Habe mir die Frage gestellt, wann und wo es in Wien Rollenstromabnehmer gegeben hat.
Relativ klar und bekannt ist, daß die ersten Linien mit Rollenstromabnehmersystem elektrifiziert worden sind, und zwar
- die Transversallinie Wallgasse - Kronprinz Rudolf Straße - Vorgartenstraße (etwa heutiger 5er), sowie
- die Kagraner Bahn.
Relativ rasch wurde aber auf Schleifstromabnehmer umgerüstet.
Hier die Elektrifizierungsdaten der Anfangszeit in Wien (Quelle Straßenbahnjournal-Wiki):
- WT: Transversallinie ab 28. Jänner 1897 mit der Remise Vorgarten. Dann ging es erst Mitte 1898 mit der Elektrifizierung weiter (
späterer 21er [korrigiert: temp. Ausstellungsbahn zur Rotunde], späterer 78er, Remise Valeriestraße, Franz-Josefs-Kai). - Kagraner Bahn: Ab 26. Juni 1898.
- BBG: Erst ab 7. Oktober 1899 (späterer 6er).
- NWT: Überhaupt erst ab 12. Januar 1903 (späterer 61er).
- Gemeinde Wien: Erst ab 11. Juli 1903 (Teil des späteren 29ers).
Slezak - Straßenbahn in Wien schreibt, daß die einpolige Oberleitung der Transversallinie, ursprünglich für Rollenstromabnehmer, 1899 für Schleifbügelbetrieb nach System Siemens & Halske umgebaut wurde. Rollenstromabnehmer gab es dort also vom Jänner 1997 bis irgendwann 1899.
Gründung der BBG (Ende 1898 bis Oktober 1899)Im April 1897 wurde Luegers Wahl zum Bürgermeister vom Kaiser bestätigt. Am 28.10.1898 gab es eine wichtige Gemeinderatssitzung, die sich mit der Zukunft der Tramway beschäftigte. Daß nur eine elektrische Tramway in Frage käme, war damals bereits klar. Es lagen damals 3 Angebote aus 1895 für die Übernahme der WT und Elektrifizierung vor. Schließlich wurde in der Gemeinderatssitzung am 4. und 8.11.1898 ein Übereinkommen mit Siemens & Halske geschlossen. Daraufhin beschloß die WT in einer außerordentlichen Generalversammlung am 1.12.1898 deren Liquidation und Übertragung der Konzessionen an die Gemeinde. Am 5.9.1899 kam es dann schließlich zur Gründung der BBG. Der Vertrag mit Siemens & Halske sah - bis auf die Unterleitungsstrecken - eine Oberleitung mit
Siemens & Halske-Bügelsystem vor. Ab
7. Oktober 1899 ging dann die erste dieser Strecken (späterer 6er) in Betrieb. (Quelle: Slezak - Straßenbahn in Wien)
Sich daraus ergebende Fragen zum RollenstromabnehmersystemIch gehe also davon aus, daß die Transversallinie und die Kagraner Bahn die einzigen Anlagen in Wien mit Rollenstromabnehmersystem waren. Oder waren die Mitte 1898 (Mai bis August) elektrifizierten Strecken der WT auch noch mit Rollenstromabnehmern ausgerüstet? Die große Elektrifizierungswelle begann ja erst mit der BBG, und dort erst ist das Siemens & Halske-Bügelsystem vertraglich vorgesehen und dokumentiert. Und das war erst ab 7. Oktober 1899. Es stellt sich also die Frage, ob und wenn ja wann die WT mit der Errichtung von Schleifbügelstrecken begonnen hat. Dazu habe ich leider keine direkten Aussagen in den von mir untersuchten Quellen gefunden. Waren also die Transversallinie und die Kagraner Bahn die einzigen Rollenstromabnehmerstrecken in Wien, oder gab es weitere (21er, 78er, Remise Valeriestraße, Franz-Josefs-Kai)?
FahrbetriebsmittelAls Fahrbetriebsmittel standen für das Rollenstromabnehmersystem der Transversallinie der WT (elektrifiziert von der berliner Fa. "Union-Elektrizitäts-Gesellschaft") 30 Motorwagen der Grazer Waggonfabrik aus 1896 (spätere Type A) zur Verfügung. Zur Abnahme des Fahrstromes aus der Oberleitung war auf dem Wagendach ein frei beweglicher Rollenstromabnehmer montiert. Dieser stellte den Kontakt mit dem Fahrdraht durch ein Rädchen her, das ähnlich einer Riemenscheibe ausgebildet war. 1897 wurden nochmals 10 TW (spätere Type A
1) zur Verstärkung des Verkehrs auf der Transversallinie nachbeschafft. Die Rollenstromabnehmer wurden 1899 durch Schleifbügel ersetzt.
Im Jahr 1898 wurden weitere 10 TW (spätere Type B), gebaut von der Fa. Schlick in Budapest und bereits ab Werk mit Schleifbügeln ausgestattet, nachgeliefert. (Quelle: Marincig - Auf Schienen durch Wien) Das läßt darauf schließen, daß die Mitte 1898 neu elektrifizierten Strecken der WT bereits mit Schleifbügelsystem errichtet worden sind.
Die ab 26. Juni 1898 mit Rollenstromabnehmern elektrisch betriebene Kagraner Bahn wurde erst mit Gemeinderatsbschluß vom 12. Juni 1904 von der Gemeinde Wien gekauft. Dabei wurden die 10 TW dieser Bahn (6 TW ursprünglich von der Hamburger Straßenbahn gekauft, 4 TW von der Grazer Waggonfabrik nachbeschafft), die bis zuletzt mit Rollenstromabnehmern betrieben wurde, als Type C1 übernommen und "auf den bei der WT seit 1898 üblichen Lyrabügel" (Quelle: Marincig - Auf Schienen durch Wien) umgebaut. Diese Aussage weist auch wieder darauf hin, daß die Mitte 1898 elektrifizierten Strecken der WT bereits mit Schleifbügelsystem errichtet worden sind.
SchlußfolgerungenAus diesen Aussagen schließe ich, daß
- die Transversallinie der WT (28. Jänner 1897 bis irgendwann 1899), und
- die Kagraner Bahn (26. Juni 1898 bis irgendwann nach dem 12. Juni 1904)
die einzigen in Wien mit Rollenstromabnehmern betriebenen Strecken waren, und die von der WT Mitte 1898 und die ab Oktober 1899 von der BBG, der Gemeinde oder der NWT elektrifizierten Strecken bereits mit Schleifbügelsystem elektrifiziert worden sind.
Weitere Fragen zum Rollenstromabnehmersystem- Gab es vielleicht gar auf manchen Strecken oder in der Übergangszeit einen Mischbetrieb, d.h. eine Fahrleitungsaufhängung, die sowohl mit Rollenstromabnehmern als auch mit Schleifbügeln befahren werden konnte?
- Wie vollzog sich der Umstieg auf das Schleifbügelsystem? Gab es eine Übergangszeit, oder vollzog sich der Wechsel von einem Tag auf den anderen?
- Wie wurden beim Rollenstromabnehmersystem Weichen betrieben? Gab es auch in der Oberleitung Weichen wie heute z.B. bei gleislosen Straßenbahnen (z.B. Salzburg, Linz)? Oder mußte bei einer Abzweigung der Stromabnehmer bei einem Halt umgehängt werden?
- Wodurch unterschieden sich die Fahrleitungsanlagen für Schleifbügel und Rollenstromabnehmer technisch? Wurden diese beim Umstieg auf Schleifbügel (Lyra) umgebaut?
- Wie war z.B. bei der Pöstlingbergbahn zuletzt die Fahrleitungsanlage bei Weichen gebaut? Gab es bei den Ausweichen auch automatische Weichen in der Oberleitung? Leider kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern.
- Wann genau fand der Umstieg statt? In den mir bekannten Quellen wird nur sehr ungenau die Jahreszahl angegeben.
- Wie wurde der elektrische Mischbetrieb von Mitte 1898 bis 1999 bei der WT abgewickelt? Waren das zwei vollkommen getrennte Systeme und Fahrbetriebsmittel, oder gab es Überschneidungen? Etwa gemeinsam genutzte Gleise? Gemeinsam genutzte Bahnhöfe? Abwechselnd auf einer Linie Wagen mit Rollenstromabnehmer und Schleifbügel? Konnten die Mitte 1898 elektrifizierten Strecken auch mit Rollenstromabnehmern befahren werden? Oder konnten die 1898 neu beschafften elektrischen TW mit Lyrabügel bereits auch auf der Transversallinie eingesetzt werden?
- Wurden die von der WT 1898 elektrifizierten Strecken auch von der berliner Fa. "Union-Elektrizitäts-Gesellschaft" elektrifiziert, oder hatte damals bereits Siemens & Halske seine Finger im Spiel?
Vielleicht hat jemand Informationen oder kennt Quellen, wo man Antworten auf diese Fragen finden könnte.