Klingt irgendwie stark danach, als hätte das Ergebnis schon vorher festgestanden, zumal, wenn man sich die Zusammenfassung des Complexity Science Hub selbst durchliest (
pdf). Konkret stört mich:
- Größere Städte werden stärker gewichtet. Natürlich braucht es mit wachsender Stadtgröße auch schnellere Verkehrsmittel. Und natürlich sind auf weiten Strecken U-Bahnen im Vorteil. Dann aber daraus plötzlich eine allgemeine Aussage für kleine und große Städte abzuleiten, ist schlicht unseriös.
- Der Vergleich zwischen Städten nur mit Straßenbahn und ganz ohne Schienenverkehrsmittel geht ziemlich unter. Sie stellen ja selbst fest, dass in Städten ganz ohne Schienenverkehrsmittel der Anteil des MIV höher und der des ÖV niedriger ist als in solchen mit Straßenbahnen. Interessant eine Bemerkung zu Österreich: "In Österreich ist Wien die einzige Stadt mit einer U-Bahn und tatsächlich ist der Autoanteil bei den Pendelwegen am niedrigsten (25%) und der Öffi-Anteil am höchsten (34%) – im Vergleich zu den anderen österreichischen Städten, die im Datensatz vorhanden sind. Den zweithöchsten Anteil an Pendelwegen mit öffentlichen Verkehrsmitteln hat Linz mit nur 21%, gefolgt von Graz mit 20%." Was haben noch mal Linz und Graz, was St. Pölten oder Salzburg nicht haben? Wobei Linz eine Doppelrolle einnimmt: "Am meisten Auto gefahren wird in Feldkirch (57%), St. Pölten (56%) und Linz (50%)."
- Nicht überall kann man Straßen- und U-Bahn so eindeutig voneinander unterscheiden wie in Wien. Wie sind wohl Systeme wie in Hannover, Stuttgart oder Porto einsortiert?
- Es ist auch nicht ganz klar, ob der stadtinterne Modal-Split oder auch Pendelnde aus dem Umland berücksichtigt sind. Ist letzteres der Fall, hängt die ÖV-Nutzung ja in erheblichem Maße davon ab, wie gut der ÖV zwischen dem Umland und der Stadt ist. Das Land OÖ selbst hat für die Linzer Wohnbevölkerung jedenfalls einen MIV-Modal-Split-Anteil von 42,1 und nicht 50 % ermittelt (
pdf, S. 3). Und gerade in Linz hat man doch bekanntlich aus Richtung Mühlviertel das Problem, dass Bahnlinien fehlen oder unattraktiv sind (ortsferne Stationen, lange Fahrzeiten, Umsteigezwänge).
- Das führt direkt zum nächsten Punkt: wie wurde denn sichergestellt, dass die Modal-Split-Erhebungen überhaupt vergleichbar sind? Oder hat man den Modal Split selbst nach einheitlichen Maßstäben erhoben oder zumindest durch welche Modelle auch immer die Angaben der Städte vergleichbar gemacht? (Das würde ich mir bei einer Organisation, die sich "Complexity Science Hub" nennt, zumindest erwarten.)
Würde man tiefer in die ermittelten Daten einsteigen, würde man sicher viele interessante Erkenntnisse haben. Ob sich der Studienautor und das Complexity Science Hub einen Gefallen getan haben, das so knackig zusammenzufassen, ist fraglich; und ob sie ihrem vermeintlichen Anliegen damit einen Gefallen getan haben, ebenfalls. Es ist jedenfalls klar, was Straßenbahngegnerinnen und -gegner nun immer aus dem Hut zaubern werden. Und so wird im Zweifelsfall an vielen Stellen eben weder U- noch Straßenbahn entstehen. Vor allem geht durch die sehr allgemeine und verzerrte Aussage auch unter, dass für jede einzelne Situation entschieden werden muss, welches System das beste ist.