hindern, weniger mit dem Auto zu fahren. Die Schwelle liegt hier IMHO relativ hoch, wie weit sich die Menschen das Autofahren noch "leisten können wollen", weil es als so etwas Grundlebensnotwendiges angesehen wird wie Essen oder Schlafen.
2) Die hohen Kosten für Sprit sollen natürlich der öffentlichen Hand zugute kommen, und nicht den Erdölfirmen oder Konzernen, die ja jedes Jahr Rekordumsätze feiern.
D'accord, siehe nächsten Punkt.
3) Das Geld sollte zweckgebunden sein für den ÖV, speziell die flächige Erschließung periphärer Gebiete. Straßenausbauten sollten möglichst unterbleiben, oder wenn, nur punktuell erfolgen.
Es nützt eben nichts, wenn das Geld dafür benutzt wird, andere Steuerlöcher zu stopfen oder Schulden abzubauen. Ein offensiver Ausbau von ÖV, sodass viele Menschen überhaupt erst daran denken können, auf ÖV umzusteigen, wäre wirklich notwendig. Flächige Erschließung schreit nach Straßenbahn oder Bus, ökologische Überlegungen lassen dann hauptsächlich noch die Straßenbahn übrig.

Leider werden in Wien ständig ÖV _und_ Straßen in ein Stadtentwicklungsgebiet ausgebaut. Und wenn dazwischen irgendwann das Geld knapp wird, gibt's dort nur mehr Straßen und keinen ÖV. Siehe Nordbahnhofgelände: Eigentlich geplant als "grün", praktisch straßenfrei, mit O-Wagen-Verlängerung, wette ich darauf, dass es ein Viertel wie jedes andere wird und der O-Wagen ist mittlerweile auch wackelig, obwohl ich ihn noch nicht ganz abschreiben würde.
4) Kostenwahrheit im öffentlichen Verkehr ist gefährlich: Wenn man in Wien für eine U-Bahn-Fahrt tatsächlich so viel zahlen müsste, wie sie real kostet, wäre das wahrscheinlich der Preis von einer Übernachtung im Mittelklassehotel. Daher Kostenwahrheit nur im IV!
Kostenwahrheit wäre trotz allem wichtig. Transparenz hat noch nie geschadet. Wenn dann – nach ehrlicher Rechnung! – tatsächlich herauskommen sollte, dass ein bestimmtes Verkehrsmittel sich nicht rentiert, dann kann man ja Alternativen ausarbeiten. Die U-Bahn würde jedenfalls keine Kostenwahrheitsanalyse überleben, so viel ist klar. Schon in den Innenstadtgebieten ist man (über den ganzen Tag gerechnet) vermutlich nur im unteren Mittelfeld dessen, wo man städteplanerisch eine U-Bahn für (kosten-)effizient hält.
5) Die Stadt- und Regionalplanung soll natürlich die Zersiedelung verhindern und eine Stadt der kurzen Wege fördern!
DAS ist genau das Kernproblem dieser Stadt (und anderer Städte). Zwar kann man sich den Arbeitsplatz heute natürlich nicht immer in der Nähe aussuchen, jedoch ist ja das in die Arbeit fahren keineswegs der einzige Faktor. Die Einkaufszentren am Stadtrand zerstören innerstädtische Strukturen. Oft sind solche EKZs nur mit dem Auto günstig erreichbar (SCS), wird jedoch noch dazu in der Nähe des ÖV gebaut (Stadioncenter,  Millenniumcity), hat man eigentlich das größte Vergehen geschafft: Schließlich kann dann wirklich jeder problemlos zum EKZ kommen – und sehr viele tun's auch.

Die Perversion des ganzen ist, wenn man direkt an hervorragende funktionierende Geschäftsstraßen wie die Mariahilfer Straße daneben einen Riesenkomplex am Westbahnhof hinsetzt. Viele sind nicht meiner Meinung, aber ich denke mir, wenn ich mit der U3 oder U6 am Wbf. ankomme und direkt in dem Gebäude, vielleicht sogar noch bei denselben oder sehr ähnlichen Geschäften (der gleichen oder verwandten Marke), einkaufen kann, warum soll ich dann überhaupt noch die nicht sehr einladende Mariahilfer Straße hinunterspazieren?

Leider ist das Kind schon in den Brunnen gefallen und existierende Einkaufszentren kann man nicht mehr schließen. Es müsste aber einen sofortigen Genehmigungsstopp für weitere EKZs geben und der Einzelhandel vor Ort gefördert werden (teilweise versucht man's ja, auf der Lerchenfelder Straße etwa, aber es ist schon zu viel kaputt und die Mieten sind viel zu hoch). Parallel dazu muss Autofahren unattraktiv und die allerorts verfügbaren Parkplätze eingeschränkt werden, dann wird sich IMHO automatisch der Effekt einstellen, dass Menschen wieder in die Trafik ums Eck gehen, zum Spar in der Nachbargasse, zum kleinen, aber feinen Buchhändler auf der Straße.

@95B: Besonders interessant an deinem Posting finde ich den Zusammenhang zwischen Migrantenanteil und den kleinen (Kebab und Milch-)Geschäften vor Ort. Habe ich mir noch nie so wirklich überlegt, aber finde ich völlig einleuchtend!
Mit uns kommst du sicher... zu spät.