Das wirklich erschreckende ist ja, dass teilweise die alten Industriebauten (speziell vor 1950) deutlich mehr Charme haben als moderne Büroklötze. Es ist schon interessant, dass damals auch an simplen Ziegelbau-Hallen z.B. die Fensterbögen durch leicht auskragende Ziegel ornamentiert wurden, und was für eine Wirkung so ein winziges Detail hat. Da merkt man einfach, dass die Erbauer sich damals auch bei unbedeutendsten Gebäuden Gedanken gemacht haben, wie sie sie mit einfachen Mitteln und praktisch kostenneutral ein wenig schöner machen können.
Leider ist Industriearchitektur ein mit wenigen Ausnahmen weitgehend unbeachtet gebliebenes Gebiet. Das läßt sich auch daran erkennen, daß gerade in den letzten Jahrzehnten sehr viele architektonisch wertvolle Industriebauten abgerissen wurden, oftmals, ohne sie wenigstens genau zu dokumentieren. Beispiele: die 1994 abgebrochene Tabakfabrik am Rennweg 44 (
Bild), die in den 2000er-Jahren abgebrochene Turmuhrenfabrik Ing. Emil Schauer in der Flotowgasse 1 (Bild muß ich scannen) oder die Gräf&Stift-Automobilfabrik in der Weinberggasse 76.
Manche, wie die von Harald gezeigte Spinnerei in Teesdorf, haben schon ein Ablaufdatum (ist das Haupthaus eigentlich noch da?), manche, wie die Weigelsdorfer Zwirnerei oder die Spinnerei in Pottendorf, fristen noch immer ihren Dornröschenschlaf. In Wien wäre da auch die architektonisch extravagante ehem. Insektenpulverfabrik Zacherl in der Nußwaldgasse 14 zu nennen (
Bild). Andere, wie eine bereits 1918 stillgelegte Pulverfabrik an der Aspangbahn, präsentieren sich nur mehr als verfallene Zeugen schöner Industriearchitektur (
Bild 1,
Bild 2).
In Wien finde ich die weitläufigen alten Industriegebiete im 10. Bezirk nahe der Quellenstraße und im 20. Bezirk im Gebiet Donaueschingenstraße/Pasettistraße besonders spannend. Da sind die alten Strukturen zumindest noch teilweise erhalten und auch genutzt.
An dieser Stelle noch eine Literaturempfehlung: "Baudenkmäler der Technik und Industrie in Österreich, Band 1", verfaßt von Manfred Wehdorn u.a., Wien, Böhlau 1984. Leider quasi das einzige Kompendium zu Industriearchitektur in Wien.