Autor Thema: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben  (Gelesen 3890 mal)

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tamperer

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Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« am: 18. Januar 2017, 17:13:02 »
Hallo aus Frankfurt,

ich hätte da mal 2 Fragen zur Wiener Straßenbahn:

1. Warum haben die Wiener Straßenbahnen erst seit einigen Jahren Rückspiegel?  Was genau sprach davor gegen eine Ausrüstung der Bahnen mit Rückspiegeln? Als aktiver Fahrer aus Frankfurt kann ich mir das nur schwer vorstellen, da zumindest alle Nachkriegstypen bei uns Rückspiegel hatten/haben.

2. Gab es bei den Signalscheiben mit beweglichen Teilen (Liniennummer gestrichen, 231/331) irgendeine Vorrichtung zum Umstellen aus dem Wageninneren, oder mußte der Fahrer/Schaffner da jedesmal hochklettern, um das Liniensignal umzustellen?

Gruß
tamperer

hema

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #1 am: 18. Januar 2017, 17:18:15 »
Das Gesetz schreibt Spiegel erst ab 2000 vor. Und da eigentlich nur für ab damals neu zugelassenen Fahrzeuge. Die Scheiben konnte man mit einer Art Stange vom Boden aus umstellen, wenn das  nicht gelang, musste man sie runternehmen, umstellen und wieder raufhängen (ebenfalls mit dieser Stange, die genauer gesagt "Besteckgabel" hieß).
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13er

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #2 am: 18. Januar 2017, 17:19:36 »
zu 1. Sie hatten auch früher Rückspiegel (sogar ästhetisch schöne). Dann nicht mehr, wahrscheinlich aus gewerkschaftlichen Gründen (so läuft das in Wien) - wo man nicht nach hinten schauen kann, kann auch der Fahrer nicht verantwortlich gemacht werden. Eingeführt wurden sie dann um 2009  wieder wegen mehrerer Vorfälle mit mitgeschleppten Personen (Schwerverletzte und sogar Tote, wenn ich mich richtig erinnere).

zu 2. Die verstellbaren Scheiben wurden mit der an den Wagen befestigten Weichenkrücke oder einer Besteckgabel eingestellt. Vom Wageninneren hat das bei den alten Wagen mit ein wenig Verrenkung sicher auch funktioniert, normalerweise erfolgte es aber von außerhalb. Das war eigentlich kein Problem, da ohnehin auch die Brustwandtafeln umgedreht werden mussten und der Zugführer sowieso den Weg hatte. Hochklettern musste man aber so oder so nicht: Die Scheiben haben an den verstellbaren Hebeln Haken, sodass man sie einfach mit irgendeiner Stange umstellen kann.
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95B

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #3 am: 18. Januar 2017, 17:21:00 »
Hallo aus Frankfurt,

ich hätte da mal 2 Fragen zur Wiener Straßenbahn:

1. Warum haben die Wiener Straßenbahnen erst seit einigen Jahren Rückspiegel?  Was genau sprach davor gegen eine Ausrüstung der Bahnen mit Rückspiegeln? Als aktiver Fahrer aus Frankfurt kann ich mir das nur schwer vorstellen, da zumindest alle Nachkriegstypen bei uns Rückspiegel hatten/haben.

2. Gab es bei den Signalscheiben mit beweglichen Teilen (Liniennummer gestrichen, 231/331) irgendeine Vorrichtung zum Umstellen aus dem Wageninneren, oder mußte der Fahrer/Schaffner da jedesmal hochklettern, um das Liniensignal umzustellen?

Gruß
tamperer

Zu Frage 1: Nach der alten StrabVO waren solche Spiegel schlicht nicht vorgesehen, daher auch kein Thema. Für die nach der StrabVO 1999 zugelassenen ULFe (ab der zweiten Lieferserie) gab es jedoch keinen Ausweg mehr, sie wurden mit Spiegel ausgeliefert. Und nachdem es etwa zeitgleich zu mehreren Unfällen durch Mitschleifen von Personen kam, die in den Medien entsprechend verwertet wurden, legte die Aufsichtsbehörde den WL nahe, auch die Altfahrzeuge mit Rückspiegeln auszustatten.

Zu Frage 2: Die beweglichen Signalscheiben hatten auf den beweglichen Teilen abstehende Stifte, um sie auch vom Boden aus betätigen zu können. Bei den Holzkastenwagen konnte man das mit der langen Weichenkrücke tun, ansonsten waren an den erforderlichen Orten oft auch Besteckgabeln am Masten oder Haltestellenschildern aufgehängt, die – wenn überhaupt – mit Vierkantschloss gesichert waren. Auf den Wagen klettern muss und musste nie jemand, um mit einer Signalscheibe zu hantieren.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
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tamperer

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #4 am: 18. Januar 2017, 18:30:24 »
Danke für die Antworten.  :D

Bimdose

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #5 am: 19. Januar 2017, 16:11:37 »
Die ersten E1 hatten Rückspiegel. Angeblich gab es eine Gerichtsverhandlung, bei der der Fahrer nach einem Unfall gefragt wurde, wieso er nicht in den Rückspiegel geschaut hat und ihm das zu Lasten ausgelegt wurde. Darauf hat man seitens der Gewerkschaft festgestellt, dass das gar kein gesetzliches Muss ist und die Abmontierung verlangt. Und dann bedarf es auch noch einer Betriebsführung, die dieser Sicherheits-Verschlechtung zustimmt. Wie richtig ausgeführt, wurde dann nach 40 Jahren ohne Spiegel der politische Druck zu groß und de facto in einer Ho-Ruck-Aktion wurden alle Wagen mit Spiegel nachgerüstet. Auch die E1, die sie 40 Jahre nicht hatten und kurz danach ausgemustert wurden.
Die Ignorierung von Sicherheits-Einrichtungen (z.B. Andreaskreuzen) durch die damaligen Wiener Stadtwerke Verkehrsbetriebe und die sie deckenden Politiker wurde schon an anderer Stelle in diesem Forum besprochen. Fairerweise muss man sagen, dass die heutige Generation von Führungskräften bei den Wiener Linien hier weit professioneller agiert (siehe auch - völlig anderes Thema - Durchmesserlinien)

hema

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #6 am: 19. Januar 2017, 18:17:36 »
Bei den E-Triebwagen war ursprünglich vorgesehen, dass die Tür 2 vom Fahrer betätigt würde, deshalb wurden die Spiegel montiert. Da dieses Vorhaben aber nie umgesetzt wurde, entfernte man die Siegel wieder. Zudem war der Bowdenzug für die Spiegelbetätigung recht reparaturanfällig.
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W_E_St

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #7 am: 19. Januar 2017, 19:58:27 »
Was mich eher überrascht: die StrabVO 1957 gilt (wie ihr Nachfolger von 1999) als weitgehende Kopie der damals gültigen deutschen BOStrab. Wenn das stimmt, wieso gab es dann in Frankfurt Spiegel, bzw. waren die nicht vielleicht freiwillig montiert?
"Sollte dies jedoch der Parteilinie entsprechen, werden wir uns selbstverständlich bemühen, in Zukunft kleiner und viereckiger zu werden!"

(aus einer Beschwerde über viel zu weit und kurz geschnittene Pullover in "Good Bye Lenin")

tamperer

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #8 am: 22. Januar 2017, 12:28:34 »
In Frankfurt hatten die Wagen vor dem 2. Weltkrieg wohl auch keine Rückspiegel, wurden aber irgendwann in der Nachkriegszeit damit nachgerüstet. ImBuch "Hundert Jahre Frankfurter Straßenbahn" gibt es Bilder der Baureihen F - J mit und ohne Spiegel. Auch die L-Wagen (4xGrER, analog Wiener Type C1) wurden ohne Spiegel geliefert. Ab Baureihe M (6xGelER, analog zu Wiener Type E) wurden die Wagen mit Spiegeln geliefert.

T1

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #9 am: 22. Januar 2017, 12:46:51 »
Was mich eher überrascht: die StrabVO 1957 gilt (wie ihr Nachfolger von 1999) als weitgehende Kopie der damals gültigen deutschen BOStrab. Wenn das stimmt, wieso gab es dann in Frankfurt Spiegel, bzw. waren die nicht vielleicht freiwillig montiert?
Da gibt es eine Webseite mit den entsprechenden Gesetzestexten von damals: http://www.meyer-strassenbahn.de/bostrab/start_bostrab.html

Zumindest in der BOStrab 1965 sind Rückspiegel vorgesehen. Die StrabVO 1957 wird aber auf einer früheren BOStrab basieren, möglicherweise eh auf der BOStrab 1938, die ja im Deutschen Reich auch auf österreichischem Staatsgebiet Gültigkeit hatte? Dort findet sich zu Rückspiegeln nichts. Möglich aber auch, dass man erst die Nachkriegs-Verordnungen abgeschrieben hat, aber diese finden sich wiederum nicht im Netz.

W_E_St

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Re: Frage zu Rückspiegeln und Signalscheiben
« Antwort #10 am: 23. Januar 2017, 01:16:22 »
Was mich eher überrascht: die StrabVO 1957 gilt (wie ihr Nachfolger von 1999) als weitgehende Kopie der damals gültigen deutschen BOStrab. Wenn das stimmt, wieso gab es dann in Frankfurt Spiegel, bzw. waren die nicht vielleicht freiwillig montiert?
Da gibt es eine Webseite mit den entsprechenden Gesetzestexten von damals: http://www.meyer-strassenbahn.de/bostrab/start_bostrab.html

Zumindest in der BOStrab 1965 sind Rückspiegel vorgesehen. Die StrabVO 1957 wird aber auf einer früheren BOStrab basieren, möglicherweise eh auf der BOStrab 1938, die ja im Deutschen Reich auch auf österreichischem Staatsgebiet Gültigkeit hatte? Dort findet sich zu Rückspiegeln nichts. Möglich aber auch, dass man erst die Nachkriegs-Verordnungen abgeschrieben hat, aber diese finden sich wiederum nicht im Netz.

Die BOStrab 1938 wird zum Zeitpunkt der Verfassung der StrabVO in Österreich gültig gewesen sein, insofern tendiere ich eher dazu, dass sich letztere auf eine neuere BOStrab bezieht, weiß es aber nicht.

In der Elektrotechnik galten die reichsdeutschen Vorschriften übrigens noch länger: die VDE 0100 aus den 30ern wurde erst 1962 von einer ÖVE-Norm abgelöst!
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