Vielleicht erinnern sich noch manche an den von mir
hier letztes Jahr eingestellten Reisebericht aus Georgien und Armenien. Nun, dieses Jahr waren wir wieder dort und bei Interesse werde ich gelegentlich wieder einen Reisebericht schreiben, diesmal samt vieler neuer Sehenswürdigkeiten, ein paar Bahnfahrten, einem nicht anerkannten Staat sowie einer Schiffahrt quer über das Schwarze Meer.
Vorerst aber nur ein kleiner Ausschnitt, zum Thema passend: dank moszkva térs wunderbarer Berichterstattung in diesem Thread und weil Seilbahnen auf mich schon seit jeher einen großen Reiz ausüben, mußte dieses Jahr auch die Seilbahnstadt Chiatura/Tschiatura besichtigt werden. Wir hatten zwar nur wenig Zeit, es hat stellenweise recht stark geregnet und mir ist am nächsten Tag bedauerlicherweise meine zweite Kamera mit zahlreichen Fotos abhanden gekommen. Trotzdem hoffe ich, hier einige neue Perspektiven der Stadt zeigen zu können - damit wird das Tramwayforum wahrscheinlich mit Abstand über die höchste Informations- und Bilddichte zu Chiatura im deutschsprachigen Netz verfügen (in Reiseführern wird die Stadt übrigens prinzipiell ausgeklammert).
Die Anreise nach Chiatura erfolgte ab Kutaisi leider nicht mit der Bahn (die fährt zu völlig unbrauchbaren Zeiten), sondern mit der Marschrutka. Die Fahrt dauert knapp zwei Stunden und ist landschaftlich recht schön, wovon wir allerdings nicht besonders viel mitbekamen, da unterwegs eine Frau mit mehreren Kanistern
Kwas einstieg, die von der halben Marschrutkabesetzung während der Fahrt vor dem Umfallen bewahrt werden mußten. Schließlich erreichten wir aber ohne gröbere Überschwemmungen die Stadt Chiatura.
Ins Auge sticht gleich in der Nähe des Marktes die Dreifachtalstation mit Seilbahnen in drei Himmelsrichtungen, von der moszkva tér im Thread ein Bild gepostet hat. Von der oberen Plattform konnte man bei uns gut sehen, daß eine der drei Seilbahnen momentan (vermutlich aus Wartungsgründen) stillstand.
Uns war das relativ egal, wir bestiegen gleich die nächste, von außen baugleiche Bahn - wenn man mehrere Linien im selben Gebäude zur Auswahl hat, ist das ja kein Problem. Es stellte sich heraus, daß diese Seilbahn kostenpflichtig ist: pro Person werden ganze 20 Tetri (10 Cent) fällig. Nachdem diese auch von uns aufgebracht werden konnten, ging die Fahrt los. Hier das Innere der Kabine, ganz links steht die Frau der Seilbahngesellschaft, leider sieht man die für diese Arbeit besonders praktischen hochhackigen Schuhe am Bild nur sehr schlecht.
Wir überfuhren das "perfekte Rasengleis" (den Bahnhof von Chiatura), das sogar auf einer Fußgängerbrücke überquert werden könnte. Einzig, es macht keiner...
Die Seilbahn brachte uns zu einem Wohnviertel weit über der Stadt, von der sich folgendes Bild bot:
Da es zu regnen anfing, blieben wir in der Umgebung der Station, die ohnehin ausreichend interessant war. Hier der Turm der Bergstation samt Warteraum:
So schwebt die Bergstation über der Stadt (und durch die Topographie wird jetzt auch klar, daß die Seilbahnen Sinn haben):
In die andere Richtung geblickt ergibt sich ein Suchbild: Finde die Seilbahn!
Die Seilbahn, mit der wir gekommen waren, verfügt nur über ein Seil. Im unteren Teil des Bergstationturms befindet sich allerdings ein Gegengewicht, das sich (sehr) langsam bewegt. Manche Seilbahnen, wie diese hier, verfügen darüber hinaus über ein automatisches Bremssystem, das im Notfall wirkt. 2008 riß das Zugseil einer Seilbahn, das Bremssystem funktionierte "Gott sei Dank", wie es der Leiter der Seilbahngesellschaft damals ausdrückte. Zwölf Stunden lang hingen Passagiere weit über der Stadt, ehe ein aus Tiflis herbeigeorderter Rettungstrupp sie befreien konnte.
Wir nahmen die nächste Seilbahn, die eine halbe später Stunde kam (die Seilbahndame mußte ab der Talstation zwischenzeitlich eine weitere Seilbahn bedienen) wieder ins Tal. Nach einer Stärkung in einem Schanigarten setzten wir die Stadterkundung fort und kamen bald zu einer weiteren Talstation, von der eine sehr stark ansteigende Seilbahn, die "Friedensbahn", zu einem Manganstollen führt. Man beachte bitte auch die schön sowjetische Laternengestaltung.
In der Talstation der "Friedensbahn" befindet sich dieses Hinweisschild. Errichtet wurde die Bahn 1966, die Kabinen überwinden eine Steigung von 48°.
Und da kam auch schon die Kabine herabgefahren! Es handelt sich dabei um einen besseren Blechcontainer mit Bullaugen und Krähennest. Im Gegensatz zur vorher besuchten Seilbahn läuft die "Friedensbahn" ohne automatisches Bremssystem. Die beiden Kabinen halten und bremsen sich gegenseitig. Das führt dazu, daß bei einem Riß des Zugseils die Kabine über das Tragseil hinuntersaust. Das passierte 1990 bei einer Seilbahn ähnlicher Bauart in Tiflis. Damals kamen 25 Menschen um.
Mit dem Ding fährt es sich ungefähr so komfortabel, wie es aussieht (dafür spart man sich die 10 Cent, die Benutzung ist gratis und die Seilbahn fährt ständig auf und ab). Aus dem folgenden Bild, kurz vor Erreichen der Bergstation entstanden, kann man nachvollziehen, wie steil die Seilbahntrasse verläuft. Stellenweise gleiten die Kabinen auch nur wenige dutzend Zentimeter über dem Fels dahin.
Die zweite Seilbahn, die unten nach links weggeht, führt sehr lange (dafür flacher) zu einem Wohngebiet auf einem anderen Berg, von dem über eine weitere Seilbahn andere Stollen erreicht werden können. Sie nennt sich "Seilbahn 25".
Wir aber fuhren mit der "Friedensbahn". Oben angekommen, sahen wir uns erst einmal um. Besonders viel gibt es am Berg nicht, ein Weg führt in Richtung Manganerzstollen, ein anderer woandershin. Wir schlagen zuerst diesen ein und entdecken ein altes, wohl noch immer in Betrieb befindliches Umspannwerk.
Unmittelbar daneben befindet sich dieser aus zahlreichen unterschiedlichen Materialien zusammengeflickte Zaun.
Nun zog es uns in Richtung Manganerzstollen. Schon von weitem sahen wir, dass auch eine andere Seilbahn auf den Berg führte, allerdings handelt es sich dabei um eine Materialseilbahn zum Abtransport von Erz.
Kurze Zeit später hatten wir die Grubenbahn erreicht, die sich von der Bergstation der Materialseilbahn bis zum Stollen zieht. Davor saßen einige Bergarbeiter, die zuerst wenig Notiz von uns nahmen. Wir waren uns nicht sicher, ob wir das Betriebsgebiet betreten dürfen, noch dazu befand sich auch ein Soldat in der Nähe. Doch die Arbeiter winkten uns, daß wir doch näherkommen sollten. So betraten wir das Gelände der Grubenbahn und sahen gleich einer Lok beim Verschub zu. Die Stromleitung hängt gefährlich nahe über dem Boden (ca. 1,80-1,90m) und um die Lok in Bewegung zu setzen, wird der Stromabnehmer einfach gegen den Fahrdraht gedrückt, was fast permanentes Blitzen erzeugt.
Gleich darauf rumpelte der Zug an uns vorbei in Richtung Stollen. Man gebe sich bitte den Gleiszustand - so etwas habe ich noch nirgendwo gesehen. Und darauf verkehren täglich schwere Güterzüge!
Zum Glück für uns wurde später sogar die Lok gewechselt. Im Bild weiter hinten ist die Schleifenanlage sichtbar, die auf Holzstelzen ins hohe Tal hineinragt.
Nach einigem Zuschauen (die Bergarbeiter nahmen währenddessen überhaupt keine Notiz von uns, wir konnten am Gelände herumgehen und problemlos Fotos machen) verließen wir das Bergwerksgelände. Wie viele Menschen dort wohl vor einigen Jahrzehnten gearbeitet haben, um 40% der Weltmanganerzproduktion abzubauen? Spannend ist eine Reise in die Vergangenheit in Chiatura ganz besonders. Dort findet man einen der ganz seltenen Industriebetriebe der (Vor-)Sowjetzeit vor, der noch immer, wenn auch sicherlich abgeschwächt, in Betrieb ist. Er liefert ein eindrucksvolles Zeugnis von der Beständigkeit damaliger Technik einerseits als auch der unglaublichen Tristesse andererseits, in der die Einheimischen zwei Dutzend Jahre nach Ende der Sowjetunion leben und das Werkl so gut es geht aufrechterhalten.
Danke für das Interesse.
Zum Abschluß noch zwei Kabinen der "Seilbahn 25", der allerersten Seilbahn überhaupt in der UdSSR, errichtet 1954. Sie läuft also seit fast 60 Jahren ohne Unterbrechung im Originalzustand. 2014 soll sie, wenn Finanzmittel fließen, ersetzt werden.