Bereits 1889 gab es in Wien einen Tramway-Kutscher-Streik.
Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der damaligen Ereignisse:
Streik der Tramway-Kutscher im April 1889
Am 4. November 1865 hatte der erste Pferdetramway-Wagen die Strecke Dornbach-Schottenring durchfahren; drei Jahre später waren für die für den Personenverkehr wichtigsten Hauptstraßen Wiens beschient, die rentable Verkehrsanstalt wurde von einer privaten Aktiengesellschaft erworben. Mitte der achtziger Jahre umfasste das gesamte städtische Schienennetz rund 60 Kilometer.
Die hochprofitable „Wiener Tramway-Gesellschaft“ (WT) hatte die Dienst-, Lohn- und Arbeitsverhältnisse ihres zumeist aus Tschechen, Slowaken oder Polen bestehenden Personals in einem komplexen System von Überwachung, Disziplinierung und Bestrafung festgelegt, niedergeschrieben in einem 45 Druckseiten umfassenden Dienstregulativ.
Im Jahre 1889 beschäftigte die Tramway-Gesellschaft 450 reguläre Kutscher, 40 Reservekutscher und 80 Aushilfskutscher.
Einflussreicher Großaktionär der Gesellschaft war der Bankier Sigmund Reitzes (1835-1906), dem vorgeworfen wurde, dass er aus Profitgründen die Umstellung auf den elektrischen Betrieb jahrelang verzögert habe und für die harten Arbeitsbedingungen der Bediensteten verantwortlich sei.
Die effektive Arbeitszeit für Kutscher und Kondukteure betrug 16 bis 18, in Ausnahmefällen bis zu 21 Stunden, unterbrochen nur von einer 30-minütigen Mittagspause. Sie wurden für alle Schäden an den teilweise altersschwachen Fahrzeugen haftbar gemacht. Bei Verspätungen von mehr als einer Minute mussten sie an freien Tagen Strafdienste durchführen.
Die Pferdewärter und Fouragearbeiter hatten an Wochentagen mindestens 16, an Sonn- und Feiertagen mindestens 17 Stunden zu arbeiten. Die rund 300 Stallarbeiter rekrutierten sich fast zur Gänze aus ehemaligen Angehörigen der k.k. Kavallerie und hatten in neun geräumigen und peinlichst sauber gehaltenen Stallungen etwa 2500 Pferde zu betreuen. Somit kamen auf einen Mann zehn zweispännige (kleinere) oder neun einspännige (größere) Pferde, während bei der Kavallerie einem Soldaten nur in Ausnahmefällen zwei, in äußerst seltenen Notfällen auch drei Pferde zugewiesen waren. Umgangston und -formen der „Stallschaffer“ waren dementsprechend sprichwörtlich derb und rau, ihre Anfälligkeit für übermäßigen Branntwein- und Tabakgenuss notorisch und ihre äußere Erscheinung geprägt von Unterernährung, Auszehrung und Überarbeitung.
Diese Missstände wurden vom Pfarrer und Reichsratsabgeordneten Rudolf Franz Eichhorn (1853-1925) und von der von Victor Adler (1852-1918) herausgegebenen Zeitung „Gleichheit“ aufgegriffen. Die Tramway-Gesellschaft, resümierte Victor Adler, habe eben zwei Gattungen von Bediensteten. Die einen hätten eine Arbeitszeit von 16 bis 21 Stunden und ganz ungenügende Ernährung, die anderen arbeiteten vier Stunden und seien reichlich genährt. Das eine seien Menschen, das andere die Pferde.
Als im April 1889 die Direktion der Gesellschaft eine weitere Zerstückelung und Zergliederung der Fahrstrecken und damit der Arbeitszeit vornahm, war allerdings das Ausmaß von Zumutungen für die immer wieder als „arme Teufel von Tramwaysklaven“ (auch „die weißen Sklaven“) apostrophierten Bediensteten - befehligt von “Obersklavenaufsehern“ und “Tramwaypaschas“‘ - nachhaltig überschritten. Die minutengenaue Dauer von Teilstrecken war so festgelegt worden, dass deren Über- oder Unterschreitung eine Vielzahl von Straftouren, die am arbeitsfreien siebten Tag zu absolvieren waren, nach sich zog; der Organisator des Streiks, Victor Adler, rechnete demnach detailliert vor, dass auf diese Weise auf nur einer Strecke in nur einer einzigen Woche 22 Kutschern 43 zusätzliche Straftouren aufgebürdet worden waren.
Der Arbeitskampf drehte sich denn auch wesentlich um die Arbeitszeitfrage. Am 4. April 1889 legten die Tramway-Kutscher die Arbeit nieder und erhoben die folgenden Forderungen: Aufhebung des Stundenplanes für die Teilstrecken, Beseitigung des Schadenersatzsystems, Verlängerung der Mittagspause, Lohnerhöhung und Beschränkung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden. Nach einigen Tagen machte die Gesellschaft einige Zugeständnisse, worauf die Streikenden, obgleich sie die Konzessionen als ungenügend betrachteten, die Arbeit vorübergehend wieder aufnahmen.
Die zweite Phase des Streiks spielte sich zu Ostern ab. Am Ostersonntag, den 22. April 1889, legte der größte Teil der Kutscher erneut die Arbeit nieder. Von den 570 Kutschern fuhren am Ostersonntag etwa 120, am Ostermontag nur noch 60. Vom 21. bis 23. April kam es in den Wiener Außenbezirken zu lebhaften Demonstrationen gegen die von der Tramway-Gesellschaft eingestellten Streikbrechern zu blutigen Zusammenstößen zwischen Manifestanten und Sicherheitskräften sowie zu antisemitischen Ausschreitungen. Am 24. April beschloss der Wiener Gemeinderat auf Antrag der christlichsozialen Abgeordneten Lueger und Hackenberg der Tramway-Gesellschaft wegen der Betriebsausfälle über Ostern eine Strafe von 50.000 Gulden und für jeden weiteren Tag der Betriebsstörung von 10.000 Gulden aufzuerlegen. Die Streikenden brachten unterdessen ihre Beschwerde beim Statthalter für Niederösterreich Freiherrn von Choborski, beim Ministerpräsidenten Graf Taaffe, beim Handelsminister Graf von Wurmbrand und selbst beim Kaiser Franz Joseph vor.
Am 26. April 1889, als noch über 300 Kutscher streikten, während 206 die Arbeit wieder aufgenommen hatten, stellte der Statthalter der Tramway-Gesellschaft einen Erlass zu, in dem er sie im Auftrag der Regierung aufforderte, die Streikforderungen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Die Forderungen der Kutscher bezüglich Arbeitszeit, Urlaub und Versicherung bezeichnete er als berechtigt und drohte der Gesellschaft mit der Sequestration (Zwangsverwaltung) durch die Regierung. Daraufhin bewilligte die Tramway-Gesellschaft die Forderungen der Kutscher, die in der Folge ihre Arbeit wieder aufnahmen.
Am 28. April 1889 war der Tramway-Kutscher-Streik beendet.