Hallo Tramwayforum,
ich bin seit einigen Tagen registriert und ein fleißiger Mitleser. Hier ein paar Gedanken zum Tramwayforum, im Zusammenhang mit meinem in Kürze erscheinenden Roman über Angestellte und die U-Bahn. Das Folgende ist mein Versuch einer Annäherung an dieses etwas einschüchternde Forum voller Experten. (Kopie von
ungestört.com/zu-besuch-im-tramwayforum/)
Im Jahr 2013 veröffentlichte der Penguin-Verlag eine Sammlung von Essays und Erzählungen über die Londoner U-Bahn (
amazon.de/Twelve-Stories-Authors-Penguin-Underground-ebook/dp/B00BMH8N4K/ref=cm_cr-mr-title).
Der Kritiker und Romanautor John Lanchester verfasste dafür einen Beitrag mit dem Titel
"What We Talk About When We Talk About The Tube". An einer Stelle erwähnt er als Kuriosum, dass es in England spezialisierte Monatszeitschriften für U-Bahn-Fans gibt, die für Uneingeweihte fast unverständlich bleiben in ihrem Faktenreichtum und der nüchternen Sachbezogenheit.
Ein solcher Ort für Experten und Eingeweihte ist auch die österreichische Webplattform Tramwayforum. Sie hat derzeit knapp 400 registrierte Mitglieder. Ich habe trotz längerem Suchen bisher keine Beschreibung der inhaltlichen Ausrichtung des Forums gefunden. Es sieht so aus, als ob es für die Mitglieder selbstverständlich ist, dass es hier um sachkundige Diskussionen rund um die Infrastruktur und den täglichen Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel in Wien und den Bundesländern geht. Zwar wird in einzelnen Threads auch über das Verhalten des Personals oder die Sauberkeit der Züge gestritten, aber die erfahrensten Forenmitglieder stehen solchen emotionalen Themen offenbar distanziert gegenüber. Ein typischer Thread beschäftigt sich eher mit einer öffentlichen Ausschreibung neuer Waggoneinrichtungen oder mit geplanten Renovierungsarbeiten an einem Stationsgebäude.
Ich bewundere das Tramwayforum, aber ich habe mich bis heute noch nicht getraut, dort einen Beitrag zu verfassen (dieser Text wird mein erster!), obwohl ich doch täglich über eine Stunde in den öffentlichen Verkehrsmitteln verbringe. Ich befürchte, dass meine Einstellung besonders zur Wiener U-Bahn viel zu leidenschaftlich für das Tramwayforum ist. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich gerade zur Hauptverkehrszeit mit der U6 unterwegs bin, in der oft angesichts der dichtgedrängten Menschen in den Waggons schon das Ein- und Aussteigen eine Herausforderung ist. Oder besteht der Grund darin, dass ich im öffentlichen Verkehr ein bloßer Passagier bin, während einige der Experten im Tramwayforum Fahrer und Verwaltungsangestellte der Wiener Linien sein dürften.
Als Passagier habe ich vor der U-Bahn-Infrastruktur großen Respekt. Ich stehe ihr – beinahe – sprachlos gegenüber. Sie ist größer als ich, Teil der Großstadt, in der ich fast mein ganzes Leben verbracht habe, und sie konfrontiert mich jeden Tag mit einer unüberschaubaren Vielfalt an verschiedenen Menschen als Mitreisende. Meine flüchtige Beziehung zu diesen anderen Passagieren ist mir im Ganzen noch wichtiger als die zu den Zügen, Schienen und Bauwerken. Ich weiß, dass viele regelmäßige U-Bahn-Passagiere dieses Gedränge und damit auch ihre täglichen U-Bahn-Fahrten hassen. Doch für mich enthält diese in Gemeinschaft ausgelieferte Position große Lern- und Nachdenkpotenziale. Darüber habe ich einen Roman geschrieben, der in Kürze erscheinen wird. Jetzt, da ich mit dem Schreiben und den Überarbeitungen fertig bin, stehe ich vor der Frage, wie es weitergehen soll, mit mir und dem öffentlichen Verkehr. Für Inspiration hoffe ich auf das Tramwayforum, und auf viele andere Austauschplattformen im Internet und in der physischen Wirklichkeit, unter anderem auch mit Hllfe eines geplanten kleinen Forums auf
ungestört.com, der Webplattform zum Roman. Ich möchte weiterhin über das U-Bahn-Fahren nachdenken und ich möchte lesen, was andere in der U-Bahn bewegt.
John Lanchester schreibt am Ende seines Essays, dass uns die U-Bahn in dem Moment, da wir uns hinein in einen Tunnel begeben, in die primitive Ehrfurcht des Höhlenmenschen vor einer dunklen Höhle zurückversetzt. Das ist wohl ein Element der Wahrheit über das U-Bahn-Fahren. Ein anderes Element ist aber, dass das U-Bahn-Fahren und sein Erfahrungshorizont so vielfältig ist wie die Menschen, die diese Erfahrung machen. Wenn das Tramwayforum vielleicht für die informierte, vernunftbetonte Seite der Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Verkehr steht, dann sehe ich daneben auch Platz für eine intuitive, subjektive Art der Annäherung, und für ein ganzes Spektrum an gegenseitigem Austausch dazwischen. Dazu möchte ich beitragen.