Autor Thema: [PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast  (Gelesen 3470 mal)

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Klingelfee

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[PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast
« am: 19. April 2013, 19:02:43 »
Zitat

Laut U-Bahnfahrer sind Fahrgäste oft selbst schuld an Verspätungen.


Der Traum vom mündigen Fahrgast
   
 
Das strikte Einhalten des Fahrplans ist eine der größten Herausforderungen für die Fahrer der Öffis   

Bernd Vasari   

Wien. Es ist halb acht in der Früh, der Bahnsteig der U-Bahn Station ist voll von Menschen, die in die Arbeit wollen. Endlich kommt die U-Bahn. Die Menschenmasse schiebt sich in die Waggons hinein. Nach der Durchsage „Zug fährt ab“ blinken die roten Warnlampen an den Türen, die wenig später zuknallen. Einige stemmen sich gegen die zufliegenden Türen – die sich danach wieder öffnen – und gelangen so noch in das Innere des Wagens.   

In der Früh und am Abend würde es unter der Woche jeden Tag so zugehen, sagt Josef Hackl, ein langjähriger U-Bahn-Fahrer. Und dann wundert man sich, wenn es zu Verspätungen kommt, schüttelt er den Kopf. „Jeder kann doch bis drei zählen“, fährt er fort. „Wenn ich bei einem Intervall von drei Minuten bei jeder Station eine Minute verliere, holt mich spätestens in drei Stationen der nachkommende Zug ein.“ Weiters würden dadurch bei jeder Station um ein Drittel mehr Fahrgäste einsteigen. Das Ergebnis: vollere Züge und längere Wartezeiten. Die mittlerweile immer wieder zwischen den Stationsansagen geschaltete Durchsage „Nach Abfertigung des Zuges mit den Worten ,Zug fährt ab‘ ist das Ein- und Aussteigen aus Sicherheitsgründen verboten!“ sei eine gute Idee, würde aber nicht bis zu jedem Fahrgast durchdringen.   

Keine Gnade für „Omas“   

Josef Hackl kennt die Wiener Linien von der Weiche bis zum Wagentyp der Fahrzeuge. „Ich bin aus dem Waldviertel. Wir waren froh, dass wir das Gleis gehabt haben. Das hat mich von Anfang an interessiert.“ Angefangen hat er als „Tramwayfahrer“ in Ottakring. Früher sei man die Strecken abgegangen und studierte die Ampelphasen ein. „Am schnellsten ist man nicht, wenn man Vollgas gibt, sondern wenn der Wagen in Bewegung bleibt.“ Dazu sei es nötig, die Ampelphasen genau zu kennen. Eine Grünphase kann zwischen 50 und 70 Sekunden kosten, das würde sich schnell summieren.   

Josef Hackl nimmt seinen Job bitterernst. Um den Fahrplan einzuhalten, konnte es schon einmal vorkommen, dass er der „alten Oma, die mit dem Stock der Straßenbahn entgegenhumpelt“ die Türen vor der Nase schloss und davonfuhr. Das Murren der Fahrgäste sei daraufhin nicht immer angenehm gewesen, sagt er. Aber das Murren wäre größer gewesen, wenn sich die Intervalle verlängert hätten, ist er sich sicher. „Mein Traum ist der mündige Fahrgast, der mitdenkt“, gibt Hackl zu verstehen.   

Mitdenken und vor allem Geduld wären auch in Situationen erwünscht, wenn der Zug etwa bei einem technischen Defekt im Tunnel stehen bleibt. Der Fahrer muss nachsehen, wo das Problem liegt. Wenn er in den letzten Waggon muss, geht er 110 Meter, das kann schon dauern, erzählt Bernd Sobotka, tätig in der U-Bahnleitstelle. Und die Zeit in einem Tunnel vergeht gefühlsmäßig langsamer als außerhalb, fügt er hinzu. Wenn das Problem in 25 Minuten nicht behoben werden kann, wird der Zug evakuiert. Davor wird dieser von der Stromversorgung abgekoppelt und auf Akku umgestellt. Im Tunnel geht automatisch das Licht an.   

Durchsagen würde man sehr sparsam einsetzen, vor allem bei schwerwiegenden Vorfällen wie etwa bei Brand. Man will dadurch verhindern, dass die Fahrgäste in Panik geraten und im schlimmsten Fall die Türen aufreißen und die Scheiben mit ihren Ellbogen einschlagen, sagt Sobotka. Durch den etwa einen Meter hohen Abstand von U-Bahn-Ausgang zum Boden müsste man hinunterspringen, um aus dem Waggon hinauszukommen. Wenn der Strom noch nicht abgeschaltet ist, landet man auf 750 Volt, das würde niemand überleben, gibt Bernd Sobotka zu verstehen.   

„Die U6 ist eine Challenge“   

Alle U-Bahn-Linien mit Ausnahme der U6 werden automatisiert geführt, der Fahrer diene daher hauptsächlich dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Fahrgäste. In der U6 fährt der Fahrer noch selbst: „Die U6 ist eine absolute Challenge. Sie hat viel zu viele Fahrgäste und der Zug zieht viel zu schwach“, sagt Josef Hackl. Das sei aber noch echtes U-Bahnfahren.   

Vorkenntnisse für den Beruf seien keine nötig, sagt Bernd Sobotka. Man braucht auch keinen Führerschein, um U-Bahn-Fahrer zu werden. Bewerben kann man sich ab einem Alter von 21 Jahren. Nach psychologischen Tests folgt eine dreimonatige Ausbildung.   

 Gefahren wird bis zu acht Stunden am Tag, wobei man nie mehr als dreieinhalb Stunden am Stück im Cockpit sitzt.   


Quelle: "Wiener Zeitung" Nr. 078 vom 19.04.2013 Seite: 18
Bitte meine Kommentare nicht immer als Ausrede für die WL ansehen

HLS

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Re: [PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast
« Antwort #1 am: 19. April 2013, 19:41:53 »
Ein sehr schön verfasster Text.
Dem hinzuzufügen ist eigentlich nur, dass man aber auch seitens des Unternehmens das so sehen sollte und damit nicht jede Lächerlichkeitsbeschwerde bim zum Fahrer durchleitet. Denn grad wenn man wem vor der Nase wegfährt, auch wenn ihn der Fahrer gar nicht sehn konnte, wird oft zu einer Beschwerde, die aber bereits im Unternehmen abgefangen gehört und mit einer entsprechenden Antwort beantwortet.
"Grüß Gott"

Ich fühle mich nicht zu dem Glauben verpflichtet, dass derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, von uns verlangt, dieselben nicht zu benutzen. Dieter Nuhr

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Re: [PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast
« Antwort #2 am: 19. April 2013, 23:01:16 »
Früher sei man die Strecken abgegangen und studierte die Ampelphasen ein. „Am schnellsten ist man nicht, wenn man Vollgas gibt, sondern wenn der Wagen in Bewegung bleibt.“ Dazu sei es nötig, die Ampelphasen genau zu kennen. Eine Grünphase kann zwischen 50 und 70 Sekunden kosten, das würde sich schnell summieren.   
Und gerade, wenn man in einem B1 sitzt oder - schlimmer - steht, ist dieses Verhalten mit dem Zurasen auf die Ampel und dann wie verrückt runterbremsen einfach nur idiotisch. Und passiert trotzdem ständig, wenn ich 43er fahre.

Der Artikel ist mir zu einseitig, was aber auch klar ist, es wurde ja ein Fahrer befragt, der das aus seiner Sicht schildert.

Aus meiner normalen Fahrgastsicht: Züge sind besonders dann so extrem belastet, wenn sie sehr unregelmäßig verkehren.

Wenn beim 43er 10 Minuten kein Zug daherkommt (aus welchem Grund auch immer), dann weiß ich, dass der nächste ein Horror wird. Hier müsste man alles daran setzen, diese Unregelmäßigkeiten wegzubekommen, dann wird es auch kaum Probleme mit den Fahrgästen geben, denn i.a. ist der 43er nicht dermaßen überlastet. Wenn er im planmäßigen Intervall fährt, bekommt man in der HVZ öfters sogar einen Sitzplatz, außerhalb der HVZ fast immer. Dass die Politik und auch die WL hier nicht willens oder fähig sind, Verbesserungen herbeizuführen, darf man nicht dem Fahrgast anlasten.

Bei der U-Bahn gibt es zwei Erklärungen: 1. Technische Probleme: Die vielen schadhaften Züge täglich dürfen einfach nicht passieren, Punkt. 2. Manche Strecken sind einfach dermaßen be- und überlastet, dass man nun langsam erkennen muss, dass das Wegreißen der parallelführenden Straßenbahnlinie ein schwerer Fehler war (z.B. U3 Mariahilfer Straße, U6 Gürtel). Das wird m.E. das allergrößte Problem werden, wenn man die Fahrgastzahlen weiter steigern möchte. Wir sind jetzt einfach am Limit angelangt, wo ohne Investitionen die Betriebsqualität eben sinkt.

Den Fahrgästen gebe ich dafür als letztes die Schuld. Natürlich kann man sagen, das sind alles Idioten und sie verhalten sich falsch, aber ändern kann man das trotzdem nicht, da sind auch Kampagnen völlig wirkungslos (siehe Massenpsychologie). Ändern kann man nur Dinge, die man selbst beeinflussen kann.

Fragt nicht, was die Fahrgäste für euch tun können, fragt, was ihr für eure Fahrgäste tun könnt ;)
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Linie 41

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Re: [PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast
« Antwort #3 am: 19. April 2013, 23:59:12 »
Fragt nicht, was die Fahrgäste für euch tun können, fragt, was ihr für eure Fahrgäste tun könnt ;)
Jaja, der gute alte Kennedy. Immer für einen Spruch gut. ;D
Ich verstehe das Konzept dahinter nicht und bin generell dagegen.

HLS

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Re: [PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast
« Antwort #4 am: 20. April 2013, 00:03:24 »
Fragt nicht, was die Fahrgäste für euch tun können, fragt, was ihr für eure Fahrgäste tun könnt ;)
Das darf man nicht hinterfragen und schon gar nicht aufzeigen, wie es außerhalb der Stadtgrenze gemacht wird.
Es braucht dringlich ein Umdenken in Sachen Lohnverrechnung, Fahrzeugeinteilung, Intervallverdichtungen, Streckenausbau(auch Parallelführungen zu besonders ausgelasteten U-Bahnabschnitten), absolute Bevorrangung des ÖV, Fahrzeiteinteilungen, Pausengestaltungen und Fahrzeitanpassungen(damit die Durchschnittsgeschwindigkeit dementsprechend gesteigert werden kann).
Was auch überlegenswert ist, ist eben der 24h Betrieb auf ausgewählten Linien und in Verbindung mit diesem, ein 15-20min Intervall oder auch ob man nicht weitere Linien miteinander überlappt und damit weitere Zeichen setzen, dass man den Modalsplit weiter steigern will.

Man muß aber eben auch die Fahrgäste in die Pflicht nehmen, wenn der Zug abgefertigt wird, eben nicht mehr die Türen aufzudrücken(sich in die Lichtschranken stellen oder die TFK auszuprobieren).
Das kann man auf der einen Weise über Informationen erreichen(wann kommen die nächsten Züge), per Hinweisen(Lautsprecher, Plakate...) und man darf auch dafür mal diejenigen zu Kasse bitten(das hat meistens den schnellsten Lerneffekt).

Leider kommt der "Ich-Gedanke" immer mehr zum tragen, dem müßte man schaffen halt irgendwie entgegenzuwirken.
"Grüß Gott"

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hema

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Re: [PM] Der Traum vom mündigen Fahrgast
« Antwort #5 am: 20. April 2013, 01:06:58 »
. . . . mit dem Zurasen auf die Ampel und dann wie verrückt runterbremsen einfach nur idiotisch.
Ist aber auch häufig dadurch bedingt, dass der Fahrer versucht Oberleitungskontakte oder LSA-Punkte rechtzeitig zu erreichen, um sich möglichst für die nächste Phase "einzuprogrammieren" oder er fährt in rascher Fahrt auf das Frei zeigende Vorsignal zu, das dann im letzten Moment abfällt und ihn zum Bremsen zwingt, damit er nicht in die gesperrte Kreuzung rauscht. Es sind nicht alle und immer gar so blöd, wie es für den Beobachter von außen ausschaut!


Zitat
Fragt nicht, was die Fahrgäste für euch tun können, fragt, was ihr für eure Fahrgäste tun könnt ;)
:up:  :up:  :up:
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