Aus dem Falter-Morgenmail:
Warten, bis die Bim kommt
Lange Wartezeiten sind bei Wiener Straßenbahnen aktuell keine Seltenheit – und sorgen für immer mehr Ärger bei den Fahrgästen. Was sind die Gründe für die Verspätungen und warum regt uns das so auf?
Ihr Gefühl täuscht Sie nicht. Die Störungen und Verspätungen bei den Wiener Linien nehmen zu. Laut der Open-Source-Datenbank* der Wiener Linien waren Busse, U-Bahnen oder Bims 2021 dreimal so oft unpünktlich wie im Jahr davor.
Bei zwei Millionen Fahrgästen seien „Verspätungen oder Störungen leider nicht zu 100 Prozent vermeidbar”, sagt eine Sprecherin der Wiener Linien – auch weil die Ursachen oftmals nicht im „Einflussbereich” der Wiener Linien liegen würden: „Es gibt verschiedene Gründe, warum es zu kurzfristigen Ausfällen und Verzögerungen kommen kann: z.B. Polizei- und Rettungseinsätze oder Demonstrationen.” Aber protestierende Corona-Leugner und Falschparker erklären die langen Wartezeiten noch nicht. Derzeit kommt so einiges zusammen.
Mehr externe Einflüsse
Die Polizei-, Feuerwehr- und Rettungseinsätze sind in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gestiegen. Im Vorjahr wurden mit 3.080 Einsätzen fast doppelt so viele gezählt wie 2016. Und 2021 war das Jahr der Corona-Demos: 214 mal haben Kundgebungen zu Öffi-Störungen geführt, so häufig wie nie zuvor (2020 waren es 121 gewesen, 2016 nur 43). Auch wegen Autofahrern, die verkehrsbehindernd parken und dabei Schienenwege blockieren, kommt es immer öfter zu Verspätungen. Im Jahr 2021 wurden Bims 1.808 mal durch Autos blockiert – das entspricht fünf Störungen pro Tag (schauen Sie mal durch, es ist erstaunlich, wie oft jemand falsch parkt). Ein Jahr zuvor waren es mit 1.649 zumindest einen Hauch weniger gewesen. Zudem kommt es laut dem Verkehrsexperten Günter Emberger im Winter besonders oft zu Störungen wegen Falschparkern. Der Grund: Wenn am Randstein Schnee liegt, stellen Lenker ihre Fahrzeuge weiter in der Fahrbahn ab. Und sie bleiben bei eisigen Straßen öfter hängen.
Pensionierungen und Krankenstände
Zu den genannten externen Faktoren kommt derzeit ein eklatanter Personalmangel. Alleine heuer gehen 600 der insgesamt 8.700 Mitarbeiter bei den Wiener Linien in Pension. Vor allem Bim- und Busfahrer fehlen. Seit November gibt es bei elf Bim- und Buslinien deshalb ausgedehnte Intervalle. Kommen wie derzeit noch vermehrt Ausfälle wegen Krankheit hinzu, führt das schon mal zu längeren Wartezeiten. „Wir bedauern das sehr und setzen deshalb viele Maßnahmen, um bald wieder in gewohnter Verlässlichkeit unterwegs zu sein”, sagt eine Sprecherin.
Aktuell läuft eine Recruiting-Kampagne für rund 190 Bim- und 90 Busfahrerstellen, die derzeit besetzt werden können. Die Wiener Linien haben die Zahl der Ausbildungsplätze verdoppelt und versuchen, pensionierte Lenker zu animieren, sich wieder hinter das Steuer zu setzen. Zudem testet das Unternehmen seit Herbst eine Viertagewoche, bietet mehr Teilzeitstellen und kostenlose Deutschkurse für fremdsprachige Mitarbeiter an.
Defekte Fahrzeuge
Die Zahl der Störungen, die auf schadhafte Fahrzeuge zurückzuführen sind, haben sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht. Johann Schneider, Mobilitätsdesigner und ehemaliger Sprecher der Initiative Platz für Wien, schreibt auf Twitter, die Wiener Linien hätten die Straßenbahn seit Jahren vernachlässigt und stattdessen viel Geld in die neuen U-Bahn-Linien U2xU5 gesteckt, die in der ersten Ausbaustufe bis 2024 rund 2,1 Milliarden Euro kosten. (Zum desolaten Zustand des Schienennetzes gab es im FALTER.morgen bereits im Vorjahr eine ausführliche Serie von Bernhard Odehnal).
Von den Wiener Linien heißt es, dass heuer rund 37 Millionen Euro in die Modernisierung der Straßenbahn-Infrastruktur fließen. Den Anstieg der Störungen wegen schadhafter Fahrzeuge will das Unternehmen übrigens nicht bestätigen (siehe Anmerkung am Ende). Im Gegenteil: „Die Fahrzeuge werden immer besser", so eine Sprecherin.
Komfortverlust
Wir sind es gewohnt, dass die nächste U-Bahn in drei und die nächste Bim in fünf Minuten kommt. In den vergangenen Jahren waren auch die Ausfälle verschwindend gering – 2017 lagen sie beispielsweise 0,8 Prozent. Und genau das schätzen die Wiener an ihren Öffis: In einer Umfrage vom Frühjahr 2019 haben Fahrgäste die dichten Intervalle und die Zuverlässigkeit der Wiener Linien besonders gut bewertet.
Dass es derzeit zu überdurchschnittlich langen Wartezeiten kommt und man sich dann auch noch in gesteckt volle Garnituren quetschen muss, verärgert viele Fahrgäste auch, weil sie einiges an Komfort einbüßen und sich im schlimmsten Fall sogar ein alternatives Verkehrsmittel suchen müssen. Aber: „Man muss die Kirche im Dorf lassen. Wien hat nach wie vor ein vergleichsweise sehr gutes Verkehrssystem”, sagt Verkehrsexperte Günter Emberger: „Ich kenne keine Weltstadt, wo U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen 18 Stunden am Tag flächendeckend benutzbar sind.”
* Laut Wiener Linien lassen die Open-Source-Daten keine statistische Interpretation zu. „Die Zahlen von f59.at sind nicht repräsentativ, da die Datenquelle für eine zeitnahe Information der Kundinnen und Kunden vorgesehen ist und nicht für eine statistische Auswertung. Die interne Kategorisierung ist genauer, weshalb es schwierig ist, diese direkt auf die Kategorisierung von f59.at umzulegen", sagt eine Sprecherin. Wie der Anstieg dann zu erklären ist und wie die Zahlen aus der internen Kategorisierung aussehen, konnte das Unternehmen vor Redaktionsschluss nicht beantworten.