Österreichs erfolgreichster Fußballtrainer: Seine Wiener Wohnung war als Erinnerungsstätte geplant. Doch jetzt muss sie geräumt werdenEs kommt ja nicht alle Tage vor, dass Österreichs Nationalmannschaft als die beste der Welt bezeichnet wird. Das war zuletzt vor knapp 80 Jahren der Fall, als unsere Kicker als „Wunderteam“ in einem nie da gewesenen Siegestaumel von Triumph zu Triumph eilten. Es war ein Mann, der hinter dieser Sensations-Serie steckte: Hugo Meisl, der Trainer des Wunderteams, ein Sir vom Scheitel bis zur Sohle, der immer mit Stock und Melone auf dem Fußballfeld erschien. Die letzten Erinnerungen an die Mannschaft sind in seiner Wiener Wohnung aufbewahrt, darunter Möbel, Fotos und Pokale dieser Ausnahme-Persönlichkeit. Doch nächste Woche soll die einzigartige Stätte der Erinnerung zerstört werden. Die Stadt Wien lässt Hugo Meisls Wohnung räumen und beendet damit jede Möglichkeit, ein Stück österreichischer Geschichte aufzubewahren.
Die Wohnung im Karl-Marx-Hof, Stiege 13 erster Stock Tür 2, besteht aus drei Zimmern, Küche, Bad und Kabinett. Bis September 2009 lebte hier Hugo Meisls heute 90-jährige Tochter Martha, ehe sie aus gesundheitlichen Gründen in ein Pflegeheim übersiedeln musste. Zurück blieb die rund 100 Quadratmeter große Wohnung in fast unverändertem Zustand, wie der Nationaltrainer sie mit seiner Frau und seinen drei Kindern bewohnt hat. Nun gab es im Lauf dieses Jahres zahlreiche Bemühungen, die im April 2010 an die Gemeinde Wien rückerstattete Wohnung als Erinnerungsstätte für Hugo Meisl, für das Wunderteam und für den sozialen Wohnbau im „roten Wien“ der Zwischenkriegszeit zu erhalten.
Und zwar von überaus kompetenten Stellen:
- Der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB) „Von Seiten des ÖFB“, heißt es in einer Stellungnahme, „besteht in Anbetracht der herausragenden Bedeutung Hugo Meisls für den österreichischen und europäischen Fußball ein Interesse am Erhalt der Wohnung bzw. der darin erhaltenen Gegenstände“. Der ÖFB ersuchte die Stadt Wien, „die Errichtung dieser für die österreichische Sportgeschichte so bedeutenden Erinnerungsstätte zu unterstützen.“
- Das Bundesdenkmalamt Laut Oliver Schreiber vom Bundesdenkmalamt ergab eine Begehung der Wohnung am 23. September 2010, dass diese „zu etwa 75 Prozent so ausgestattet ist wie Hugo Meisl sie von 1930 bis 1934 bewohnte... Neben seinem Schreibtisch, Teppichen, Bücherschränken, Sitzgruppen, Lampen etc. sind Teile seiner Bibliothek, Urkunden und Fotos vorhanden. Aus Sicht des Bundesdenkmalamtes ist die Ausstattung aufgrund ihrer geschichtlichen, kulturellen und teilweise künstlerischen Bedeutung denkmalwürdig.“
- Die Familie Die Töchter, vier Enkel und acht Urenkel von Hugo Meisl würden der Stadt Wien die Möbel und andere Wertgegenstände kostenlos als Dauerleihgaben zur Verfügung stellen.
- Das Staatsoberhaupt Sogar Bundespräsident Heinz Fischer trat in einem Brief an den Wiener Wohnbaustadtrat und Vizebürgermeister Michael Ludwig dafür ein, „die Errichtung einer Erinnerungsstätte zu prüfen“.
Aus Ludwigs Antwort geht hervor, dass es ein Konzept des Vereins der Geschichte der Arbeiterbewegung gebe, demzufolge „die genannte Wohnung erhalten und für Besucherinnen und Besucher zugänglich gemacht“ werden sollte.
Doch plötzlich ist alles anders. Wie der Familie Meisl vor wenigen Tagen im Auftrag der Organisation Wiener Wohnen, die die Häuser der Gemeinde Wien verwaltet, mitgeteilt wurde, muss die Wohnung bis kommenden Freitag, 12. November, geräumt sein. Im Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig erklärt man mir auf Anfrage, dass man die Angelegenheit danach noch „prüfen“ werde.
Was von der Familie Meisl als Hohn empfunden wird. Denn man „prüft“ die Angelegenheit schon seit mehr als einem Jahr. „Ich bin sicher“, meint Hugo Meisls Enkel Wolfgang Hafer, „dass die Wohnung so schnell wie möglich neu vermietet wird. Wir wissen nicht einmal, wo wir jetzt die Möbel und die Erinnerungs-Gegenstände meines Großvaters unterbringen sollen.“
Die eigene GeschichteDie Stadt Wien begibt sich mit diesem Schritt um den Erhalt eines Stücks ihrer eigenen Geschichte: Hugo Meisls Wohnung wurde während des Bürgerkriegs im Februar 1934 angeschossen und beschädigt. Unter den Gegenständen, die in einem möglichen Museum gezeigt werden könnten, befindet sich ein von einem Projektil der Heimwehr durchschossener Pokal, der an das Länderspiel gegen die Schweiz erinnert, das Österreich 8:1 gewonnen hat. Das Ende des Wunderteams erfolgte am 9. April 1933 mit einer 1:2-Niederlage gegen die Tschechoslowakei. Das zweite Ende des Wunderteams erfolgt am 12. November 2010 mit einer 1:0-Niederlage gegen die Gemeinde Wien. Wenn diese die Wohnung von Hugo Meisl auf der Heiligenstädter Straße tatsächlich räumen lässt.
Georg Markus, 07.11.2010 KURIER