Autor Thema: Alt Wien um 1900 - Fotografien von August Stauda - untergegangene Stadtwelten  (Gelesen 225671 mal)

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tramway.at

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Ich habe mich redlich bemüht das von dir beschriebene Haus zu finden, im Zielgebiet sind die meisten Gebäude verbastelt.
Könntest du bitte nach dem Link eingrenzen

Es ist Lerchenfelderstr 158, auf Google noch im alten Zustand.
Harald A. Jahn, www.tramway.at

WIENTAL DONAUKANAL

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Hie ein "gutes" Beispiel auf der Rossauer Lände. Die Häuser waren ursprünglich (spiegelbildlich) gleich, das linke wurde irgendwann einmal seines Stuckes beraubt und vor zwei Jahren wieder auf alt getrimmt, alles natürlich mit Styroporelementen. Das rechte ist noch im Originalzustand.
Was spricht gegen Styroporelemente? Das Ergebnis unterscheidet sich optisch nicht von der früheren Technik, macht aber eine Rekonstruktion günstiger, erschwinglicher und damit wahrscheinlicher. Ich kann mir gut vorstellen, dass man, wenn es möglich gewesen wäre, die Styroportechnik auch in der Gründerzeit verwendet hätte.

Dagegen spricht nichts, der historische Baustoff war zu seiner Zeit auch hochmodern:
Ton mit viel Kalk versetzt, dazu etwas Kaolin für die Strahlkraft der späteren Farbfassung und genial - Koksgrus. Das Gemenge bringe man mittels Form zum gewünschten Stuckelement, lässt es einige Tage trocknen und brennt es dann. Der Koksgrus verglüht beim Brennvorgang rückstandslos und hinterlässt eine Blase –> Leichtbaustoff.
Mir erscheinen die Styroporelemente etwas flacher und kleiner, dadurch verliert die Fassade an Tiefe. Ich vermute das gründet in der Vermeidung von Spechtschäden oder Einnistung anderer Untermieter.
Die Gründerzeit hatte ihre eigene Kolossalordnung, zusammengefasst - die Pracht nimmt nach oben hin ab.
Im Original der beiden Häuser ist der Sockel mit Kellerluken deutlich als vorspringendes Element zu sehen.
Im Reko ist der Sockel durch eine dunkle Farbfassung brutal tiefergestzt.

Original - Sockelgeschoss, Parterre, und darüber Halbgeschoss, Mezzanin, sind rustiziert, Bänderung mittels Bossen und durch ein Gurtgesims getrennt,

Original - erster und zweiter Stock sind vom Mezzanin durch ein Zahnsims deutlich getrennt, sind aber zusammengefasst wobei der zweite Stock schon deutlich einfacher gehalten ist, Balusten  im ersten Stock an allen Sohlbänken, Giebelverdachung, angedeutete Ädikulafenster als Eckdominante.
Zweiter Stock, Ballustren und Giebelverdachung nur mehr am Eckrisalit, ansonst Sturzverdachung.
Reko - erster und zweiter Stock sind hier durch ein Kordongesims getrennt, die Fenster begnügen sich mit Faschen.

Original - der dritte Stock ist wieder ein Halbgeschoss, (niedrigere Raumhöhe, kleinere Fenster), und darf auch als Mezzanin bezeichnet werden. Es ist vom zweiten Stock durch ein Gurtgesims abgesetzt, Fenster haben nur Faschen, und nach oben zum Drempel mit einem Konsolgestützten Kraggesims abgeschlossen.

Reko - das oberste Geschoss hat nach unten eine Trennung mittels Kordongesims und der Abschluss zum Drempel besteht aus einem einfachen Faszienfries.

Ich denke die Gegenüberstellung lässt die gelobte Rekonstruktion doch etwas halbherzig erscheinen, das gilt aber auch für andere bejubelte Objekte.

tramway.at

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Ich denke die Gegenüberstellung lässt die gelobte Rekonstruktion doch etwas halbherzig erscheinen, das gilt aber auch für andere bejubelte Objekte.

Das meinte ich - wenn man die Tektonik der Gründerzeitbauten verinnerlicht hat, fühlt man die Fehler.
Harald A. Jahn, www.tramway.at

hema

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. . . .  fühlt man die Fehler.
Und wieso fühlt der Architekt nichts, der das ja gelernt haben sollte? ???
Niemand ist gezwungen meine Meinung zu teilen!

95B

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. . . .  fühlt man die Fehler.
Und wieso fühlt der Architekt nichts, der das ja gelernt haben sollte? ???

Weil der nicht fürs Fühlen bezahlt wird. ;)
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
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Katana

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. . . .  fühlt man die Fehler.
Und wieso fühlt der Architekt nichts, der das ja gelernt haben sollte? ???

Weil der nicht fürs Fühlen bezahlt wird. ;)
Falls an der Aufhübschung überhaupt einer beteiligt war.

WIENTAL DONAUKANAL

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. . . .  fühlt man die Fehler.
Und wieso fühlt der Architekt nichts, der das ja gelernt haben sollte? ???

Weil der nicht fürs Fühlen bezahlt wird. ;)
Falls an der Aufhübschung überhaupt einer beteiligt war.

So wie es Spezialisten für den Abbruch gibt, haben sich Sanierungsspezialisten etabliert.
Ein schönes Beispiel ist die Schule in der Steinbauergasse, (meine Schule), ein der Renaissance nachempfundener Schulblock über vier Gassen aus den 1890er Jahren. Leider hat man bei den Fenstern etwas gepfuscht, ursprünglich waren in den Klassenräumen dreibahnige Fenster eingebaut.
Besonders schön gelungen ist an den Tafelmauern das Strapwork / Beschlagwerk über zwei Etagen, ein Kreuzrahmen mit Ronde im Zentrum, Klinkerausfachung im Blockverband.

http://ciqo.at/refer19.htm

DieTram

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. . . .  fühlt man die Fehler.
Und wieso fühlt der Architekt nichts, der das ja gelernt haben sollte? ???

Weil der nicht fürs Fühlen bezahlt wird. ;)
Falls an der Aufhübschung überhaupt einer beteiligt war.

So wie es Spezialisten für den Abbruch gibt, haben sich Sanierungsspezialisten etabliert.
Ein schönes Beispiel ist die Schule in der Steinbauergasse, (meine Schule), ein der Renaissance nachempfundener Schulblock über vier Gassen aus den 1890er Jahren. Leider hat man bei den Fenstern etwas gepfuscht, ursprünglich waren in den Klassenräumen dreibahnige Fenster eingebaut.
Besonders schön gelungen ist an den Tafelmauern das Strapwork / Beschlagwerk über zwei Etagen, ein Kreuzrahmen mit Ronde im Zentrum, Klinkerausfachung im Blockverband.

http://ciqo.at/refer19.htm

Das ist doch nur eine Sanierung einer sowieso erhaltenen Fassade, keine Rekonstruktion, oder?

DieTram

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Hie ein "gutes" Beispiel auf der Rossauer Lände. Die Häuser waren ursprünglich (spiegelbildlich) gleich, das linke wurde irgendwann einmal seines Stuckes beraubt und vor zwei Jahren wieder auf alt getrimmt, alles natürlich mit Styroporelementen. Das rechte ist noch im Originalzustand.
Was spricht gegen Styroporelemente? Das Ergebnis unterscheidet sich optisch nicht von der früheren Technik, macht aber eine Rekonstruktion günstiger, erschwinglicher und damit wahrscheinlicher. Ich kann mir gut vorstellen, dass man, wenn es möglich gewesen wäre, die Styroportechnik auch in der Gründerzeit verwendet hätte.

Dagegen spricht nichts, der historische Baustoff war zu seiner Zeit auch hochmodern: [...]

'Modern' und 'gut' muss nicht das gleiche sein.

Wenn ich von einer auch noch so korrekt rekonstruierten Fassade weiß, dass sie aus Styroporelementen besteht, wirkt sie auf mich
persönlich trotzdem minderwertig und billig, z. B. die Geschäfttsfassade Eckhaus Lerchenfelder Straße 26/Piaristengasse 1.

Ich glaube nicht, dass Styroporstuck so haltbar ist, wie der gründerzeitliche Terracottastuck, vom Entsorgungsproblem einmal ganz abgesehen.
Hält der auch 150 Jahre und mehr? Gibt es irgendeine Fassadenrekonstruktion, der man auf Grund von Konzessionen an das Material nicht auch ansieht, dass sie aus Styroporelementen besteht?

Seit dem 20. Jh. ist Dauerhaftigkeit als Kriterium völlig verschunden. Da sollte sich gründlichst etwas ändern!
Aber ich glaube, da stehen wir erst ganz am Anfang.



Ein wirkliches Gustostückerl an Fassadenrekonstruktion ist gerade im 7. Bezirk im Gang:

Eckhaus Neustiftgasse 32-34/Kellermanngasse 1, Baujahr 1902/1903, ehemaliger Sitz der Wiener Werkstätte (aber leider nicht von ihr gestaltet):

https://www.google.com/maps/place/Runway+International+%26+Austrian+Design/@48.2052669,16.3515111,3a,46.6y,349.41h,109.56t/data=!3m6!1e1!3m4!1sQ8STPyENgCElfFGmvf1woQ!2e0!7i16384!8i8192!4m13!1m7!3m6!1s0x476d0792fedbd75b:0x5ff09f36aa76f996!2sNeustiftgasse+32,+1070+Wien!3b1!8m2!3d48.2055075!4d16.3512558!3m4!1s0x476d0798c0ae92a5:0x69b0a3df362700c5!8m2!3d48.2050967!4d16.3516067

Die Rekonstruktion wird von einer Restaurierungsfirma durchgeführt und ist extrem professionell. Der Stuck besteht nicht aus Styropor,
sondern offenbar aus irgendeinem mineralischen Gussmaterial. Seltsamerweise steht das Haus nicht unter Denkmalschutz.

Das Eckhaus rechts davon: Neustiftgasse 30/Kellermanngasse 2, errichtet um 1800, ist vor einigen Monaten hergerichtet worden.
Vor allem hat man wieder nach außen öffnende Altwiener Fenster mit schlanken Profilen und richtiger Sprossenteilung eingebaut.
Dieses Haus steht unter Dekmalschutz.

Wenn alles fertig ist, wird der auf dem Streetview noch ziemlich heruntergekommene Platz mit Wiener 1970er-Jahre-Flair völlig anders aussehen!



diogenes

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Wenn das "mineralische Gussmaterial" Calciumsulfat-Dihydrat ist, dann ist der Stuck wirklich einer :) Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die Elemente aus Material sind, das witterungsbeständiger ist als Gips (aus dem Stuckelemente nämlich sind). Beton mit feinem Kies oder viel Sand vielleicht sogar. Das wäre einmal eine Art, ihn auf eine ästhetisch angenehme Art zu verwenden :)
Ceterum censeo in Vindobona ferrivias stratarias ampliores esse.
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DieTram

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Die folgende Aufnahme gehört zur Kategorie "Rettung von historischer Bausubstanz kurz vor dem Untergang" und zeigt die Spittelberggasse Anfang der 70er Jahre (Foto: Slg. Joe Malina). Die vollständige Schleifung dieses Areals nach dem Vorbild von Alt Erdberg und Alt Ottakring war längst beschlossene Sache und es ist ist mehr als ein Weltwunder, dass dieses Viertel revitalisiert wurde. 

LG nord22

Wobei der Spittelberg wahrscheinlich von den "Sanierungsgebieten" (Alt Erdberg, Alt Ottakring, Ratzenstadel, Lichtental und eben Spittelberg)
wahscheinlich doch noch das interessanteste ist/war. So auch noch Glück im Unglück, dass gerade der Spittelberg so gut erhalten geblieben ist!

DieTram

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Wenn das "mineralische Gussmaterial" Calciumsulfat-Dihydrat ist, dann ist der Stuck wirklich einer :) Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die Elemente aus Material sind, das witterungsbeständiger ist als Gips (aus dem Stuckelemente nämlich sind). Beton mit feinem Kies oder viel Sand vielleicht sogar. Das wäre einmal eine Art, ihn auf eine ästhetisch angenehme Art zu verwenden :)

Gips kann man im Außenbereich nicht verwenden, da er nicht witterungsbeständig ist. Wird wohl irgendein Zementmaterial sein, wie Terracotta sieht es jedenfalls nicht aus.

Wäre ja interessant, woraus der Stuck ursprünglich war, da man zur Jahrhundertwende schon Zementputze verwendet hat, sogar schon 'Eisenbeton' (Looshaus). Vielleicht hat es damals neben denen aus Terracotta auch schon Stuckelemente aus Zement/Beton gegeben?

haidi

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'Modern' und 'gut' muss nicht das gleiche sein.

Wenn ich von einer auch noch so korrekt rekonstruierten Fassade weiß, dass sie aus Styroporelementen besteht, wirkt sie auf mich
persönlich trotzdem minderwertig und billig, z. B. die Geschäfttsfassade Eckhaus Lerchenfelder Straße 26/Piaristengasse 1.
Nach dem Motto "Einbildung ist auch eine Bildung"  >:D


Ich glaube nicht, dass Styroporstuck so haltbar ist, wie der gründerzeitliche Terracottastuck, vom Entsorgungsproblem einmal ganz abgesehen.
Hält der auch 150 Jahre und mehr? Gibt es irgendeine Fassadenrekonstruktion, der man auf Grund von Konzessionen an das Material nicht auch ansieht, dass sie aus Styroporelementen besteht?

Seit dem 20. Jh. ist Dauerhaftigkeit als Kriterium völlig verschunden. Da sollte sich gründlichst etwas ändern!
Man könnte es auch mit der bisherigen und wirklich dauerhaften Fassadenreparatur machen - glätten.
Microsoft is not the answer. It's the question and the answer is NO.

diogenes

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Wenn das "mineralische Gussmaterial" Calciumsulfat-Dihydrat ist, dann ist der Stuck wirklich einer :) Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die Elemente aus Material sind, das witterungsbeständiger ist als Gips (aus dem Stuckelemente nämlich sind). Beton mit feinem Kies oder viel Sand vielleicht sogar. Das wäre einmal eine Art, ihn auf eine ästhetisch angenehme Art zu verwenden :)

Gips kann man im Außenbereich nicht verwenden, da er nicht witterungsbeständig ist. Wird wohl irgendein Zementmaterial sein, wie Terracotta sieht es jedenfalls nicht aus.

Wäre ja interessant, woraus der Stuck ursprünglich war, da man zur Jahrhundertwende schon Zementputze verwendet hat, sogar schon 'Eisenbeton' (Looshaus). Vielleicht hat es damals neben denen aus Terracotta auch schon Stuckelemente aus Zement/Beton gegeben?
Stimmt, Gips ist nicht witterungsbeständig. Weiß jetzt nicht, was man gegen Ende des 19. Jhds. für die Zierelemente genommen hat. Ich kann mir eine Variante des Kalkmörtels vorstellen. Weiß da jemand mehr?
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Wenn ich von einer auch noch so korrekt rekonstruierten Fassade weiß, dass sie aus Styroporelementen besteht, wirkt sie auf mich
persönlich trotzdem minderwertig und billig, z. B. die Geschäfttsfassade Eckhaus Lerchenfelder Straße 26/Piaristengasse 1.
Nach dem Motto "Einbildung ist auch eine Bildung"  >:D

Musst nur mal an der Fassade klopfen!  :)