Teil 2
Von Bernhard Odehnal
Kleine Ursache, große Wirkung: Weil am Schwedenplatz ein Stück Schiene verbogen war, konnte Straßenbahnlinie 1 Richtung Favoriten kürzlich nicht mehr in diese wichtige Umsteige-Haltestelle einfahren, sondern musste sie über zwei Donaukanalbrücken umfahren. Der Umweg war nur 600 Meter lang. Wartezeiten an drei Ampeln und eine händisch zu stellende Weiche verlängerten die Fahrt aber bis zu sieben Minuten.
Ganze vier Tage dauerte der Ausnahmezustand, bis sich die Wiener Linien doch zu einer Reparatur der Gefahrenstelle bequemten. Heute fahren die Züge wieder direkt, wenn auch nicht sehr schnell. Immer noch hängen am Schwedenplatz jene gelben Dreiecke, die den Straßenbahnen die langsame Fahrt vorschreiben. In diesem Fall: 10 km/h.
Ob in Favoriten, Penzing, Floridsdorf oder Brigittenau, es gibt keine Tramlinie mehr in Wien, die nicht durch die gelben Dreiecke gebremst wird. In einer monatlichen Publikation namens „Wiener Verkehrsblätter” veröffentlichen Freunde der Wiener Öffis Informationen über Änderungen bei Fahrzeugen, Linien und Haltestellen, aber seit einiger Zeit auch zu Langsamfahrstellen im Straßenbahnnetz. Die Zahlen beruhen auf Berechnungen und Beobachtungen von Mitarbeitern der „Verkehrsblätter”: Im Jänner 2021 sei die Geschwindigkeit auf 4,4 Kilometer Straßenbahngleisen auf 25, 15 oder 10 km/h herabgesetzt worden. Nur auf 400 Meter wurde im selben Zeitraum die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben. Im März 2021 kamen 1,5 Kilometer Langsamfahrstellen hinzu, 380 Meter wurden aufgehoben.
Fazit: Der Zustand des Wiener Straßenbahnnetzes verschlechtert sich dramatisch. Zwar werden derzeit von den Wiener Linien auch Gleise erneuert, etwa in der Rosensteingasse in Hernals oder vor dem Justizpalast. Aber damit werden Schäden behoben, die zum Teil seit vielen Jahre bestanden. Gleisbrüche und Verformungen jüngeren Datums werden höchstens provisorisch repariert. Von einem „gezielten Verfall der Straßenbahn” spricht der Mitherausgeber der „Verkehrsblätter”, Ernst Lassbacher: Die sinkende Qualität zeige sich nicht nur in verlängerten Fahrzeiten. Sie wirke sich auch auf die Motivation des Personals negativ aus.
Dass die Fahrzeiten der Tram länger statt kürzer werden, liegt auch daran, dass in Wien die Verkehrsampeln primär für die Flüssigkeit des Autoverkehrs sorgen sollen. Zwar gibt es auch für die Straßenbahn grüne Wellen. Aber wenn die Züge das Tempo wegen defekter Schienen reduzieren müssen, verpassen sie die Grünphase der nächsten Ampel und müssen warten. Verspätungen aufzuholen ist im Wiener Straßenbahnnetz kaum möglich. Häufig wenden Züge dann früher als an der eigentlichen Endstelle und fallen damit für den Rest der Strecke aus.
Verärgert sind vor allem Fahrgäste, die in stark frequentierten Linien selten Sitzplätze finden und dazu noch länger fahren müssen. Im 6er etwa, der über den Gürtel an mehreren Stellen nur Schneckentempo fahren kann. Im 43er, der nicht nur durch autofreundliche Ampelschaltungen im Bereich der neuen U-Bahn-Baustelle ausgebremst wird, sondern auch durch abgenutzte Schienen in der Kinderspitalgasse und der Jörgerstraße. Oder in der Linie 11 in Favoriten.
Fahrzeiten, wie sie an den Haltestellentafeln stehen, sind eher optimistische Annahmen. Der 31er sollte vom Schottentor nach Stammersdorf laut Aushang 36 Minuten fahren. Tatsächlich sind die Züge drei bis fünf Minuten länger unterwegs. Beinahe genau so lange brauchte die Dampftramway, die bis 1910 auf derselben Strecke fuhr - 43 Minuten.
Ein der größten Problemstellen im Tramnetz ist das „Jonas-Reindl”, die ober- und die unterirdische Schleifen für die Linien 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44 am Schottentor. Seit langem schon dürfen die Züge im gesamten Bereich der Gleisschleifen nur mehr 10 km/h fahren. Trotzdem brechen die Schienen immer wieder. Dann steht der Betrieb, bis der Riss notdürftig verschweißt worden ist. Es ist ein Weiterwurschteln bis zum nächsten Gebrechen.
„Bei der Erneuerung der Gleise hängen wir etwas hinten nach”, sagt der Geschäftsführer der Wiener Linien, Günter Steinbauer. Gründe dafür seien unter anderem zu hohe Preisforderungen von Baufirmen, sowie Verzögerungen durch die Coronakrise. Bis 2025 solle der Erneuerungsstau aufgelöst sein, verspricht Steinbauer: „Heuer werden wir 17 Kilometer Gleise, 50 Weichen und 30 Kreuzungen tauschen.”
Morgen: Der Zustand der Gleisanlagen und ein Schienenfresser namens ULF
Quelle:Falter.Morgen
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