Autor Thema: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris  (Gelesen 10599 mal)

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GS6857

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[FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« am: 04. Oktober 2011, 12:37:50 »
Zitat
Straßenbahn-Comeback in Paris

Vive le Tram!

Von Stefan Simons

Vor 60 Jahren zuckelte in Paris die letzte Tram ins Depot. Nun wird mit viel Pomp eine neue Straßenbahnstrecke eröffnet: Ganz Frankreich erhofft sich von dem Uralt-Verkehrsmittel die Wende zu moderner Mobilität. Es ist leise, schnell, komfortabel - die ersehnte Rettung vor dem Auto-Infarkt.


"Dong-Dong" - erst ist es nur ein heller Glockenschlag, dann nähert sich auf den Gleisen im kurz geschnittenen Rasen fast lautlos ein mehrteiliger Triebwagen. An Kreuzungen springt die Ampel für ihn automatisch auf Grün, Fußgänger und Autofahrer blicken ein wenig irritiert.
 
"Ein Superteil." Olivier Rampnoux, 39, der den Hightech-Zug von der verglasten Kanzel aus steuert, war bis zur Umschulung im Juni Busfahrer. Nach 14 Jahren am Lenkrad genießt er den neuen Arbeitsplatz. "Kein Ticketverkauf, keine Anfragen von genervten Fahrgästen, kein Stress", lobt er den abgeschlossenen Fahrstand. Einzige Umstellung: Der längere Bremsweg des schweren Schienenfahrzeugs, das sich freilich meist auf der eigenen, begrünten Trasse bewegt. "Das bedeutet weniger Stress, aber einen weiteren Vorausblick", meint Rampnoux und grinst: "Denn anders als beim Bus – ausweichen geht nicht."
 


Eiffelturm, Louvre, Champs-Élysées: Zu den Sehenswürdigkeiten von Frankreichs Hauptstadt gehörte immer schon, wenn auch weniger spektakulär, ein weiteres Pariser Symbol – die Métro. Jetzt bekommt das legendäre Vehikel moderne Konkurrenz. Am Wochenende wird mit großem propagandistischem Pomp das jüngste Transportmittel eingeweiht: Paris feiert den Start seiner neuen eigenen Straßenbahn. Technisch schlicht "T3" heißt das Nahverkehrswunder von Paris, mit dem auch Besucher den Stadtrand der Kapitale kennen lernen können – oberirdisch und mit Komfort.
 
Renaissance der Ringbahn

Die Renaissance der Tram, rund 60 Jahre nachdem in der Hauptstadt die letzte quietschende Rostlaube für immer ins Depot geschickt wurde, steht für einen Richtungswechsel kommunaler Verkehrspolitik – nicht nur in Frankreichs größter Metropole.
 
Denn mit der zunächst gerade mal 7,9 Kilometer langen Strecke zwischen der Pont Gariglino und der Porte d’Ivry quer durch den Südwesten betritt Paris Neuland. In Vorstädten gibt es zwar schon die Strecken T1 und T2, aber noch nicht in der französischen Hauptstadt selbst. Die Idee ist jetzt: Neben dem vornehmlich sternförmig ausgefächerten Plan des Métro-Netzes und den mäandernden Spuren der Bus-Linien erhält die Stadt eine Ringbahn - die T3 ist das erste Teilstück.
 
Die Tram, die alle vier Minuten verkehrt, wird entlang der sogenannten Maréchaux verlaufen, den nach berühmten Generälen benannten Boulevards, die Paris wie ein Gürtel umgeben - oder strangulieren, wie Anwohner sagen, die unter Verkehrsüberlastung, Abgasen und Lärm leiden.

Da soll die Straßenbahn Abhilfe schaffen: Die eleganten Wagen in Grün-Weiß sollen mit etwa 100.000 Personen täglich fast doppelt so viele Pendler transportieren wie die hier verkehrenden Busse. Und das neue Grün und der verminderte Verkehr sollen für neue Wohnqualität sorgen.
 
Bei dem 311 Millionen Euro teuren System, finanziert von Stadt, Region, Zentralregierung und dem Betreiber RATP, handelt es sich nicht nur um ein weiteres kollektives Transportmittel. Für den sozialistischen Bürgermeister Bertrand Delanoe und seinen grünen Koalitionspartner im Stadtrat ist die Tramway ein ökologisches Glaubensbekenntnis.

Breite Fuß- und Fahrradwege, mit tausend Bäumen bepflanzte Grünanlagen und "Kunst am Bau" sollen die Straßenbahn zum Aushängeschild urbanen Fortschritts machen. "Wir haben hier eine Schlagader des Auto-Transits zu einem Ort des Lebens und einem Spazierweg umgebaut", erklärt ein Mitarbeiter des Bürgermeisters. Und Chefdesigner Yo Kaminagai, der das Gesamtkonzept der Bahn entwarf, sieht die Tram als "Symbol der Zukunft – so wie vor 100 Jahren die Métro".
 
"Im Rausch der Tramway"

Es ist nicht die einzige französische Stadt, die sich auf die Vorzüge des elektrischen Schienenverkehrs besinnt: Straßburg, Nantes und Bordeaux verfügen längst über moderne Straßenbahnen, die Städte Valenciennes, Mulhouse und Saint-Etienne sprangen in diesem Jahr auf den Trend auf. Und im nächsten Jahr sollen in Nizza, Marseille, Grenoble und Le Mans weitere Linien folgen. "Ein Rekord", freut sich das Wochenblatt "Journal de Dimanche" und konstatiert: "Frankreich im Rausch der Tramway".
 
Die Ursprünge der verkehrspolitischen Wende gehen auf die Ölkrise Anfang der achtziger Jahre zurück, nachdem die Straßenbahn zuvor lange als überholtes altbackenes Verkehrsmittel abgetan worden war. Dabei rollen die Tramways und ihre Vorläufer in Frankreich schon seit 1853. Die Vehikel, die damals in Paris verkehrten, waren allerdings nicht mehr als schienengebundene Kutschen, gezogen von einem Pferdegespann. Später wurden die tierischen PS durch Dampfantrieb ersetzt, nach der Weltausstellung von 1881 in Berlin setzte sich mehr und mehr die Technik der Firma Siemens durch: Die "Elektrische" wird zum Auftakt des 20. Jahrhunderts ein Symbol des Fortschritts – ein Personentransport, der sparsam, schnell und effizient ist.
 
Die meisten Straßenbahnen wurden in den dreißiger Jahren wieder abgebaut. Das Ende der ersten Trambahnära wurde dann nach dem Zweiten Weltkrieges eingeläutet: Mit dem Wiederaufbau bekam der individuelle Verkehr grünes Licht. Städte wurden für die Autos umgebaut, Zubringer sollten die Vororte mit den Zentren verbinden, Bus und Métro die veralteten Schienenfahrzeuge ersetzen – während gleichzeitig etwa in Paris die romantischen Seine-Quais zu Schnellstraßen umgerüstet wurden. Präsident George Pompidou, der sich damit ein städtebauliches Denkmal setzte, verkündete noch 1971 zukunftsgläubig: "Die Stadt muss sich dem Auto anpassen."
 
Aushängeschild einer ökologisch korrekten Verkehrspolitik

Erst die steigenden Energiekosten und der Verkehrskollaps der Innenstädte haben die Rückbesinnung auf das alte kollektive Transportmittel ausgelöst. Acht Städte beteiligen sich an dem Regierungsprojekt, das für die Zentren neue, moderne Fahrtechnik vorsieht. Nach Nantes ist es vor allem Straßburg, das den Ausbau des Tramnetzes konsequent mit der Stadtplanung vorantreibt. Die verglasten, schnittigen Großraumwagen, die zudem leise und bequem sind, werden zum Aushängeschild einer zeitgemäßen und ökologisch korrekten Verkehrspolitik.
 
Seither gewinnt die Tram an Terrain: Montpellier, Nizza wie Nantes setzen auf die saubere Lösung, Caen und Nancy entscheiden sich für die billigere Lösung mit Trolley-Bussen. Und in Bordeaux leisten sich die Stadtväter für die malerische Innenstadt gar eine Straßenbahn, die teilweise den Strom über eine dritte im Boden eingelassene Schiene erhält – damit entfallen die hässlichen Oberleitungen. Peinlicher Patzer allerdings: Bei der Einweihung mit Präsident Jacques Chirac blieb die Bahn mit der innovativen Technik stehen.
 
Trotz derartiger Anlaufschwierigkeiten ist die Straßenbahn heute durchweg populär. "Die Tram ist ein famoses Werkzeug für städtische Renovierungsvorhaben", sagt Michel Duchène, Vizebürgermeister von Bordeaux. Denn die – im Vergleich zur U-Bahn – geringeren Investitionskosten und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 20 Kilometern pro Stunde machen die Tram zur attraktiven Alternative – allerdings meist auf Kosten der Autofahrer.
 
So auch in Paris: Dort war der Verkehr auf den Ringstraßen entlang der südlichen Stadtgrenzen durch die Bauarbeiten lange behindert. Und weil die Schienen auf einer eigenen, üppig begrünten Trasse verlaufen, sind nicht nur Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr entfallen; obendrein sind die Ampeln so geschaltet, dass die Tram stets Vorfahrt bekommt. "Wir haben die Konsequenzen des Umbaus ausgebadet", schimpft ein Taxifahrer verbittert. "Erst gab es hier monatelang Staus, und jetzt geraten die Boulevards zu veritablen Kriechspuren."
 
Vorfahrt für den öffentlichen Nahverkehr

Das ist offenbar Teil des Plans. Denn nach dem Willen des Rathauses soll künftig ein Teil der insgesamt 35 Millionen Fahrten, die täglich im Großraum um Paris anfallen, auf öffentliche Verkehrsmittel umgelenkt werden. Verantwortlich für den täglichen Stau in der flächenmäßig kleinen Hauptstadt von 105 Quadratkilometern (Berlin: 889) sind nämlich vor allem die Pendler - mehr als die Hälfte der Pariser Bürger besitzen kein Auto mehr, im Umland sind es gerade mal 28 Prozent. Eine Wahl, die den 2,1 Millionen Hauptstädtern nicht schwer fallen dürfte – Autos quälen sich im Schnitt mit gerade 15,9 Kilometern pro Stunde durch das Pariser Straßennetz.
 
Deshalb sieht das Konzept "Groß-Paris" für die nächsten 25 Jahre mehrere konzentrische Ringe von öffentlichem Verkehr um Frankreichs Hauptstadt vor. Damit könnten jene 20 Prozent der Menschen, die sich zwischen Vorort und Vorort bewegen und heute noch gezwungen sind, in Paris umzusteigen, bald schon die Möglichkeit haben, die Metropole an der Peripherie zu umgehen.
 
Vorfahrt für den örtlichen Nahverkehr, für Fahrräder und für Fußgänger, heißt das Motto, und im Rathaus von Paris denkt man schon an eine Pkw-Maut, um den Autoverkehr weiter zurückzudrängen. "Dennoch behält jeder Verkehrsteilnehmer aber seinen Platz im öffentlichen Raum", betont Ghislaine Geffroy, bei der Stadtverwaltung zuständig für die Trambahn-Planung, "jeder hat Platz, die Autofahrer eingeschlossen."
 
Unter denen gilt die neue Straßenbahn vor allem als bewegliches Verkehrshindernis - im Gegensatz zu Geschäftsbesitzern und Restaurateuren an der Tramway-Trasse, die dank des hübscheren Ambientes jetzt auf bessere Umsätze hoffen. Bei den Lkw-Chauffeuren und Taxifahrern hat die T3 längst einen eigenen Spitznamen verdient. Sie beschimpfen die neue Tram im Pariser Südwesten schlichtweg als "stets geschlossene Schiebetür".

Quelle: http://www.spiegel.de/reise/staedte/0,1518,454054,00.html

haidi

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #1 am: 04. Oktober 2011, 14:28:39 »
Eiffelturm, Louvre, Champs-Élysées: Zu den Sehenswürdigkeiten von Frankreichs Hauptstadt gehörte immer schon, wenn auch weniger spektakulär, ein weiteres Pariser Symbol – die Métro. Jetzt bekommt das legendäre Vehikel moderne Konkurrenz.

Wenn das wer bei den WL liest.....

Hannes

Edit (tram): Falsche Quote-Tags entfernt.
Microsoft is not the answer. It's the question and the answer is NO.

GS6857

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #2 am: 05. Oktober 2011, 09:03:20 »
Zitat
Renaissance auf Schienen

Von Stefan Simons

Die Tram feiert in Frankreich ihr Comeback. Von Nantes bis Marseille setzen die Stadtväter auf neue Hightech-Straßenbahnen - sogar als Mittel zum urbanen Umbau.


Quietschgelb mit schwarzen Streifen, wie eine Art futuristische Tiger-Ente auf Schienen, zieht sie im Acht-Minuten-Takt wie ein Leuchtstreifen durch die Stadt: die neue Straßenbahn von Mülhausen. Die Tram, wie sie in Frankreich heißt, gibt der elsässischen Großstadt, die einst Wegbereiter der industriellen Revolution war und heute sichtbar mit dem Strukturwandel kämpft, neuen Stolz und Zuversicht.
 
"Wir wollten eine Tram, die auf sich aufmerksam macht", sagt Vize-Bürgermeister Michel Samuel-Weis, "als Sinnbild wirtschaftlicher Dynamik, ökologischer Rücksicht und städtischer Verschönerung: das Transportmittel als kulturelles Gesamtkonzept."
 
Für das neue Netzwerk, das fünf Gemeinden im Umkreis verbinden soll, wurden nicht nur die Straßen, Bürgersteige und Radwege grundüberholt, Bäume gepflanzt und die Schienenstrecken mit Rasen begrünt. Sondern die Stadt schrieb die Umgebung der Linien 1 und 2 sogar zur künstlerischen Gestaltung aus: Kunst an der Schiene statt Kunst am Bau. Samuel-Weis, als Sammler gut vernetzt, gewann Künstler von internationalem Renommee.
 
Tram und Straße werden eins

Der Franzose Daniel Buren schuf mächtige Bögen in der Form eines die Schienen überspannenden "Omega", das zugleich als Halterung für die Oberleitung dient. Zebrastreifen an den Bögen setzen sich teils auf dem Asphalt und an angrenzenden Hausfassaden fort und verweben optisch die Tram-Linie mit der Stadt.
 
Sein Kollege, der Deutsche Tobias Rehberger, plant sogar die weltweite Vernetzung von Tram und Stadt: Per Internet erlebt der Passant das Wetter in namensgleichen Städten in Echtzeit. An einer Haltestelle will er Licht in einem Schacht versenken, als leuchte die Sonne direkt vom australischen Shannon Rock durch den Erdball hindurch.

Der E-Musik-Komponist Pierre Henry schließlich schuf für jede Stationsansage eine eigene Erkennungsmelodie. "Die Bürger wurden an allen Vorhaben beteiligt", sagt Samuel-Weis, "sie entschieden mit über die Form der Tram-Kanzel oder gaben ihr Votum für Farben ab. Das Projekt war schon populär, bevor noch die erste Straßenbahn losfuhr."
 
Der Erfolg ist da. Tram fahren gilt als cool - und bequem. "Pünktlich, praktisch, sicher", lobt eine junge Mutter das Transportmittel, und vor allem: Es ist nachwuchstauglich. An den Haltestellen ist das Pflaster der Höhe der Einstiegstüren angepasst. "Kinderwagen? Kein Problem! Nicht dieser Alptraum wie an Bushaltestellen oder U-Bahn-Schächten."
 
Kräftiger Ausbau der Netze bis 2015

Die Renaissance der Straßenbahn ist die Antwort auf Staus und Verkehrskollaps, und das nicht nur in Mülhausen. Die Tram gehört mittlerweile in fast zwei Dutzend französischen Städten zum Markenzeichen urbaner Reformen. Nach Nantes und Grenoble, wo zuerst das einst ausgemusterte Stadtmobil wieder rollte, sind auch Bordeaux, Clermont-Ferrand, Marseille und sogar der Süden von Paris zum städtischen Schienenverkehr zurückgekehrt. Lille und Lyon prüfen den Ausbau der Netze, ebenso Caen, Brest, Nancy, Toulon ist in der Planung. Bis 2015 soll das Schienennetz landesweit um insgesamt 576 Kilometer wachsen.
 
In Mülhausens Nachbarstadt Straßburg wurde am 1. Mai 1960 die letzte Straßenbahn ins Depot geschickt, mit einem großen Festakt. Seit 1878 hatte die Tram dort zum städtischen Panorama gehört - damals als Einspänner auf Schienen, gezogen von einer kräftig schnaubenden Pferdestärke. 1930 verkehrte "die Elektrische" auf 234 Kilometern, bis weit ins ländliche Umland, so dass Arbeiterfamilien erstmals am Wochenende ins Grüne fahren konnten.
 
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Ära der Tram vorbei, galten die ratternden Triebwagen mit den Holzsitzen und den ungeheizten Waggons als altbacken. Wiederaufbau und Wirtschaftswunder verklärten den Privatwagen zum Statussymbol. "Das urbane Zukunfts- und Verkehrskonzept von damals lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen", erklärt André von der Mark, 47, Direktor für Verkehr und urbane Großprojekte des Stadtverbandes Straßburg: "Auto".
 
Schnellstraßen ließen Trams verschwinden

Durch die Städte wurden Ringstraßen, Zubringer, Tunnel und Autobahnen gebaut. Statt Trams fuhren jetzt Busse und Metrobahnen. In Paris verschwanden die romantischen Seine-Quais unter mehrspurigen Schnellstraßen. Präsident Georges Pompidou höchstpersönlich ordnete den Umbau an und verkündete, 1971, "die notwendige Anpassung der Stadt an das Auto".
 
In Straßburg stand allmorgendlich an der Place Kléber im mittelalterlichen Herz der Stadt der Verkehr still. Bis zu 70 000 Autos blockierten sich gegenseitig. Die Stadtplaner gerieten ins Grübeln. "Zunächst gab es hochfliegende Pläne für eine automatische U-Bahn", erzählt Experte von der Mark. "Das galt 1980 als modern." Doch der Grundwasserspiegel lag zu hoch, eine tiefgebaute Metro wäre zu teuer gekommen.
 
1989 bewirbt sich die Sozialistin Catherine Trautmann mit dem Slogan "Ich realisiere die Tramway" um das Straßburger Bürgermeisteramt - und gewinnt. Fünf Jahre später wird die erste Linie eingeweiht. Es ist der Beginn der Erfolgsstory der neuen Straßenbahn, die so geräuscharm durch die Altstadt gleitet, dass oft erst die Warnglocke Passanten von den Schienen scheucht. Aus den zugigen Holzwaggons von einst sind elegante Züge mit gläserner Kanzel und buntem Innenleben geworden, mit Schalensitzen, Bänken, Panoramascheiben.
 
Hoffnung für vergessene Stadtviertel

Die Besinnung auf den schienengebundenen Nahverkehr ist ein Paradigmenwechsel der kommunalen Verkehrspolitik. Für Politiker, Architekten und Städteplaner geht es dabei um die "Öffnung der Enklaven": die Anbindung abgekapselter, oft heruntergekommener Viertel und die Schaffung eines Umfeldes, das der französische Stadtplaner David Mangin als "ville passante" beschreibt. Mangin schwebt ein städtisches Ensemble vor, "in dem die Menschen nicht mehr nur vom Auto abhängig sind, um die alltäglichen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen".
 
Die Straßenbahn als soziales Verbindungsglied? In manchen Städten hat die Tram den Status des bloßen Transportmittels bereits überwunden. In Mülhausen oder Montpellier wurden räumliche wie gesellschaftliche Randgebiete an das Zentrum angeschlossen. In Straßburg haben plötzlich Menschen aus den sogenannten schwierigen Vierteln den Zugang zum Zentrum - zum Bummeln, Arbeiten, zu Kinobesuchen. Und in Bordeaux gelang ein veritabler Brückenschlag auf das andere Ufer der Garonne, zum lange vernachlässigten Ortsteil La Bastide. "Die Bewohner fühlen sich endlich nicht mehr isoliert", jubelt die Sozialistin Michèle Delaunay, die den Arbeiterwahlkreis in der Pariser Nationalversammlung vertritt. "Die Tramway hat Bordeaux einen gewaltigen Imagegewinn beschert."
 
Von dem profitiert auch Bürgermeister Alain Juppé, der als innovativer Reformer bei den Kommunalwahlen im März in Amt und Würden bestätigt wurde. Der Konservative nutzte die Zeit der Schienenverlegung und ließ die gesamte Innenstadt generalüberholen: Die Verkehrsführung wurde neu strukturiert, städtisches Mobiliar ausgetauscht, Fußgängerzonen geschaffen, Fassaden renoviert. Der Verfall war gestoppt; die Bevölkerungszahl wächst, die Immobilienpreise im Zentrum steigen - der Tram sei Dank.
 
Schiene zieht Geschäfte an

Die Straßenbahn in der Doppelfunktion von städtischem Nahverkehrs- und urbanem Heilmittel: eine Erfahrung, die auch Nantes, Nancy, Nizza und Straßburg gemacht haben. "Wir konnten die städtische Landschaft überarbeiten und die Prioritäten neu ordnen", sagt von der Mark. "Davon profitierten Fußgänger, Fahrrad- und sogar Autofahrer."
 
Die Begeisterung für den Plan hielt sich anfangs freilich in Grenzen, das Chaos während der mehrjährigen Planungs- und Bauphase geriet beinahe zum kollektiven Trauma. "Die Straßburger wollten die Tram, aber nicht in ihrer Straße, die Händler fürchteten, dass Tausende Geschäfte schließen würden. Es kam zu Prozessen. Mal ging es um höhere Verkehrsdichte, mal um den befürchteten Lärm", erinnert sich der joviale Elsässer an aufgeregte Bürgerversammlungen und Protestkundgebungen. Von der Mark, der im Rathaus "Monsieur Tram" heißt, blieb beharrlich. "Kaum war die Straßenbahn in Betrieb genommen, hatten sich die Bedenken in Luft aufgelöst."
 
Davon profitiert auch die Wirtschaft. Das Zentrum Straßburgs, einst bedroht von Abwanderung des Handels und der Geschäfte, hat dank der Anbindung eine wahre Gründerzeit erlebt. Im Umfeld der Schienenwege sind heute Boutiquen wie Hermès, Cartier oder Gucci vertreten. Die Straßenbahn hat die Luxusmarken in die Stadt geholt.
 
Alle fünf Linien sind mittlerweile ausgelastet -auch dank einer klugen Preispolitik. Wer sein Auto auf einem Park-and-Ride-Platz parkt, erwirbt zum Einheitspreis von 2,70 Euro zugleich Park- und Fahrschein. Pro Auto werden bis zu vier Mitfahrer für das Umsteigen auf das öffentliche Vehikel mit Gratisfahrscheinen belohnt. Von der Mark: "Die Tram ist wie ein innerstädtisches Laufband."
 
Die eigentliche Innovation steht freilich noch bevor - die Eingliederung der Straßenbahn ins Regionalverkehrsnetz. In Mülhausen etwa soll die Tram, so die planerische Vision, bis zum 25 Kilometer entfernten Flughafen EuroAirport fahren. Dazu muss die Straßenbahn auf die Eisenbahnschienen umsteigen. Einen Namen hat das Fliewatüüt zwischen Straßenbahn und Regionalzug schon: "Tram-train".


Quelle: http://www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,561628,00.html


Interessant ist, das in Frankreich Straßenbahnen Geschäfte anziehen, aber in Wien Geschäftsstrassen aussterben (auch mit Straßenbahn). Vermutlich liegt es an der Attraktivität der wiener Straßenbahn - "Wien ist anders ...".

Die französichen Städte haben auch den Vorteil etwas Neues verkaufen zu können, in Wien gibt´s die Straßenbahn halt "schon immer". Das Problem liegt vermutlich auch daran, dass die Straßenbahn hier nur als "Mittel zum Zweck" angesehen wird und nie als gestalterisches Element im Straßenraum. Da haben die Franzosen einen ganz anderen Denkansatz.

GS6857

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #3 am: 05. Oktober 2011, 09:15:22 »
Hier noch zwei Dokumente zum Thema.

moszkva tér

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #4 am: 05. Oktober 2011, 09:18:31 »
Evtl. könnte man diesen Thread mit dem da vereinigen (http://www.tramwayforum.at/index.php?topic=1631.0) und umbenennen (Straßenbahnrenaissance in Frankreich z.B.)? Thematisch überlappen sie sich.

Nun, auch in Frankreich wurden in der Nachkriegszeit fast alle Straßenbahnen komplett abmontiert. Ich glaube, nur Nantes, Grenoble und eine Linie in Marseille haben bis zur Straßenbahnrenaissance überlebt (tramway.at möge mich korrigieren, wenn ich falsch liege).

Ein Hauptargument gegen die Neuerrichtung von Straßenbahnen in Wien ist, dass man "den 13er einst nicht ohne Grund eingestellt hat". In Frankreich gehts aber auch, die verkehrspolitischen Entscheidungen von vor 30-60 Jahren in Frage zu stellen und gegebenenfalls rückgängig zu machen.
Warum bei uns nicht? Kein damals involvierter Politiker ist mehr aktiv, ja wahrscheinlich nicht mal mehr am Leben, Gesichtsverlust fällt also weg. Und sonst wird ja auch immer mit "geänderten Rahmenbedingungen" argumentiert, und das sogar bei deutlich kürzeren Zeiträumen.

44er

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #5 am: 05. Oktober 2011, 11:55:32 »
Die Franzosen exportieren auch Ihre Idee der Tramway Renaissance siehe Marokko, Algerien  usw. und das ist gut so. Schade nur, dass man in Asien hier vorallem in China und Indien nur auf die U-Bahn setzt, aber vielleicht wird sich das ja auch einmal ändern.

moszkva tér

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #6 am: 05. Oktober 2011, 11:59:44 »
Die Franzosen exportieren auch Ihre Idee der Tramway Renaissance siehe Marokko, Algerien  usw....
Türkei!

Auch Tiflis hat die französische Firma Sistra für die Wiedererrichtung beauftragt. Selbige Firma modernisiert u.A. in Riga das Netz.

moszkva tér

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #7 am: 05. Oktober 2011, 12:29:53 »
In der Türkei ist jedenfalls die französische Schule sehr gut zu sehen:
http://www.kayseriulasim.com/fotogaleri.aspx
So ein Rasengleis in Kayseri lässt Wien ganz schön alt ausschauen ;)

tram

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #8 am: 05. Oktober 2011, 18:39:58 »
Im Frankreich-Thread etwas aufgeräumt. Folgende Massnahmen wurden gesetzt:

Wattman

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #9 am: 06. Oktober 2011, 10:39:58 »
Super - die Moderatoren hier tun was! ;D :up:

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #10 am: 06. Oktober 2011, 13:35:44 »
Falls jemand Platz und Kleingeld hat - und nicht mehr ULF fahren möchte...?!
[ Für Gäste keine Dateianhänge sichtbar]
Rouen verkauft seine TFS2, um in Zukunft mit längeren Citadis zu fahren. Als Käufer werden derzeit Paris (T1) oder Grenoble ventiliert, nachder erst die neuen Kleinbetriebe im Gespräch waren (die aber jetzt CAF kaufen).
Harald A. Jahn, www.tramway.at

moszkva tér

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #11 am: 06. Oktober 2011, 14:23:16 »
Falls jemand Platz und Kleingeld hat - und nicht mehr ULF fahren möchte...?!
Das wär doch was für eine neue Lokalbahn (z.B. Wien-Schwechat)  :up:

tramway.at

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #12 am: 06. Oktober 2011, 17:15:46 »
Falls jemand Platz und Kleingeld hat - und nicht mehr ULF fahren möchte...?!
Das wär doch was für eine neue Lokalbahn (z.B. Wien-Schwechat)  :up:
Allerdings. das Konzept der TFS2 war genial, die Laufruhe gut, allerdings sind sie bissl schwer. Am Wagenende richtige Drehgstelle, in der Mitte Niederflur mit breitem Gelenkdurchgang.

http://www.viennaslide.com/p/0520-france/Grenoble/2007-05-27_A_La_Poya_2043_innen.html
http://www.viennaslide.com/p/0530-paris/Paris/1993-07-1x_Paris_T1_innen.html
Harald A. Jahn, www.tramway.at

13er

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #13 am: 06. Oktober 2011, 18:26:01 »
Die Fixierung auf unbedingt 100% Niederflur ist mir sowieso nicht ganz verständlich. Für ältere Leute und andere, die es brauchen, gibt es den ebenerdigen Einstieg, für jüngere Leute, denen das Raufsteigen nix ausmacht, die erhöhten Sitze. Jeder ist auch mit 70% NF-Anteil glücklich...
Mit uns kommst du sicher... zu spät.

Z-TW

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Re: [FR] Straßenbahn-Comeback in Paris
« Antwort #14 am: 06. Oktober 2011, 19:06:57 »

Interessant ist, das in Frankreich Straßenbahnen Geschäfte anziehen, aber in Wien Geschäftsstrassen aussterben (auch mit Straßenbahn). Vermutlich liegt es an der Attraktivität der wiener Straßenbahn - "Wien ist anders ...".

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