In den dicht verbauten Gründerzeitvierteln wurde natürlich darauf geachtet, die maximale Kubatur aus dem Baugrund herauszuholen, um den Gewinn zu maximieren. Daher entstanden jede Menge Seiten- und Rücktrakte, die von der Straße aus gar nicht sichtbar sind (Tipp: Luftbilder betrachten!), die Höfe waren sehr klein, von den Lichthöfen gar nicht zu reden - die waren wahrscheinlich damaligen Vorschriften bezüglich fensterloser Räume geschuldet, aber Licht und Luft kamen da in Wahrheit nicht in die Wohnung.
Die Gründerzeitwohnungen dienten daher in der Hochblüte dieser Zeit kaum als Aufenthaltsort, sondern als Schlaf- und- Essensplatz. Arbeitete man nicht ohnehin in der restlichen zur Verfügung stehenden Zeit, ging man hinaus ins Grüne (oft zu Fuß, denn Tramwayfahrscheine für die ganze Familie konnte man sich nicht alle Tage leisten), für viele wurde auch die Wirtsstube zum zweiten Zuhause.
Bereits mit den Gemeindebauten wurden moderne, menschenfreundlichere Wohnformen eingeführt: große Höfe, Grünanlagen, helle Wohnungen – logisch, hier stand auf einmal nicht mehr der Profit des Gelds im Vordergrund, sondern (uneigennütziges Handeln gibt es nicht) der Profit des Machterhalts durch zufriedene Wähler. Zur Analyse der Entwicklung der Gemeindebauten verweise ich auf das exzellente zweibändige Werk "Das Wunder des Roten Wien" von Harald Jahn.
Nach dem Krieg stand man natürlich vor vielen Problemen, unter anderem musste möglichst kostengünstig in möglichst kurzer Zeit möglichst viel haltbarer Wohnraum geschaffen werden – vor allem, als sich die Wirtschaft wieder erholte. Das führte – verkürzt gesagt – zum Entstehen der großen Plattenbausiedlungen und mit dem weiteren Bevölkerungswachstum auch zur Erschließung großer Stadterweiterungsgebiete.
Vom Konzept der Plattenbauten (Verwenden von vorgefertigten Elementen zur kostengünstigen Schaffung von umbautem Raum) hat sich die Wohnbauwirtschaft bis heute nicht verabschiedet. Damit einhergehend ist auch (weltweit) ein Verlust von städtischer Identität zu beklagen, schließlich kümmern sich genormte Elemente (ob als Bauteil oder als AutoCAD-Vorlage) nicht um lokale Eigenheiten.