Autor Thema: Wien 1951  (Gelesen 16871 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Revisor

  • Obermeister
  • *
  • Beiträge: 4954
Re: Wien 1951
« Antwort #15 am: 31. Mai 2013, 20:20:33 »
Ein überaus interessanter Film, aber er gibt halt die Realität nicht wieder, sondern zeigt nur ein paar Impressionen, wie sie sich eben einem Wien-Besucher der damaligen Zeit geboten haben.
Ganz genau. Die damals existierenden zahllosen Bombenruinen blieben beispielsweise ausgeblendet.

WIENTAL DONAUKANAL

  • RBL-Disponent
  • ***
  • Beiträge: 1975
Re: Wien 1951
« Antwort #16 am: 31. Mai 2013, 20:32:46 »
Tausend Dank fürs Reinstellen!
Das ist eine Zeitreise in meine Kindheit, die Stadtbahn und der Meidlinger Markt ist mir noch Lebhaft in Erinnerung.
So gut war die Zeit damals noch nicht aber es ist sehr langsam immer besser geworden.

Z-TW

  • Verkehrsführer
  • *
  • Beiträge: 2302
Re: Wien 1951
« Antwort #17 am: 31. Mai 2013, 20:55:16 »
Ich bin mit meinen Eltern 1955 als 4-jähriges Kind nach Wien gezogen. Wir wohnten in der Stromstraße (20. Bez.) in einer Eisenbahnerwohnung mit Klo am Gang, einer Waschküche, die 6 Parteien teilen mussten. Regelmäßig verschmutzten die vorbeifahrenden Dampfloks die Wäsche!
Geheizt wurde die kleine 3 - Zimmerwohnung (Küche, Schlafzimmer, Kabinett) mit nur einem Ofen, Holz bekam man in Form von alten Eisenbahnschwellen, die der Vater mühsam zerkleinerte, gratis, die Kohle konnte man als "Regiekohle" billiger beziehen. Immerhin gab es in der Küche einen Gasherd! Alle Parteien hatten einen Vorratskeller, der in den Damm der nahe vorbeiführenden Nordwestbahn hineingegraben war. Immerhin hatte man einen Schrebergarten in unmittelbarer Nähe zur Verfügung! Kirschen, Erdbeeren, Ribiseln, Stachelbeeren ("Ogrosln"), Rhabarber, Kohl, Spinat, Salat bereicherten den Speiseplan.  In unmittelbarer Nähe gab es zwei Milchgeschäfte, eine Meinlfiliale (dort wurde nicht eingekauft, weil sie zu teuer war!), einen Fleischer, eine Greißlerei, eine Apotheke. Dank der damit verbundenen kurzen Wege war ein Auto nicht notwendig. Etwas weiter hatten wir zum "Konsum" - dort kaufte die Mutter gerne ein, weil es Rabattmarken gab. Statt Drogerieketten gab es kleine Parfumerieläden.
Immerhin gab es im Bezirk 7 Kinos!  (Marchfeld, Wallenstein, Friedensbrücke, Vindobona, Hellwag, Triumph, Winarsky)
Bis etwa Anfang der 60er-Jahre, bevor Gemeindebauten entstanden, waren diverse Lagerplätze von Baufirmen von grauen Holzplanken eingezäunt. Ein Beisl nannte sich daher sogar "Plankenwirt".  In dieser Umgebung prägten noch ein paar Jahre Bombenruinen bzw. die Grundmauern von durch Bomben zerstörter Häuser die Stadtgegend. Die Straßen und Gassen waren allesamt gepflastert, in den Hausfluren der alten Zinskasernen herrschte ein eigenartiger abgestandener Mief (eine Art feuchter Modergeruch), die Beleuchtung der Fluren bestand aus matten 25 W- Birnen.
Nördlich der Stromstraße gab es noch ausgedehnte Schreber- und Gemüsegärten. Die Gassen und Straßen waren bombiert und von Wassergräben begleitet.
Die modernste Straßenbahntype waren die Z-TW, ansonsten dominierten Wagentypen mit offenen Türen.
Ich kann mich auch noch an  Gassen ohne jedes Auto an den Straßenrändern erinnern.
In der Volksschule saßen wir noch in Schulbänken mit Tintenfasslöchern. Nach dem Erlernen des Schreibens wurde von Bleistift auf Feder, die in das Tintenglas eingetaucht werden musste, umgestellt. (1958!). Welch ein Luxus war dann die erste - natürlich billige - Füllfeder! Sowieso groß war die Freude über eine Federschachtel mit zwei Bleistiften, Spitzer, Radiergummi und ein paar Buntstiften. Der Erwerb von Ölkreide in den Grundfarben galt ebenfalls schon als Luxus.
Jetzt eine bibliophile Rarität ist das damals verwendete Religionsbuch (noch in Frakturschrift!). Immer noch in Erinnerung habe ich die bunten "Fegefeuerbilder"!  Zur Erstkommunion (1959) musste man nüchtern in die Kirche kommen! Dann gab es im Pfarrheim der hässlichen Allerheiligenkirche einen grauslichen Kakao mit Milchhaut....
Und 1959 starb mein Schulkollege, der hinter mir saß, an Kinderlähmung. Gab es einen Scharlachfall, hatte das einen schulfreien Tag zur Folge, weil "ausgespritzt" werden musste.
Man vergleiche nun diesen Alltag mit dem schönen Werbefilm von  1951!

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 36148
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Wien 1951
« Antwort #18 am: 31. Mai 2013, 21:12:55 »
Dann gab es im Pfarrheim der hässlichen Allerheiligenkirche einen grauslichen Kakao mit Milchhaut....
Das ist aber kein Zeitdokument ;), so etwas bekam ich bei meiner Erstkommunion Jahrzehnte später auch vorgesetzt. Immerhin konnte die Milch damals noch eine Haut bilden, heute ist das durch die Behandlung in der Molkerei fast nicht mehr möglich.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

Bus

  • Obermeister
  • *
  • Beiträge: 3391
Re: Wien 1951
« Antwort #19 am: 31. Mai 2013, 23:04:26 »
... und nicht zu vergessen, wer einen Krieg überlebt hat und nicht traumatisiert ist, der ist halt glücklich. mehr kann man den Postings nicht mehr hinzufügen. Abgesehen von den nicht behinderten gerechten Holzkisten, die sämtliche Kriegsinvalieden vom Transport automatisch ausschlossen.

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 36148
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Wien 1951
« Antwort #20 am: 31. Mai 2013, 23:18:07 »
Abgesehen von den nicht behinderten gerechten Holzkisten, die sämtliche Kriegsinvalieden vom Transport automatisch ausschlossen.
Die konnten allerdings auch Jahrzehnte später nicht in die Stahlkisten einsteigen.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

W_E_St

  • Referatsleiter
  • *
  • Beiträge: 7250
Re: Wien 1951
« Antwort #21 am: 31. Mai 2013, 23:24:49 »
Zitat
die Beleuchtung der Fluren bestand aus matten 25 W- Birnen.
Die haben wir zum Teil immer noch. Der Unterschied zu 40ern ist marginal und aus irgendwelchen Gründen halten die 25er viel länger. Irgendein durchgeknallter Hausmeister hat zeitweise 100er verwendet, das war absolut jenseits.

Richtig duster wird es erst mit 15ern, die haben auch eine sehr niedrige Farbtemperatur. Oder wenn es ganz finster ist... vor ungefähr 10 Jahren war ich einmal in einer Zinskaserne in der Rotenmühlgasse im 12., das war Abenteuer pur! Das Altpapier statt im Container im halben Eingangsbereich verteilt und manche Stockwerke komplett unbeleuchtet. Wenn uns nicht eine alte Dame bei der Rückkehr vom indischen Klo mit einer Taschenlampe ausgeholfen hätte, hätten wir die gesuchte Wohnung nie gefunden.
"Sollte dies jedoch der Parteilinie entsprechen, werden wir uns selbstverständlich bemühen, in Zukunft kleiner und viereckiger zu werden!"

(aus einer Beschwerde über viel zu weit und kurz geschnittene Pullover in "Good Bye Lenin")

Linie 41

  • Geschäftsführer
  • *
  • Beiträge: 11669
    • In vollen Zügen
Re: Wien 1951
« Antwort #22 am: 01. Juni 2013, 07:35:21 »
Abgesehen von den nicht behinderten gerechten Holzkisten, die sämtliche Kriegsinvalieden vom Transport automatisch ausschlossen.
Die konnten allerdings auch Jahrzehnte später nicht in die Stahlkisten einsteigen.
Es ist auch ehrlich gesagt ein bisserl unfair 50 Jahre technischen Fortschritt in die Betrachtung miteinfließen zu lassen. Irgendwo, no na, ist mein WC heute viel besser und hygienischer als im Mittelalter.
Ich verstehe das Konzept dahinter nicht und bin generell dagegen.

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 36148
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Wien 1951
« Antwort #23 am: 01. Juni 2013, 10:16:22 »
Irgendwo, no na, ist mein WC heute viel besser und hygienischer als im Mittelalter.
Im Mittelalter war das weit besser als beispielsweise im Barock, wo sich die Leute nicht gewaschen und ihre Notdurft mitten in den Palastgängen verrichtet haben. ;)

Ich aber dennoch mit dir einer Meinung: Wenn man Vergleiche anstellt, muss man den damaligen Stand der Technik berücksichtigen – und der kannte eben noch keine Niederflurwagen. Ob der Wagenkasten aus Holz oder Stahl war, ist dafür völlig unerheblich.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

W_E_St

  • Referatsleiter
  • *
  • Beiträge: 7250
Re: Wien 1951
« Antwort #24 am: 01. Juni 2013, 10:41:10 »
Irgendwo, no na, ist mein WC heute viel besser und hygienischer als im Mittelalter.
Im Mittelalter war das weit besser als beispielsweise im Barock, wo sich die Leute nicht gewaschen und ihre Notdurft mitten in den Palastgängen verrichtet haben. ;)

Ich aber dennoch mit dir einer Meinung: Wenn man Vergleiche anstellt, muss man den damaligen Stand der Technik berücksichtigen – und der kannte eben noch keine Niederflurwagen. Ob der Wagenkasten aus Holz oder Stahl war, ist dafür völlig unerheblich.
Wobei, alles ist relativ. Die ersten(!) Kisföldalattiwagen in Budapest hatten wenn ich mich richtig erinnere um die 35 cm Einstiegshöhe. Waren damit aber sicher eine extreme Ausnahme.

Was man meiner Meinung nach definitiv an dieser Zeit kritisieren kann ist die extrem rigide (und doppelbödige) Moral, das gilt genauso für das 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. - alles ist möglich, so lange es nur ja unter den Teppich gekehrt wird und nicht an die Öffentlichkeit kommt.
"Sollte dies jedoch der Parteilinie entsprechen, werden wir uns selbstverständlich bemühen, in Zukunft kleiner und viereckiger zu werden!"

(aus einer Beschwerde über viel zu weit und kurz geschnittene Pullover in "Good Bye Lenin")

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 36148
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Wien 1951
« Antwort #25 am: 01. Juni 2013, 10:50:28 »
Was man meiner Meinung nach definitiv an dieser Zeit kritisieren kann ist die extrem rigide (und doppelbödige) Moral, das gilt genauso für das 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. - alles ist möglich, so lange es nur ja unter den Teppich gekehrt wird und nicht an die Öffentlichkeit kommt.
Teilweise gilt das auch heute noch, schau nur in den Bereich Politik/Lobby/Wirtschaft/öffentliche Hand... :blank:
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

raifort1

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 313
Re: Wien 1951
« Antwort #26 am: 01. Juni 2013, 14:39:30 »
Du erinnerst dich richtig, nur waren die alten Wagen der Földalatti eigentlich 'Sänften'. Der Fahgastraum war zwischen den Drehgestellen, nur der Fahrer hockte ziemlich unbequem über einem der Drehgestelle (Schwanenhalskonstruktion). Die Bezeichnung 'Kisföldalatti' gibt es erst im Volksmund seit es 'richtige' U-bahnen gibt.

Bus

  • Obermeister
  • *
  • Beiträge: 3391
Re: Wien 1951
« Antwort #27 am: 01. Juni 2013, 19:54:49 »
Die Frage ist auch, wielange würde es ein heutiger Mensch in 1951 aushalten. Wennst eine Rettung brauchst und weit und breit ist kaum ein Telefon geschweige entsprechender Fuhrpark. Man könnte ja auch behaupten, zur Kaiserszeit war es noch besser, da waren die Straßenbahnen wirklich noch schöner lackiert. Allerdings muss man dann wirklich alles weitere ausblenden.

moszkva tér

  • Referatsleiter
  • *
  • Beiträge: 8283
Re: Wien 1951
« Antwort #28 am: 01. Juni 2013, 19:57:57 »
Die Frage ist auch, wielange würde es ein heutiger Mensch in 1951 aushalten. Wennst eine Rettung brauchst und weit und breit ist kaum ein Telefon geschweige entsprechender Fuhrpark. Man könnte ja auch behaupten, zur Kaiserszeit war es noch besser, da waren die Straßenbahnen wirklich noch schöner lackiert. Allerdings muss man dann wirklich alles weitere ausblenden.

Es hängt auch davon ab, "wer" man war. Wenn man zur Oberschicht oder zum Adel gehört, lebt man zu jeder Zeit an jedem Ort sehr gut. Außer, es kommt eine Revolution  :)

Also 1951 würde sich jeder von uns schwer tun: Kein Tramwayforum. Aber vielleicht kann man das als Kettenbrief aufziehen?

tramway.at

  • Referatsleiter
  • *
  • Beiträge: 7712
    • www.tramway.at
Re: Wien 1951
« Antwort #29 am: 01. Juni 2013, 20:07:30 »
Die Frage ist auch, wielange würde es ein heutiger Mensch in 1951 aushalten. Wennst eine Rettung brauchst und weit und breit ist kaum ein Telefon geschweige entsprechender Fuhrpark.

Ich bin nur 12 Jahre später (1963) geboren, und es war eigentlich alles ganz normal  ;)
Harald A. Jahn, www.tramway.at