In turbulenten Tagen (Wochen? Monaten?) wie diesen ist Zeit und Muße, den inzwischen virtuellen Fotokarton herauszuholen, in Erinnerungen zu kramen, und Vergangenes wiederaufleben zu lassen. Und das möcht' ich gerne teilen – auch und gerade im Zusammenhang mit Städten, für die ich unter üblichen Umständen nicht die Energie aufbrachte, sie mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu würdigen.
Wenn wir vom «Würdigen» sprechen, dann ist Karlsruhe ganz oben auf der Liste der Städte, die dessen wert sind. Anfang der 1990er-Jahre, wo sich mein Straßenbahninteresse über den Tellerrand vom damals grundsoliden, in seiner Infrastruktur tadellosen, aber genauso verstaubten wie perspektivlosen Wiener Straßenbahn-Betrieb zu erstrecken begann; zu einer Zeit, wo Webauftritte noch Zukunftsmusik waren, und Informationen über ferne Systeme ohne persönliche Vernetzungen allenfalls über Zeitschriften verfügbar – zu dieser Zeit waren Reisen nach Karlsruhe ganz besonders en vogue, wohlfeil mit dem Zug (einmal in Salzburg umsteigen nur…): Und das dort Erlebte war genau zu dieser Zeit eine tiefe Erschütterung in meinen Grundfesten des ÖPNV-Verständnis, die bis heute nachwirkt.
Zwanzig Jahre später, 2011, war der Karlsruher Betrieb nach wie vor ein Ziel der Begierde – doch die Innovationskurve der zwanzig Jahre zuvor flachte langsam ab, zugunsten einer Konsolidierung, wie auch des Karlsruher Innenstadttunnelbaus mit seinem in meinen Augen zweifelhaften Wert. Und es hieß Abschied nehmen von drei lieb gewonnen Besonderheiten der Karlsruher Straßenbahn: Den «Düwag-artigen» Wägen von DWM und Waggon-Union, dem unglaublich beeindruckenden Straßenbahn- und Stadtbahnbetrieb quer durch die Innenstadt, und dem Festhalten an den sauber gesetzten, konsequent eingesetzten und pipifein lesbaren Brosebändern.
Der Fünfer war zu diesem Zeitpunkt das verbliebene Refugium der so eleganten DWM/Waggon-Union-Wägen, deren gelb-roter Nasentröpferl-Lack ihnen nicht minder elegant stand, gekrönt von einer wohltuenden (Voll)werbungsaversion – und gleich zwei davon, die Wägen 202 und 210, stehen hier am 5. Mai 2011 an der westlichen Endstation des Fünfers, dem Rheinhafen.