Nicht bös sein, aber: Soll man das wirklich ernst nehmen?
Ich bitte darum.
Stadt- und Verkehrsplanung ist etwas, was viele Menschen fasziniert (grundsätzlich erfreulich) - ich zähle mich da übrigens auch dazu. Vom Kleinkind bis zum Pensionisten gibt es daher zig Wiener und Österreicher, die ab und zu darüber fantasieren, wo und wie man Straßen & Autobahnen, U-Bahnen, Bahnen, Straßenbahnen, Seilbahnen usw bauen könnte. Ist immer wieder lustig, solche Vorschläge dann in Foren wie diesen zu diskutieren, sodass nicht mehr alleine, sondern in Gruppe fantasiert wird. Ernst nehmen braucht man das nicht. Zu solchen Fantasien zähle ich übrigens auch Vorschläge von in der Sache unzuständigen Politikern, die einfach irgendwelche Einzelmaßnahmen in den Raum werfen, um das Gefühl zu erzeugen, ÖV (oder auch MIV) wäre ihnen ein Anliegen (längere Bahnsteige, zweite Stammstrecke, Seilbahnen, Schiffe am Donaukanal usw).
Wenn du willst, dass deine Vorschläge Ernst genommen werden, solltest du vorweg einmal klar schreiben, was diesen Plan von genannten Fantasien unterscheidet?
1) Welche Input-Daten mit welcher Quelle wurden verwendet (Bevölkerung pro Gebietseinheit, Arbeitsplätze pro Gebietseinheit, welcher Gebietseinheit, aktuelle Zahlen vs prognostizierte Zahlen, aktuelle Fahrgastzahlen pro Relation, vgl aktuelle Autofahrten pro Relation usw)
2) Gibt es irgendeinen Ansatz zu einer Kosten/Nutzenrechnung für einzelne Linien/einzelne Maßnahmenstufen/das Gesamtprojekt? Ohne Kostenrestriktion plant es sich leicht. Ernst nehmen kann man eine Planung erst dann, wenn verschiedene Ideen evaluiert und bewertet werden und dann eine Prioritätenliste erstellt wird. Wurde da hier gemacht? Welche Alternativen wurden evaluiert und verworfen? Aus welchen Gründen hat man sich für die präsentierte Variante entschieden und nicht für die verworfenen Alternativen? Ohne diese Information kann man die Vorschläge nicht Ernst nehmen, genau so wenig wie man es Ernst nehmen kann, wenn ein Politiker hinausposaunt, wir machen jetzt längere Bahnsteige auf der Stammstrecke und alles wird gut.
3) Was sind die geschätzten Kosten, was ist der Realisierungshorizont und in welcher Reihenfolge soll das umgesetzt werden. Politiker müssen auch strategisch denken und wenn man in 20 Jahren eine zweite Stammstrecke haben will, muss man heute schon mit der Planung beginnen. Wenn man aber ausschließlich über Dinge redet, die erst in 20 Jahren stattfinden werden, ist das auch nicht Ernst zu nehmen. Wenn man mit einem Verkehrskonzept in einen Wahlkampf geht, sollte man daher auch klar sagen, was konkret in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden soll, was das kosten wird und woher die Mittel dafür kommen sollen.
Wenn du die 3 Punkte erklärst, kann ich deiner Bitte nachkommen und das Ernst nehmen.
Bis dahin nur ein Punkt des Konzepts:
Eine Tramtrain auf den Kahlenberg:
1) hat das wirklich oberste Priorität? Wie hoch wäre denn die Auslastung über das ganze Jahr betrachtet, abseits von Schönwetterwochenenden im Sommerhalbjahr - gibt es dazu eine Schätzung?
2) Am Nussdorfer Platz fährt die Straßenbahn auf Straßenniveau, unterhalb der Bahn. Die soll dann scheinbar die Bahn unterqueren (da ist derzeit der Bahnhof Nussdorf im Weg), dann über ein Rampe auf das Gleisniveau ansteigen und über bestehende Gleise zum Handelskai fahren.
Unterquerung - Rampe (auf nicht einmal 200m Länge!) - zweites Gleis bei der Verbindung zum Kai, dort wahrscheinlich kreuzungsfreie Querung zur Nordwestbahn, Aufhebung der bestehenden Straßenkreuzung - wie hoch ist die Kostenschätzung alleine dafür? Hoher zweistelliger Mio-Betrag oder doch eher ein dreistelliger Mio-Betrag? Und wozu braucht man diesen Patzen Geld - nicht zur Bewältigung des Berufsverkehrs, sondern für reinen FReizeitverkehr und - jetzt kommt der Clou - man wendet diesen Riesenbetrag auf, damit die Kahlenbergbahn im weiten Bogen um den Anschluss zur U4/S45/S10 herumfahren kann. Da hätte mich jetzt wirklich die Kosten/Nutzen-Rechnung interessiert und welche anderen Projekte man stattdessen hintantstellen will bei der Budgetvergabe.
3) Die bestehende Trasse der Nordwestbahn hat schon viele Leute fasziniert, die gerne Striche auf Landkarten malen - herausgekommen ist aber immer dasselbe: die Trasse bietet keine Anschlüsse (auch auf deinem Plan: Fussweg zur U6, keine U4, keine S45, keine S10), die unmittelbaren Anrainer wollen nicht entlang dieser Trasse fahren (wozu weiter mit Straßenbahn zum Praterstern gondeln, viel wichtiger ist rascher Anschluss an U6 bzw Stammstrecke Traisengasse). Im konkreten Fall kommt noch die Frage dazu, warum die Kahlenbergbahn just durch Wohngebiete des 20. Bezirks tingeln so. Ach so, es war halt schon eine Trasse da.
Wie gesagt, ich habe mir nur dieses Detail angeschaut (für alles ist der Plan einfach viel zu umfangreich), aber Punkt 2) vermittelt doch sehr den Eindruck, hier wurde ohne jegliche Kostenrestriktion (vielleicht sogar ohne Kostenschätzung) einfach in Wünsch-Dir-Was-Mentalität drauf losgeplant. Damit wäre dieser Plan noch deutlich weniger Ernst zu nehmen als so mancher Vorschlag von Laien in diversen Foren. Und ganz im Ernst: Wenn ich ohne Kosten- und Bauzeitrestriktion planen, äh wünschen darf, dann machen wir es doch gleich wie Elon Musk: über ganz Wien alle 50 Meter ein Tunnel in Längs- und Querrichtung- am besten auf vier oder noch mehr Ebenen, an jedem Kreuzungspunkt, also alle 50 Meter ein Liftschacht und ich steige in eine Liftkabine, tippe mein Ziel ein und die Kabine bringt mich dort hin. So einen Vorschlag nehme ich ähnlich Ernst wie deinen.