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Es ist in jeglicher Hinsicht ein Fehler, die alten Haltestellenschilder zu ersetzen. Die alten Schilder sind Alleinstellungsmerkmale, die absolut typisch für Wien und die Wiener Linien sind. Sie stehen noch außen hin für Wien, und innerhalb Wiens für die Verkehrsbetriebe. Ihre Abschaffung ist so, als würde London seine Doppeldecker plötzlich blau lackieren.
So toll sind die alten Haltestellenschilder nun auch nicht, und wird wohl auch kaum jemand nennen wenn es um Dinge geht, die "typisch für Wien" sind. Insbesondere die Linienkennzeichnung wirkt auch schon bei den alten Schildern wie ein seltsames Provisorium und ist aus der Entfernung nicht wirklich erkennbar. Haltestellenschilder sollten das Finden der richtigen Haltestelle vereinfachen, und da scheitern die bisherigen Stelen ganz klar. Der Haltestellenname ist auch nur sehr klein aufgeführt.
Nur, weil es schon sehr lange verwendet wurde, sollte nicht an einem schlechten Design festgehalten werden. Aber eine neue Version sollte tatsächliche Verbesserung in der Kennzeichnung von Haltestellen bieten, und nicht abgrundtief hässlich sein - wie die jetzt verbaute Variante.
Nun sollte man allerdings zumindest eine bessere Alternative haben, die zumindest folgende Anforderungen erfüllt:
- deutliche Sichtbarkeit im Straßenraum, dazu gehört auch Einheitlichkeit - für eine Haltestelle suchende Kund/innen, aber auch für Auto- und Radfahrende als Warnzeichen
- Barrierefreiheit (dazu gehört auch die Erkennbarkeit für Sehschwache, und da ist einer von vielen dunkelgrauen Masten ein deutlicher Rückschritt gegenüber den roten Schildern, und selbst gegenüber den dunkelblauen)
- eine deutliche Sichtbarkeit von Haltestellennamen, Linie und Fahrtrichtung
- eine Einbindung ins Corperate Design und die Corporate Identiy des Unternehmens
Die Haltestelle neu erfüllt nichts davon, erst recht nicht in ihrer Ausführung im Sonnwendviertel.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, ein neues Design zu entwickeln, das die Anforderungen besser erfüllt als das alte. Wenn man sich nicht ganz doof anstellt, kann man aber dennoch das traditionelle Design weiterentwickeln. Bei der Type V wäre ja auch niemand auf die Idee gekommen, den Zug plötzlich in gelbgrün zu lackieren und das Lichtband an der Front wegzulassen. Man kann sogar für verschiedene Situationen verschiedene Designs vorhalten, solange es ein paar verbindende Elemente gibt. Ich denke da z.B. an die Haltestellenkuben in Berlin, die an Knotenpunkten und an den meisten Straßenbahnhaltestellen mit Haltestelleninsel zum Einsatz kommen:
https://www.bahnbilder.de/bild/deutschland~strassenbahn~berlin/1177812/berlin-17102019-strassenbahn-haltestelle-s-bahnhof-spindlersfeld-normalerweise.html - die haben eine ganz andere Form als die Standardhaltestellen, sind aber durch Farbgebung (BVG-gelb/weiß) und das grüne H im gelben Kreis mit grünem Rand dennoch als Haltestelle erkennbar, und zwar als solche der BVG. Genau solche Elemente fehlen bei der Haltestelle neu - wo im Corporate Design der Wiener Linien kommt eigentlich dieses komische Dunkelgrau vor, das die Haltestelle dominiert. (Man muss als Verkehrsbetrieb schon ziemlich viel falsch machen, wenn selbst die BVG als Vorbild dienen kann!)
Das ganze sollte man dann auch noch von Profis entwickeln lassen. Das aktuelle Design wirkt so, als hätte es ein übermotivierter und leider einflussreicher Mitarbeiter (hat bestimmt das richtige Parteibuch, deshalb traut sich niemand was zu sagen, deshalb hat es auch keine Konsequenzen) es in der Mittagspause bei Word oder Powerpoint zusammengezimmert, und ob seines Einflussreichtums haben seine Untergebenen gequält gelächelt und ihn für seine Genialität gelobt.
Den genialen Einfall, Geld zu sparen, indem man Laien arbeiten lässt, hatte die Stadt Cottbus übrigens vor über zehn Jahren, als sie unbedingt ein neues Stadtlogo brauchte. Heraus kam das:
https://designbote.com/das-logo-von-cottbus/ (Das erlaubt immerhin heitere Assoziationsspiele. Woran denkt ihr beim Anblick des Machwerks? Ich wahlweise an einen qualvoll verendenden Fötus oder an Senf, Ketchup, Blue Curacao und Kiwisaft, die gemeinsam die Toilette runtergespült werden.)
Zurück zum Thema, zu "typisch für Wien": Unterschätze das nicht. Ich hatte schon genug Gäste (und nicht nur Ferrosexuelle!), denen die Haltestellen recht schnell aufgefallen sind. Natürlich werden sie eher nicht das Wahrzeichen der Stadt, aber sie sind eines der wenigen Elemente, die den öffentlichen Raum zwischen all den ewig gleichen Laden- und Fast-Food-Ketten und den mitteleuropaweit einheitlichen Fußgängerzonengestaltungen als Wien-typisch erkennbar machen. Das muss ein neues Design auch leisten, wenn es eine Verbesserung darstellen soll. Und das erkenne ich bisher nicht.