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„Rote Pfosten“: Kritik an neuen Haltestellen
Wien bekommt neue Bus- und Bim-Haltestellen. 30 von rund 3.000 sind schon umgerüstet worden. Sie bieten mehr Platz, Barrierefreiheit und Echtzeit-Informationen für die Fahrgäste. Aber, so lautet die Kritik einer Bürgerpetition, das Design ist nicht gelungen. Ein Wiener Architekt spricht von „rote Pfosten“ und einer „Säule mit Zeug dran“.
Der Prototyp der sogenannten „Haltestelle der Zukunft“ wurde bereits im Herbst 2018 vor dem Burgtheater aufgestellt. Damals noch in blauer Farbe. Seither wurden weitere Infosäulen in Rot aufgestellt, immer wenn es sich ergeben hat. Etwa bei Linienverlängerungen (D, O) und bei der Umgestaltung der Neubaugasse.
Stadtmöbel verdient Aufmerksamkeit
Dass die alten Stationen keine Zukunft haben, ärgert besonders den Wiener Architekten Christian Schwarzwimmer. Er hat mit seiner Petition „Rettet die Wiener Öffi-Stationen“ bereits mehr als 1.300 Unterschriften gesammelt. „Weil das so ein zusammengewürfelter Haufen an Einzelteilen ist, wo sich scheinbar niemand wirklich was überlegt hat“, erklärt Schwarzwimmer gegenüber „Wien heute“. „Dadurch, dass das hundertfach im Stadtbild vorkommt, ist es einfach ein wichtiges Stadtmöbel, und ich finde, das braucht auch Aufmerksamkeit und muss qualitativ hochwertig sein.“
Funktionell und kostengünstig
Die Haltestellen sind das Ergebnis von Platz- und Kostenvorgaben der Wiener Linien, eines Ideenwettbewerbs, Rückmeldungen von Fahrgästen und Behindertenverbänden. Jede Säule kann je nach Anforderung ausgestattet werden – etwa mit einem Bildschirm, der den Papierfahrplan ersetzt.
Weil alle Module – von der digitalen Anzeige bis zum Fahrplan und den Lautsprechern – an einem Mast hängen, bleibt mehr Platz für die Fahrgäste im Haltestellenbereich. Außerdem ist dadurch die Montage einfacher, da nur ein Loch im Boden gebohrt werden muss. Und, so heißt es auf der Website des Designerbüros „Dottings“: „Die Wartung und Änderung der Bestückung funktioniert vor Ort und kostengünstig für den Betreiber.“
Bestehendes „weiterführen in die Zukunft“
Schwarzmüller ärgert sich dennoch über den Irrglauben: „Wir nehmen einen roten Pfosten (…) stopfen das voll und dann ergibt das automatisch was Gutes.“ Auch ein Bildschirm sei seiner Meinung nach nicht notwendig. Man könne die Fahrplaninformationen „im Grunde aufs Smartphone bringen und das als Chance nützen, den öffentlichen Raum zu entrümpeln.“
Schwarzwimmer schlägt vor, das Design der alten Haltestellen sanft zu erneuern. „Es geht gar nicht darum, reiner Nostalgiker zu sein. Aber man soll mit der bestehenden Substanz sensibler umgehen und sie weiterführen in die Zukunft.“
Wiener Linien: „Geschmäcker sind verschieden“
Zur Kritik lassen die Wiener Linien schriftlich ausrichten: „Über Geschmäcker lässt sich bekanntlich immer streiten. Worüber sich allerdings nicht streiten lässt: Wir wollen unseren Fahrgästen die wesentlichen Informationen zu ihrer Mobilität übersichtlich an der Haltestelle darstellen.“
Man habe eng mit Behindertenverbänden zusammengearbeitet. Die neuen Haltestellen seien im Stadtbild eindeutig erkennbar und durch ihre rote Farbe auch für Sehbehinderte gut wahrnehmbar. Schwarzwimmer dazu: „Barrierefreiheit ist schön, gut und wichtig in der Gestaltung, aber es kann nicht als Totschlagargument verwendet werden für schlechte Gestaltung und schlechtes Design.“
Fanshop lebt von Nostalgie
„Die Wiener Linien verwenden in ihren letzten Grafiken und Visualisierungen immer noch die alte Station“, behauptet Schwarzwimmer. „Warum? Weil sie jedes kleine Kind aufzeichnen kann. Die Ellipse, der Halbkreis, das ist eine ikonische Form.“ Die Haltstelle der Zukunft sei hingegen „gar nichts. Es ist eine Säule mit Zeugs dran.“
Die Wiener Linien wissen jedenfalls, dass die bisherigen Haltestellen beliebt sind – und verkaufen entsprechend viele Fanartikel in ihrem Shop. Es gibt die alten Haltestellen für Holzeisenbahnen und aus Lego, und das Logo als Magnet, als Kugelschreiber, Bleistift, Tischset, T-Shirt und Christbaumkugel. Nostalgie soll jedoch nur im Verkehrsmuseum Platz finden, auf Wiens Straßen werden schrittweise nur noch „Haltestellen der Zukunft“ aufgestellt.