Autor Thema: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second  (Gelesen 43573 mal)

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MK

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #165 am: 14. März 2022, 15:41:01 »
@ fast alle anderen: die meisten hier scheinen reine Stadtbewohner zu sein. Ich kenne aus meinem privaten Umfeld einige Fälle, die in Dörfern wohnen, wo es eine Kirche, ein Wirtshaus, bestenfalls einen Allgemeinmediziner, aber keinen Greissler gibt. Der nächste Facharzt, die nächste Lebensmitteleinkaufmöglichkeit sind in der Marktgemeinde A, 10 km entfernt. Das nächste Taxi ist in der Stadt B, ebenfalls 10 km entfernt, aber in einer anderen Richtung. Bus? Ja, den gibt es, aber nur Mo - Fr alle 2 Stunden, abgesehen von der HVZ.

Das ist allerdings ein selbstverstärkendes System: Die Leute fahren Auto, weil die Busanbindung so schlecht ist, und die Busanbindung ist so schlecht, weil so viele Leute Auto fahren statt mit dem Bus.
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haidi

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #166 am: 14. März 2022, 17:26:58 »
So ein PKW kostet, auch wenn man wenig fährt, alleine durch Wertverlust und Wartung schon mal gerne 1500€ im Jahr, dazu komme die Betriebskosten etc.
Was interessiert einen 75-jährigen der Wertverlust seines schon 10 Jahre alten letzten Autos? Das sowieso nur mehr 3.000 € Zeitwert hat? Auch die Spritkosten für 2.000 km/Jahr sind vernachlässigbar. Da zählen nur die Werkstättenkosten und die Versicherung. Um 500 oder 800 €/Jahr kannst du nicht viel Taxi fahren.
Aber die Alten haben dann immer wieder neue Autos, oft Mercedes, BMW und andere große Kisten, die aber, wenn er stirbt, gefragt sind wegen der wenigen Kilometer.
Von einem weiß ich, dass er zwar einen Kleinwagen hat, den vor 1 oder 2 Jahren erneuert hat und damit nur die 2 km zur Trafik und zurück fährt. Seine Frau geht mit dem Pensionistenmercedes (Einkaufswageers) einkaufen
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Katana

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #167 am: 14. März 2022, 19:02:44 »
@ fast alle anderen: die meisten hier scheinen reine Stadtbewohner zu sein. Ich kenne aus meinem privaten Umfeld einige Fälle, die in Dörfern wohnen, wo es eine Kirche, ein Wirtshaus, bestenfalls einen Allgemeinmediziner, aber keinen Greissler gibt. Der nächste Facharzt, die nächste Lebensmitteleinkaufmöglichkeit sind in der Marktgemeinde A, 10 km entfernt. Das nächste Taxi ist in der Stadt B, ebenfalls 10 km entfernt, aber in einer anderen Richtung. Bus? Ja, den gibt es, aber nur Mo - Fr alle 2 Stunden, abgesehen von der HVZ.

Das ist allerdings ein selbstverstärkendes System: Die Leute fahren Auto, weil die Busanbindung so schlecht ist, und die Busanbindung ist so schlecht, weil so viele Leute Auto fahren statt mit dem Bus.
Du hast recht. Aber stell dir ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern vor, von denen die Hälfte in der Stadt in der Arbeit ist, ein Viertel in der Schule/FH/Uni und nur 100 oder 150 Pensionisten und Arbeitslose zuhause sind. Wie oft sollen da die Busse in die verschiedenen Richtungen, in die verschiedenen Städte und Marktgemeinden fahren?

So ein PKW kostet, auch wenn man wenig fährt, alleine durch Wertverlust und Wartung schon mal gerne 1500€ im Jahr, dazu komme die Betriebskosten etc.
Was interessiert einen 75-jährigen der Wertverlust seines schon 10 Jahre alten letzten Autos? Das sowieso nur mehr 3.000 € Zeitwert hat? Auch die Spritkosten für 2.000 km/Jahr sind vernachlässigbar. Da zählen nur die Werkstättenkosten und die Versicherung. Um 500 oder 800 €/Jahr kannst du nicht viel Taxi fahren.
Aber die Alten haben dann immer wieder neue Autos, oft Mercedes, BMW und andere große Kisten, die aber, wenn er stirbt, gefragt sind wegen der wenigen Kilometer.
Selbst wenn die Kiste einen Zeitwert von 20.000 € hat, interessiert der Wertverlust den Pensionisten nicht. Ganz besonders wenn es so ein Oberklassewagen ist, dann spricht das dafür, dass er Einiges am Sparbuch hat und nicht sparen muss, weil es den Kindern und Enkeln auch gut geht.

abc

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #168 am: 14. März 2022, 19:34:28 »
@ fast alle anderen: die meisten hier scheinen reine Stadtbewohner zu sein. Ich kenne aus meinem privaten Umfeld einige Fälle, die in Dörfern wohnen, wo es eine Kirche, ein Wirtshaus, bestenfalls einen Allgemeinmediziner, aber keinen Greissler gibt. Der nächste Facharzt, die nächste Lebensmitteleinkaufmöglichkeit sind in der Marktgemeinde A, 10 km entfernt. Das nächste Taxi ist in der Stadt B, ebenfalls 10 km entfernt, aber in einer anderen Richtung. Bus? Ja, den gibt es, aber nur Mo - Fr alle 2 Stunden, abgesehen von der HVZ.

Das ist allerdings ein selbstverstärkendes System: Die Leute fahren Auto, weil die Busanbindung so schlecht ist, und die Busanbindung ist so schlecht, weil so viele Leute Auto fahren statt mit dem Bus.
Du hast recht. Aber stell dir ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern vor, von denen die Hälfte in der Stadt in der Arbeit ist, ein Viertel in der Schule/FH/Uni und nur 100 oder 150 Pensionisten und Arbeitslose zuhause sind. Wie oft sollen da die Busse in die verschiedenen Richtungen, in die verschiedenen Städte und Marktgemeinden fahren?

Es gibt ja auch noch andere Modelle, z.B. Ruf- oder Bürgerbusse (oder bei ganz wenig Bedarf halt Taxigutscheine).

Aber die Situation, die Du beschreibst, ist doch die direkte Folge autozentrierter Raumplanung (wobei "-planung" sowieso ein Euphemismus dafür ist). Vor der Massenmotorisierung sind ja Menschen am Land auch nicht verhungert. Die Massenmotorisierung hat über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gewachsene Strukturen zerstört und die Abhängigkeit zum Auto überhaupt erst geschaffen. Wie absurd diese Abhängigkeit ist, sieht man ja an dieser Diskussion: wir müssen also in Kauf nehmen, dass zum Führen eines Kraftfahrzeugs gesundheitlich ungeeignete Personen sich und andere gefährden, weil sie sonst verhungern müssen. Wie krank ist das eigentlich?

Und in dieser zersiedelten Landschaft lassen sich natürlich auch Verkehrsströme schlecht bündeln, was wiederum eine schlechte Voraussetzung für ÖV ist.

Nun wird man es kaum schaffen, diese Fehlentwicklung kurzfristig zurückzudrehen; aktuell schafft man es aber noch nicht mal, sie wenigstens anzuhalten. Stattdessen definieren sich ÖVP und SPÖ vor allem über weitere Schnellstraßen, die das Problem weiter verschärfen werden.

Klingelfee

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #169 am: 14. März 2022, 19:58:14 »
@ fast alle anderen: die meisten hier scheinen reine Stadtbewohner zu sein. Ich kenne aus meinem privaten Umfeld einige Fälle, die in Dörfern wohnen, wo es eine Kirche, ein Wirtshaus, bestenfalls einen Allgemeinmediziner, aber keinen Greissler gibt. Der nächste Facharzt, die nächste Lebensmitteleinkaufmöglichkeit sind in der Marktgemeinde A, 10 km entfernt. Das nächste Taxi ist in der Stadt B, ebenfalls 10 km entfernt, aber in einer anderen Richtung. Bus? Ja, den gibt es, aber nur Mo - Fr alle 2 Stunden, abgesehen von der HVZ.

Das ist allerdings ein selbstverstärkendes System: Die Leute fahren Auto, weil die Busanbindung so schlecht ist, und die Busanbindung ist so schlecht, weil so viele Leute Auto fahren statt mit dem Bus.
Du hast recht. Aber stell dir ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern vor, von denen die Hälfte in der Stadt in der Arbeit ist, ein Viertel in der Schule/FH/Uni und nur 100 oder 150 Pensionisten und Arbeitslose zuhause sind. Wie oft sollen da die Busse in die verschiedenen Richtungen, in die verschiedenen Städte und Marktgemeinden fahren?

Es gibt ja auch noch andere Modelle, z.B. Ruf- oder Bürgerbusse (oder bei ganz wenig Bedarf halt Taxigutscheine).

Aber die Situation, die Du beschreibst, ist doch die direkte Folge autozentrierter Raumplanung (wobei "-planung" sowieso ein Euphemismus dafür ist). Vor der Massenmotorisierung sind ja Menschen am Land auch nicht verhungert. Die Massenmotorisierung hat über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gewachsene Strukturen zerstört und die Abhängigkeit zum Auto überhaupt erst geschaffen. Wie absurd diese Abhängigkeit ist, sieht man ja an dieser Diskussion: wir müssen also in Kauf nehmen, dass zum Führen eines Kraftfahrzeugs gesundheitlich ungeeignete Personen sich und andere gefährden, weil sie sonst verhungern müssen. Wie krank ist das eigentlich?

Und in dieser zersiedelten Landschaft lassen sich natürlich auch Verkehrsströme schlecht bündeln, was wiederum eine schlechte Voraussetzung für ÖV ist.

Nun wird man es kaum schaffen, diese Fehlentwicklung kurzfristig zurückzudrehen; aktuell schafft man es aber noch nicht mal, sie wenigstens anzuhalten. Stattdessen definieren sich ÖVP und SPÖ vor allem über weitere Schnellstraßen, die das Problem weiter verschärfen werden.

Das Problem ist halt im ländlichen Bereich, dass auch bei einem Rufbussystem Wartezeiten von 1-2 Stunden geplant werden müssen.

Wir hier in Wien sind nun mal mit einem dichten Öffi und auch zahlreichen Taxi gesegnet. Das hast du im ländlichen Bereich nicht.
Bitte meine Kommentare nicht immer als Ausrede für die WL ansehen

haidi

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #170 am: 14. März 2022, 20:07:28 »
Wir hier in Wien sind nun mal mit einem dichten Öffi und auch zahlreichen Taxi gesegnet. Das hast du im ländlichen Bereich nicht.
Ternitz hat 3 Taxiunternehmen, aber unter 1/2 Stunde Vorlaufzeit geht gar nichts.
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abc

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #171 am: 14. März 2022, 20:34:40 »
Das Problem ist halt im ländlichen Bereich, dass auch bei einem Rufbussystem Wartezeiten von 1-2 Stunden geplant werden müssen.

Jetzt mal abgesehen davon, dass das nicht der Kern meines Beitrags war: Welche Termine haben Senior/innen denn so spontan, dass sie sofort vom Sessel aufspringen und losfahren müssen?

Ja, es ist etwas anderes als jederzeit überall hinzukommen. Aber im Zweifelsfall ist das der bessere Weg, als sich und andere zu gefährden.

Klingelfee

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #172 am: 14. März 2022, 20:45:16 »
Das Problem ist halt im ländlichen Bereich, dass auch bei einem Rufbussystem Wartezeiten von 1-2 Stunden geplant werden müssen.

Jetzt mal abgesehen davon, dass das nicht der Kern meines Beitrags war: Welche Termine haben Senior/innen denn so spontan, dass sie sofort vom Sessel aufspringen und losfahren müssen?

Ja, es ist etwas anderes als jederzeit überall hinzukommen. Aber im Zweifelsfall ist das der bessere Weg, als sich und andere zu gefährden.

Es geht da nicht unbedingt darum, das die Leute aufspringen und zu einem Termin fahren wollen. Das kann man planen, aber nicht der Retourweg. Der ist oft nicht planbar. Oder weißt du in vorhinein, wie lange du zum beispiel bei einem Arzt wartest?

Und ich bin nicht nur einmal mit meiner Mutter nach einem Arztbesuch noch über eine Stunde beim Arzt gesessen, weil der Fahrtendienst so lange gebraucht hat.
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Z-TW

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #173 am: 14. März 2022, 21:03:58 »

Aber die Situation, die Du beschreibst, ist doch die direkte Folge autozentrierter Raumplanung (wobei "-planung" sowieso ein Euphemismus dafür ist). Vor der Massenmotorisierung sind ja Menschen am Land auch nicht verhungert. Die Massenmotorisierung hat über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gewachsene Strukturen zerstört und die Abhängigkeit zum Auto überhaupt erst geschaffen. Wie absurd diese Abhängigkeit ist, sieht man ja an dieser Diskussion: wir müssen also in Kauf nehmen, dass zum Führen eines Kraftfahrzeugs gesundheitlich ungeeignete Personen sich und andere gefährden, weil sie sonst verhungern müssen. Wie krank ist das eigentlich?

Nun wird man es kaum schaffen, diese Fehlentwicklung kurzfristig zurückzudrehen; aktuell schafft man es aber noch nicht mal, sie wenigstens anzuhalten. Stattdessen definieren sich ÖVP und SPÖ vor allem über weitere Schnellstraßen, die das Problem weiter verschärfen werden.

Ich erwähne bei derartigen Diskussionen immer wieder gern das - symptomatische - Beispiel des kleinen Ortes Hippersdorf (ca. 200 EW), wo ich viele Ferien bei der Großmutter verbrachte. Ende der 1950er bis weit in die 1960er gab es ein Volksschule, ein Gemeindeamt, ein Gasthaus, zwei Greißler, eine Mühle, einen Schuster, eine Tischlerei, ein Milchkasino, eine ortsnahe Hst. an der Franz Josefs-Bahn (Absberg). All das ist verschwunden in Folge des zunehmenden IV. Um diese Infrastruktur weiterhin in Anspruch zu nehmen, muss in andere Orte gefahren werden - natürlich mit dem Auto. Besonders bemerkenswert: Früher fuhr man mit der Bahn 3 Min. von Absberg nach Absdorf-Hippersdorf, nun mit dem Bus 20 Min. Das tut sich natürlich niemand an, daher sind die Busse außer den Schülerkursen stets leer unterwegs. Aber man hat ja ein Öffi-Angebot, leider, leider nutzt es niemand.

Katana

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #174 am: 14. März 2022, 21:09:51 »
@ fast alle anderen: die meisten hier scheinen reine Stadtbewohner zu sein. Ich kenne aus meinem privaten Umfeld einige Fälle, die in Dörfern wohnen, wo es eine Kirche, ein Wirtshaus, bestenfalls einen Allgemeinmediziner, aber keinen Greissler gibt. Der nächste Facharzt, die nächste Lebensmitteleinkaufmöglichkeit sind in der Marktgemeinde A, 10 km entfernt. Das nächste Taxi ist in der Stadt B, ebenfalls 10 km entfernt, aber in einer anderen Richtung. Bus? Ja, den gibt es, aber nur Mo - Fr alle 2 Stunden, abgesehen von der HVZ.

Das ist allerdings ein selbstverstärkendes System: Die Leute fahren Auto, weil die Busanbindung so schlecht ist, und die Busanbindung ist so schlecht, weil so viele Leute Auto fahren statt mit dem Bus.
Du hast recht. Aber stell dir ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern vor, von denen die Hälfte in der Stadt in der Arbeit ist, ein Viertel in der Schule/FH/Uni und nur 100 oder 150 Pensionisten und Arbeitslose zuhause sind. Wie oft sollen da die Busse in die verschiedenen Richtungen, in die verschiedenen Städte und Marktgemeinden fahren?

Es gibt ja auch noch andere Modelle, z.B. Ruf- oder Bürgerbusse (oder bei ganz wenig Bedarf halt Taxigutscheine).

Aber die Situation, die Du beschreibst, ist doch die direkte Folge autozentrierter Raumplanung (wobei "-planung" sowieso ein Euphemismus dafür ist). Vor der Massenmotorisierung sind ja Menschen am Land auch nicht verhungert. Die Massenmotorisierung hat über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gewachsene Strukturen zerstört und die Abhängigkeit zum Auto überhaupt erst geschaffen.
Dass in einem Dorf früher 20 bäuerliche Familien sich von ihrer Landwirtschaft ernähren konnten und heute nur mehr vier, hat was mit Motorisierung zu tun?


wir müssen also in Kauf nehmen, dass zum Führen eines Kraftfahrzeugs gesundheitlich ungeeignete Personen sich und andere gefährden, weil sie sonst verhungern müssen. Wie krank ist das eigentlich?
Darauf hat schon haidi die passende Antwort gegeben:
Ich bin viel in Ternitz, ein reativ hoher Anteil an älteren Aufofahrern (inclusive mir). Auffallen tun sie mir eigentlich fast nur, weil sie langsam fahren. Aber solche Sachen, wie du sie schilderst, kommen auch unter Jungen vor. Der letzte grobe Vorfall, ein entgegenkommender Linksabbieger, der mich "übersehen" hat und dann halb abgebogen angehalten hat, war ein Jungspund. Ich hab als alter Hase doch blitzschnell durch Bremsen und ausweichen reagiert und dabei auch überlegt, wie ich weiter mache (Gehsteig, schmale Straße).
Verachte mir die Alten nicht! Aber es ist zwischen Alten und Fahruntauglichen zu unterscheiden.

Und in dieser zersiedelten Landschaft lassen sich natürlich auch Verkehrsströme schlecht bündeln, was wiederum eine schlechte Voraussetzung für ÖV ist.
Seit Jahrhunderten bestehende Dörfer sind Zersiedelung?

haidi

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #175 am: 15. März 2022, 00:09:46 »
Und in dieser zersiedelten Landschaft lassen sich natürlich auch Verkehrsströme schlecht bündeln, was wiederum eine schlechte Voraussetzung für ÖV ist.
Seit Jahrhunderten bestehende Dörfer sind Zersiedelung?
In den letzten Jahrhunderten bis Mitte des vorigen war das keine Zersiedelung im heutigen Sinn. Die einzelnen Dörfer waren doch relativ autarke Gemeinschaften wo sogar der junge Mann aus dem Nachbardorf, der sich für ein Mädel interessiert hat, ein Eindringling war. Heutzutage mit dem Individualverkehr führen diese Dörfer zu Verkehrsaufkommen, weniger der Verkehr zwischen zwei dieser Dörfer, viel mehr der Verkehr von den Dörfern zu Zentren wie die Bezirksstadt, zu  größeren Städten und bis Wien.
Ich hatte eine Arbeitskollegin, die auch so in den Fünfzigern geboren war und in Salzburg (Land) aufgewachsen ist. Sie hat erzählt, dass der örtliche Fuhrwerksunternehmer Fahrten nach Salzburg Stadt durchgeführt hat, die Leute sind auf Banken auf der Pritsche des LKWs gesessen.
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Katana

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #176 am: 15. März 2022, 06:47:56 »
Und in dieser zersiedelten Landschaft lassen sich natürlich auch Verkehrsströme schlecht bündeln, was wiederum eine schlechte Voraussetzung für ÖV ist.
Seit Jahrhunderten bestehende Dörfer sind Zersiedelung?
In den letzten Jahrhunderten bis Mitte des vorigen war das keine Zersiedelung im heutigen Sinn. Die einzelnen Dörfer waren doch relativ autarke Gemeinschaften [...] Heutzutage mit dem Individualverkehr führen diese Dörfer zu Verkehrsaufkommen, weniger der Verkehr zwischen zwei dieser Dörfer, viel mehr der Verkehr von den Dörfern zu Zentren wie die Bezirksstadt, zu  größeren Städten und bis Wien.
Das stimmt zwar, kann aber nicht darin münden, dass 3/4 der heutigen Dorfbevölkerung ihr Zuhause verlassen soll, um sich in Ballungszentren anzusiedeln.

abc

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #177 am: 15. März 2022, 07:24:50 »
Das stimmt zwar, kann aber nicht darin münden, dass 3/4 der heutigen Dorfbevölkerung ihr Zuhause verlassen soll, um sich in Ballungszentren anzusiedeln.

Nein, es sollte darin münden, gezielt wieder Dorfstrukturen zu fördern, und im regionalen Maßstab Zentren (= Kleinstädte), in denen sich eben alles, was man kurz- und mittelfristig braucht, auf relativ engem Raum konzentriert ist. Das erlaubt dann auch eine gewisse Bündelung von Verkehrsströmen, was der Wirtschaftlichkeit von ÖV entgegenkommt. Dazu wo immer möglich ein einigermaßen flächendeckendes Radwegenetz.

Das eigentliche Problem ist doch der elendige Siedlungsbrei, der sich seit Jahrzehnten immer weiter ausbreitet und Dorf- und Stadtstrukturen schädigt, weil eben nur vom Auto aus gedacht wird. Aktuell hat man in der Politik (zumindest in den Teilen, die im konkreten Fall entscheiden) noch nicht einmal das als Problem erkannt und schafft es dementsprechend auch nicht, in einem allerersten Schritt die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte wenigstens anzuhalten (ich rede noch nicht mal von Umkehr!).

Das ist nicht nur umwelt- und klimaschädlich, sondern auch asozial, weil Menschen, die aus irgendeinem Grund (Armut, Gesundheit, Alter [Kinder und Jugendliche] etc.) nicht Auto fahren können, grundlegendste Mobilitätsbedürfnisse nicht erfüllen können. Und es führt eben zu so absurden Situationen, dass man Menschen, die absolut ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs sind und die eine Gefahr für sich und andere darstellen, die Fahrerlaubnis nicht entziehen kann/möchte.

Dass man am Land ohne Auto klar kommt, behauptet übrigens auch niemand - genau das ist ja das Problem. Aber indem dieses Strohmannargument (gern in der Form "Diese dummen Bobos aus dem 7. Bezirk wollen uns das Autofahren verbieten!!1!") wieder und wieder vorgebracht wird, werden die wirklich interessanten und wichtigen Diskussionen verhindert: Wie viele der heutigen Autofahrten sind denn tatsächlich alternativlos? Wie viele könnten durch Fahrgemeinschaften, wie viele durch Fuß- und Radwege oder ÖV ersetzt werden, zumindest abschnittsweise? Was muss man tun, um diesen Anteil zu erhöhen?

Der VCÖ verweist übrigens darauf, dass 40 % der mit dem Auto zurückgelegten Wege max. 5 km lang sind, 7 % gar kürzer als einen Kilometer. Nun mag der VCÖ natürlich gewisse Interessen haben - es gibt aber auch Zahlen aus Deutschland (dort im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erhoben), die ähnliche Dimensionen aufweisen, insofern halte ich sie nicht ganz aus der Luft gegriffen. Und mit Verlaub: die Annahme, dass das alles Menschen sind, die zu alt oder zu krank zum Gehen oder Radfahren sind oder die auf 2.000 m Höhe auf einer Alm leben und ins Tal (und vor allem hinterher wieder rauf) kommen müssen, scheint mir wenig plausibel.

coolharry

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #178 am: 15. März 2022, 07:37:30 »
Nein, es sollte darin münden, gezielt wieder Dorfstrukturen zu fördern, und im regionalen Maßstab Zentren (= Kleinstädte), in denen sich eben alles, was man kurz- und mittelfristig braucht, auf relativ engem Raum konzentriert ist. Das erlaubt dann auch eine gewisse Bündelung von Verkehrsströmen, was der Wirtschaftlichkeit von ÖV entgegenkommt. Dazu wo immer möglich ein einigermaßen flächendeckendes Radwegenetz.

Ändert aber auch nichts daran, dass es dann trotzdem nicht in jedem Ort alles gibt. Weils ja auch gar nicht sinnvoll möglich ist. Aber natürlich ist ein fahrender Händler, um ein Beispiel zu nennen, ökologischer als wenn zehn Kunden jeweils allein zum nächsten Supermarkt fahren.
Da dieser aber weder preislich noch auswahltechnisch mithalten kann, ist das ganze zum Scheitern verurteilt (ausgenommen sind hier ein paar Nischen z.B. Bäcker).

Aber jetzt geht grad meine Fantasie mit mir durch. Der Fahrende Supermarkt auf Schienen. In einen 5-6 Wagen Zug bekommt man sicher die Fläche einer Hoferfilliale unter. Montags in Ort A, Dienstags in Ort B, Mittwochs in Ort C usw.. Ideen gäbs wohl genug aber kostendeckend wird das meiste nicht sein.
Weil ein menschlicher Hühnerstall nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann.

abc

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Re: ZDF Magazin Royale vom 17.9.2021: Autos first, Mensch second
« Antwort #179 am: 15. März 2022, 08:42:15 »
Nein, es sollte darin münden, gezielt wieder Dorfstrukturen zu fördern, und im regionalen Maßstab Zentren (= Kleinstädte), in denen sich eben alles, was man kurz- und mittelfristig braucht, auf relativ engem Raum konzentriert ist. Das erlaubt dann auch eine gewisse Bündelung von Verkehrsströmen, was der Wirtschaftlichkeit von ÖV entgegenkommt. Dazu wo immer möglich ein einigermaßen flächendeckendes Radwegenetz.

Ändert aber auch nichts daran, dass es dann trotzdem nicht in jedem Ort alles gibt. Weils ja auch gar nicht sinnvoll möglich ist. Aber natürlich ist ein fahrender Händler, um ein Beispiel zu nennen, ökologischer als wenn zehn Kunden jeweils allein zum nächsten Supermarkt fahren.
Da dieser aber weder preislich noch auswahltechnisch mithalten kann, ist das ganze zum Scheitern verurteilt (ausgenommen sind hier ein paar Nischen z.B. Bäcker).

Es würde aber zumindest den sozialen Teil verbessern, die Abhängigkeit des und der Einzelnen vom Auto zumindest reduzieren, und es fiele ein Grund weg, der gern gegen regelmäßige gesundheitliche Untersuchungen zum Erhalt der Fahrerlaubnis genannt wird. Eine gewisse Chance für zumindest nicht ganz kleine Orte sind Lebensmittelmärkte ohne Personal oder auch Linienbusse mit Lebensmittelverkauf. Sicher wird es dann immer noch abgelegene Weiher oder Kleinsiedlungen geben, in denen sich solche Angebote nicht ausgehen, aber der Umstand, dass man keine 100 % erreichen kann, heißt ja nicht, dass man zumindest darauf hin arbeiten sollte.