Eine Belgienreise Ende April/Anfang Mai brachte eine reiche Fotoausbeute, die ich euch selbstverständlich nicht vorenthalte. Vorweg: In einigen Details hat mich die Genter Tramway durchaus an unser Vorzeigekombinat erinnert: Die Fahrzeiten sind elendslang, die Züge dementsprechend langsam unterwegs mit überlangen Stationsaufenthalten. Trotzdem kommt es immer wieder zu extremen Unregelmäßigkeiten und Konvoifahrten. Die meisten FGIs zeigen Planzeiten oder Unsinn an oder überhaupt das flämische Pendant zu "Fahrplanaushang beachten". Trotzdem sind die Fahrzeuge meistens sehr gut besetzt, denn der Autoverkehr wird vor allem, je näher man der Innenstadt kommt, massiv eingeschränkt – wodurch viele Straßen und Plätze stark bevölkert sind, dem Stadtgefüge tut das sehr gut!
An Fahrzeugen gibt es vierachsige PCC aus den 1970ern in unmodernisierter und leicht modernisierter Form (überarbeiteter Innenraum, neue Türen), 41 Niederflurwagen der ersten Generation (
http://nl.wikipedia.org/wiki/HermeLijn – ein Siemens-Produkt basierend auf dem Dresdner MGT6) und seit neuestem auch Flexity 2, die erst letzte Woche vereinzelt in den Fahrgastbetrieb gegangen sein dürften und momentan mehrheitlich nur als Fahrschule zu süchten sind.
Das Straßenbahnnetz ist eigenartig aufgebaut, wie der Netzplan zeigt (Q: Wikipedia):
Vor allem die verschlungene Linienführung des 4ers erschließt sich mir überhaupt nicht. Der am Plan nur schemenhaft angedeutete Schlenkerer über Muidebrug ist in Wahrheit ein Umweg von gut 15 bis 20 Minuten! Etliche Relationen sind daher nur mit Umsteigen in brauchbarer Zeit zu bewältigen. Apropos Umsteigen: Lästigerweise muss man bei jedem Ein- oder Umsteigen die Fahrkarte in den Entwerter stecken, auch das verlangsamt den Fahrgastwechsel und verlängert die Fahrzeit. Merkwürdig ist auch die Gestaltung der Fahrpreise: Der Einzelfahrschein (60 Minuten) kostet 3,- (!), die Tageskarte 5,-, eine 5-Tages-Karte ist um 15,- zu haben. Alle Fahrkarten sind auch beim Fahrer erhältlich, etliche ältere Automaten in den Stationen weiter draußen verkaufen nur die teuren Einzelfahrscheine.
Am 1er, der stärksten Linie, fahren nur Niederflurwagen, auf den übrigen Linien sind PCCs und Niederflurer gemischt eingesetzt. Allerdings wird auf die extrem unterschiedliche Gefäßgröße überhaupt keine fahrplanmäßige Rücksicht genommen – das Resultat ist etwa so, als würde man bei uns auf einer Linie mit B und Solo-E
1 gemischt fahren. Aber genug der schnöden Worte, hier kommen die Bilder:
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FGI der neuen Generation mit Bildschirm. Es werden immer Planzeit und Sollzeit angezeigt. Bei dieser Art von Anzeigen ist die Information eher richtig, aber man sollte sich dennoch nicht darauf verlassen.
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So sehen die Haltestellen aus. Alle Linien haben eine Kennfarbe, die bei neueren Bussen und allen Straßenbahnen auch angezeigt wird. Bei den modernisierten PCCs ist dann auch der Zieltext in der Kennfarbe gehalten, bei den Niederflurwagen ist nur das Liniensignal bunt und der Text orange, die Seitenanzeigen sind überhaupt nur einfarbig.
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Vorwegweiser der alten Generation, deren Zeitangaben prinzipiell an den Planzeiten orientiert und somit redundant angeführt sind.
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In den engen Gassen der Innenstadt verkehrt die Straßenbahn teilweise in getrennten Straßenzügen. Dass hier am Vormittag auch noch reger Lieferverkehr herrscht, ist geradezu unvorstellbar.
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Die Linie 22 endet temporär in der Zonnestraat und wendet über eine Parallelweiche, der weiterführende Abschnitt im Bildhintergrund wird momentan wegen Bauarbeiten nicht befahren.
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Am Korenmarkt, dem Hauptplatz von Gent, kommen alle Straßenbahnlinien zusammen. Dementsprechend hoch ist die Frequenz und man kann dort in dichter Folge sämtliche Wagentypen auf sämtlichen Linien ablichten. Die modernisierten PCCs haben LED-Leuchten erhalten.
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Die Enge der Innenstadt erfordert beim Einbiegen aus der Sint-Niklaasstraat auf den Korenmarkt einen Italienerbogen, weshalb die Haltestelle etwas nach hinten versetzt ist. Die Einstiegshöhe der Niederflurwagen von ca. 35 cm erfordert unangenehm hohe Bahnsteige. Der Spalt zwischen Bahnsteig und Zug ist durchaus bemerkbar, zusammen mit dem teilweise sehr unregelmäßigen Pflaster kann man die Innenstadt von Gent nicht im Geringsten als barrierefrei bezeichnen. Weiter draußen geht es etwas besser, ich habe dennoch während meines gesamten Aufenthalts nur zwei Rollstuhlfahrer gesehen.
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Ein Flexity als Fahrschule am Korenmarkt vor der Sint-Niklaaskerk.
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Vor derselben Kirche ein Hermelijn als Linie 22. Die Bahnsteige am Korenmarkt sind zur besseren Orientierung durchnummeriert.
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Ein Stückerl weiter östlich am Sint-Baafsplein ein Vollwerbe-4er samt lästiger Lochfolie vor den Fenstern.
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Diese Vollwerbung ist aus Fahrgastsicht schon angenehmer. Sie ist auf einem unmodernisierten PCC angebracht. Die unmodernisierten Wagen verfügen über keinerlei Abgrenzung des Fahrerplatzes (nicht einmal eine Vorlegestange) und haben manuell bedienbare Rollbänder. Zudem sind sie für Fahrgastfluss ausgelegt (vordere Tür nur vom Fahrer bedienbar, Fahrgastdruckknopf nur bei der hinteren Tür im Wageninneren (uitstappen achteraan – hinten aussteigen). Haltewunschdruckknöpfe gibt es hingegen im ganzen Wagen. Nach der Türfreigabe muss der Türtaster hinten extra betätigt werden, das hat man auch für die Niederflurwagen so übernommen: Man kann zwar den Haltewunsch anmelden, muss aber den Türtaster stets extra drücken, nachdem die Freigabe eingeschaltet worden ist. Für Verzögerungen sorgt mitunter auch, dass vornehmlich ältere Fahrer den Fahrgastfluss bei den unmodernisierten PCCs einhalten und den Aussteigewilligen die vordere Tür nicht aufmachen...
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Ein 1er am Kleene Fismarkt, im Hintergrund die Burg Gravensteen.
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Ums Eck in der Rekelingestraat sehen wir einen unmodernisierten PCC am 4er, der zwischen Zwijnardebrug und Moscou verkehrt – der Name des letzteren Endpunktes klingt nicht nur nach "Moskau", sondern hat auch einen entsprechenden Bezug, denn hier waren 1814/15 die Russen stationiert:
http://en.wikipedia.org/wiki/Moscou_%28Ghent%29 [ Für Gäste keine Dateianhänge sichtbar]
Leider mit Lkw-Schaden dank des vormittäglichen Lieferverkehrs, sonst wäre es ein sehr hübsches Bild mit der Burg im Hintergrund geworden. Übrigens ist das hier alles Fußgängerzone! In dem Geschäft links am Eck gibt es hunderte, wenn nicht tausend verschiedene Biere zu kaufen.
Die Sortenvielfalt des belgischen Biers ist überwältigend (man hat hier nämlich nie das Reinheitsgebot eingeführt) – dementsprechend wird das Bier hier auch nicht gesoffen, sondern genossen – jede Sorte hat ihr ganz spezielles Glas, die meisten Biere gibt es auch nur in 0,25 oder 0,33. Gut so, denn der Alkoholgehalt ist deutlich höher als beim österreichischen Runterschütt-Einheitsmärzen.
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Im Zuge der Rekelingestraat passiert die Straßenbahn auch eine Brücke über den Lieve-Kanal. All diese Brücken sind zur Seite drehbar, um Schiffen das Passieren zu ermöglichen. Zum Absperren gibt es Schranken, bei manchen Brücken hat die Straßenbahn davor Parallelweichen (wohl aus älterer Zeit, da sich abstandsmäßig nur das Wenden eines PCC ausgeht).
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Am Rabot in der Begijnhoflaan wendet der 24er auf einem separaten Stockgleis. Den Spezialrasen fürs Grüngleis haben sie wohl aus Wien beschafft – und wie bei uns sind entlang der Gleis tiefe Lkw-Spuren erkennbar.
Daneben blüht und gedeiht das Grün sichtbar saftig. Auch die Wertschätzung für das Fahrpersonal (Toi-Toi in der Endstelle) entspricht Wiener Gepflogenheiten.
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Ein Stückerl weiter hat man das Grüngleis offenbar aufgegeben und stattdessen teilweise eingeschottert.
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Sehr schön ist auch der Abschnitt neben dem Coupure-Kanal, wo der 4er unterwegs ist. Das wirkt fast schon mediterran.
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Am Bahnhof ist gerade Großbaustelle, denn der alte Bahnhof Sint-Pieters weicht einem neuen Glaskasten, wie das international üblich ist. Das denkmalgeschützte Hauptgebäude, das anlässlich der Weltausstellung 1913 errichtet wurde, bleibt aber glücklicherweise erhalten. Hier sehen wir aber nicht den Bahnhof (der wäre links vom Betrachter), sondern das neu errichtete flämische Regierungsgebäude – ein durchaus imposanter moderner Bau, allerdings mit eklatanten Brauchbarkeitsmängeln. Der Eingang liegt im 1. Stock, dorthin führt eine monumentale Rampe, die auf einer weiten Terrasse endet. Allerdings sind die steinernen Bodenfliesen einerseits schlampig verlegt und andererseits hat man auf völlig ungeeignetes Material zurückgegriffen, das die Flächen bei (in diesen Breiten durchaus häufigem) Niederschlag in eine einzige Rutschbahn verwandelt, weswegen Rampe und Terrasse großflächig mit scheußlichen schwarzen Gummimatten ausgelegt werden mussten.
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Noch eine Flexity-Fahrschule am Koningin-Maria-Hendrikaplein. Als Besonderheit fahren hier die Züge auf beiden Gleisen in dieselbe Richtung, es sind quasi Vorsortiergleise, weshalb hier für die am linken Gleis fahrende Linie 22 gilt: Ausstieg links!
Fortsetzung folgt!