http://www.pressreader.com/austria/die-presse/20170207/281646779877567EDIT: Der Link scheint inzwischen abgelaufen zu sein, daher hier der volle Artikel:
Hierzulande ist die Verkehrspolitik der Wiener Stadtregierung nicht immer unumstritten. Autofeindlich, ideologiegetrieben oder weltfremd: So lauten vielfach die Vorwürfe.
Jenseits der österreichischen oder europäischen Realität hört sich das jedoch ganz anders an. In den USA haben die drei Wissenschaftler Ralph Buehler, John Pucher und Alan Altshuler in einer Studie für die Harvard University und die Volvo-Stiftung nach Vorbildern gesucht, wie man den enormen Kfz-Anteil in vielen amerikanischen Städten reduzieren könnte. In ihrem Projekt, das nun veröffentlicht wurde, nennen sie Wien als Musterbeispiel.
Warum nicht die hierzulande so gern genannten Städte wie Stockholm, Kopenhagen oder Amsterdam? Weil Österreichs Hauptstadt bei der Zurückdrängung des Kfz-Verkehrs im Lauf der vergangenen 25 Jahre so erfolgreich war wie keine andere hoch entwickelte Metropole. Und weil der Radverkehr in Wien – genauso wie in den USA – bis heute nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum Gesamtverkehrsaufkommen spielt. 13 Prozentpunkte Rückgang beim Kfz-Anteil seit 1993 (siehe Grafik) haben die Autoren aus ihrer Perspektive beeindruckt. Während damit in Wien „nur“ noch ein Viertel aller Wege mit dem Auto zurückgelegt wird, sind es in San Franciso 46 Prozent, in Seattle 63 und in Las Vegas gar 89.
Evolution statt Revolution
Bei der Suche nach den Gründen haben die Studienautoren im Sommer 2015 Wien besucht, hier recherchiert, mit zahlreichen Entscheidungsträgern und Experten gesprochen. Ihr Fazit ist aus österreichischer Sicht zwar insgesamt nicht überraschend, eröffnet aber in den Details so manch interessante Perspektive von außen. Hauptverantwortlich für den Bedeutungsverlust des Autos ist nach Ansicht von Buehler, Pucher und Altshuler die scheibchenweise betriebene Verkomplizierung und Verteuerung des Individualverkehrs – bei zeitgleichem Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes.
Auch wenn das viele betroffene Wiener womöglich anders sehen: Die Studienautoren bescheinigen der Stadtpolitik dabei durchaus ein Vorgehen mit Gespür und Augenmaß. Verkehrsberuhigung, Parkraumverknappung und Verteuerungen seien nämlich nur langfristig, Stück für Stück, mit zahlreichen Kompromissen und Verhandlungen und damit keineswegs radikal umgesetzt worden. Und genau das, so eine zentrale Erkenntnis der im Fachmagazin „Sustainable Transportation“ (Nachhaltiger Verkehr) erschienenen Arbeit, sei auch der Schlüssel für Erfolg und Akzeptanz der hiesigen Verkehrspolitik.
Demnach waren andere Städte in Deutschland, der Schweiz oder den Niederlanden mit der Einführung von kostenpflichtigen Kurzparkzonen schneller. Keine andere jedoch hätte ihr Projekt so gut überlegt und geplant umgesetzt. Motto: Aus den Fehlern der anderen lernen, mit Pilotprojekten starten, diese anschließend bewerten und erst bei zufriedenstellenden Ergebnissen in den Dauerbetrieb übergehen.
Die gleiche Taktik kam laut Studie beim U-Bahn-Bau zum Einsatz. Auch hier startete Wien „als eine der letzten größeren Städte in Europa“, holte später jedoch mit dem Wissen über die Fehler der anderen deutlich auf.
Bund trug zum Erfolg bei
Dabei begründen die US-Wissenschaftler die Vorbildfunktion Wiens nicht nur mit den Leistungen der Stadtregierung. Sie sagen auch klar, dass der Bau der so wichtigen U-Bahn, und damit der Erfolg der öffentlichen Verkehrsmittel, ohne die 50-Prozent-Beteiligung des Bundes wohl nie möglich gewesen wäre.
Zumindest in Sachen Kostenwahrheit beinhaltet die Studie auch leise Kritik. So habe die verbilligte Wiener-Linien-Jahreskarte (365 Euro) zwar die Zahl der Fahrgäste deutlich gesteigert. Gleichzeitig fiel der Deckungsgrad der Betriebskosten durch Fahrscheineinnahmen dadurch von 60 auf 55 Prozent.
Ebenfalls negativ bewerteten die Studienautoren die Konfliktkultur innerhalb des Rathauses. Zwar sei man dort grundsätzlich bereit gewesen, Auskunft zu geben. Fragen zu kontroversiellen Verkehrsthemen, Fehlern und politischen Tauschgeschäften wollte demnach allerdings niemand beantworten.