Autor Thema: Zeitkarten  (Gelesen 9612 mal)

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13er

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Zeitkarten
« am: 16. November 2010, 00:11:34 »
Obwohl früher noch längst nicht so verbreitet wie heute, gab es dennoch Zeitkarten. Hier eine Monatskarte aus 1914.

Zum Vergleich: Die Monatskarte kostete 24 Kronen. In der Zeit zahlte man für einen Einzelfahrschein ca. 30 Heller. Wenn man also mit Einzelfahrscheinen alle 30 Tage eines Monats zweimal am Tag unterwegs war, so hätte man im Monat 18 Kronen dafür gezahlt. Vermutlich konnte  damals aber ohnehin nur die Oberschicht überhaupt an eine Monatskarte denken, denn der einfache Arbeiter wird kaum zu Beginn des Monats die 24 Kronen aufgebracht haben.
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moszkva tér

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Re: Zeitkarten
« Antwort #1 am: 16. November 2010, 07:35:58 »
Ich habe im geschichtsforum.de eine Diskussion über Hitlers Einkommen 1908-1913 gefunden. Papa_Leo schreibt dort:

Zitat
Ein k.u.k. Assessor an einer Oberrealschule empfing bis 1914 ein Monatsgehalt von 82 Kronen, ein absolvierter Jurist nach einjähriger Tätigkeit am Gericht ein Gehalt von monatlich 69 Kronen

Um die Kosten für die Monatskarte in Relation zum Einkommen zu setzen, bedeutet das also, die Monatskarte 1914 hat ca. 1/3 bis 1/4 eines niedrigeren Akademikergehaltes gekostet. Umgelegt auf heute wären das ca. 400-500 Euro, also genauso teuer wie heute eine Jahreskarte!  :o

Benötigt man 20 Tage im Monat je 2x einen Einzelfahrschein (Mo-Fr Fahrt in die Arbeit und retour), wären die 12 Kronen immer noch ein Sechstel bis ein Achtel des Monatsgehaltes, auf heute umgelegt also ca. 200-250 Euro.

Da soll noch jemand sagen, die Öffis heute wären teuer...

95B

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Re: Zeitkarten
« Antwort #2 am: 16. November 2010, 09:23:38 »
Da soll noch jemand sagen, die Öffis heute wären teuer...
Sie wären sicher heute vergleichbar teuer, wenn nicht der überbordende Autoverkehr (der noch dazu viel zu stark subventioniert wird) dazu geführt hätte, dass man die Preise drücken musste, um "konkurrenzfähig" zu bleiben.
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Nordbahnbertl

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Re: Zeitkarten
« Antwort #3 am: 16. November 2010, 14:33:37 »
Arbeiter fuhren damals in der Regel nicht mit der Tram zur Arbeit, sondern wohnten in unmittelbarer Nähe des Betriebes.
Wechselte der Vater den Arbeitgeber, zog die Familie um. Mit dem wenigen Besitz einer Arbeiterfamilie kein Problem ...
Alleinstehende waren überhaupt oft nur "Bettgeher".

Meine Großmutter fuhr in den 1920ern mit ihrer Mutter einmal in der Woche von Neu-Kagran zu den Markthallen beim Hauptzollamt um den Wocheneinkauf zu erledigen. Sonst kannte sie die Tram nur von außen ...
Als sie dann nach der Schulzeit als Zuckerbäckerin arbeitete, wurde der Betrieb in Floridsdorf per Fahrrad erreicht. Nur an schlimmen Wintertagen wurde die Tram benutzt.

Die elektrische Tram war in ihren ersten Jahren das Transportmittel der Mittelschicht.
Die Oberschicht fuhr mit der Kutsche bzw dem KFZ, die Arbeiterklasse blieb Ortsgebunden oder ging zu Fuß.

13er

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Re: Zeitkarten
« Antwort #4 am: 16. November 2010, 14:52:49 »
Nordbahnbertl, danke für deine historische Erklärung! Das klingt auf jeden Fall einleuchtend bei der damaligen Bezahlung und dem generellen Status eines Arbeiters/einer Arbeiterfamilie.

Wobei ich mir – bei allem Unverständnis für die sonstigen damaligen gesellschaftlichen Bedingungen – etwas mehr Ortsgebundenheit heute durchaus wünschen würde in Hinsicht auf das Sterben der ehemaligen Geschäftsstraßen. Bei der Arbeit wird sich hohe Mobilität heute kaum noch vermeiden lassen, aber warum muss man so viele EKZs ins Stadtgebiet stellen anstatt dass die Leute vor Ort ihre normalen Einkäufe erledigen. Ich gehe sowieso täglich am Weg nach Hause beim Spar oder Billa vorbei und schau halt alle paar Tage mal rein, um Nahrung für die nächsten Tage zu kaufen. Da brauche ich kein Auto für einen Wocheneinkauf und habe mir auch noch sehr viel Zeit und Nerven gespart.

PS: Und natürlich herzlich willkommen im Forum! :)
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95B

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Re: Zeitkarten
« Antwort #5 am: 16. November 2010, 15:38:39 »
warum muss man so viele EKZs ins Stadtgebiet stellen anstatt dass die Leute vor Ort ihre normalen Einkäufe erledigen.
Weil die Wirtschaft nur so die Leute animieren kann, mehr Geld für unnötige Dinge auszugeben. Wenn ich beim hypothetischen Greißler ums Eck die Milch einkaufen gehe, komme ich nicht dazu, auf eventuelle Geilgeiz-Lockangebote eines anderen Geschäfts hereinzufallen, da ich solche gar nicht wahrnehmen würde. Durch die Konzentration im EKZ erreicht man so etwas aber - und daher siedeln sich Konzerne gern in solchen Zentren an. Außerdem spielt da die Einkaufs- und Lieferlogistik der Händler auch eine gewisse Rolle.

Da brauche ich kein Auto für einen Wocheneinkauf und habe mir auch noch sehr viel Zeit und Nerven gespart.
Die Gewohnheiten der Masse haben sich leider geändert. Der Wochen(end)einkauf mit dem Auto ist notwendig, da unter der Woche zum Einkaufen keine Zeit mehr da ist. Nach der Arbeit muss man ja schnell mit dem Auto ins Fitnesscenter fahren, um dort stupid stundenlang (aaah, was für eine schöne Alliteration!) auf einem Laufband herumzutrampeln. Und nachher kommen die amerikanischen Blödserien im TV.
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moszkva tér

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Re: Zeitkarten
« Antwort #6 am: 16. November 2010, 15:45:59 »
Nicht zu vergessen: Einkaufszentren sind heute nicht mehr Einkaufszentren, sondern multifunktionszentren. Dort gibts alles: Kino, Restaurants, Bowling und Billard, Disco, Automatenkasino, Bordell, manche haben sogar einen eigenen Bahnhof oder gar Flughafen  8)
D.h. das Konsumvieh soll dort nicht nur die notwendigen Dinge kaufen, sondern auch möglichst viel Freizeit dort verbringen, um auch das gesamte Freizeitbudget dort durchzubringen.

Waaaas, das gibts schon lange? Wie heißt das? Stadtzentrum???? Uuur altmodisch  ::)

Nordbahnbertl

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Re: Zeitkarten
« Antwort #7 am: 16. November 2010, 16:00:10 »
Einkaufen gehen ist ja auch etwas sehr schönes.
Schon in alten Zeiten war der Besuch eines Marktes ein High-Light für viele Menschen.
Auch ich freue mich auf Einkaufstouren zB zum Spurkranz und Mauritz in die Novaragasse.  ;D
Je nachdem, woher ich komme oder was ich sonst noch zu erledigen bzw zu transportieren habe
wird dieses Ziel per Schnellbahn oder halt per PKW erreicht.

Ich zB bräuchte kein Auto für meine Lebensmittel-Einkäufe, aber ich habe auch Glück,
den einerseits habe ich im Umkreis von wenigen Metern die drei größten Supermarkt-Ketten zum Einkaufen,
weiters bin ich sehr kräftig und sehe das Heimtragen des Wocheneinkaufes als sportliche Herausforderung.  ;)
Meine Ex-LAP währe unter dem Gewicht zusammengebrochen.
Den Wocheneinkauf meiner Eltern, als wir zu viert waren, hätten wir nicht "erschleppt", daher Transport per PKW
(wenn man ihn schon hat nutzt man ihn natürlich auch) vom Konsum im Donauzentrum nach Stadlau.
Es gab zwar eine kleine greislerartige Konsum-Filiale auch in Stadlau, detto div Greisler und eine kleine Billa-Filiale,
aber alle diese hatten viel weniger Auswahl und waren auch wesentlich teurer!

Sogar meine Ur-Großmutter fuhr schon in den 1920ern extra (siehe oben) mit der "teuren" Tram von Kagran zum Hauptzollamt zum Einkaufen, weil es dort viel billiger als bei den örtlichen Greislern war!

Was ich nicht verstehe sind jene Konsumenten, die sich regelmäßig den stau zur SCS antun ...

Konstal 105Na

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Re: Zeitkarten
« Antwort #8 am: 16. November 2010, 21:02:50 »
Ich hätte da eine Frage an die Experten:
Gab es früher auch die Möglichkeit Zeitkarten, die nur auf bestimmten Strecken/Linien gültig waren (ähnlich den heutigen Schülerfreikarten)?
po sygnale odjazdu nie wsiadac

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Re: Zeitkarten
« Antwort #9 am: 16. November 2010, 21:52:39 »
Ich hätte da eine Frage an die Experten:
Gab es früher auch die Möglichkeit Zeitkarten, die nur auf bestimmten Strecken/Linien gültig waren (ähnlich den heutigen Schülerfreikarten)?
Latürnich, die hießen Streckenkarten, die sich aber erst bei mindestens zwei Hin- und Rückfahrten pro Tag rentierten. Später wurden mit irgend einer Tarifreform in den Sechziger Jahren die Wochenkarten, die an jedem Tag nur eine Hin- und Rückfahrt gestatteten zu Sichtkarten, die das Befahren der gewählten Strecke beliebig oft ermöglichten.

moszkva tér

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Re: Zeitkarten
« Antwort #10 am: 17. November 2010, 07:33:15 »
Einkaufen gehen ist ja auch etwas sehr schönes.
Macht mir auch viel Spaß. Auch wenn ich nur selten wirklich was kaufe.
Den Wocheneinkauf meiner Eltern, als wir zu viert waren, hätten wir nicht "erschleppt", daher Transport per PKW
(wenn man ihn schon hat nutzt man ihn natürlich auch) vom Konsum im Donauzentrum nach Stadlau.
Wenn man auf schwere Sachen verzichtet, z.B. statt Mineralwasser das gute Hochquellwasser aus der Leitung trinkt, dann gehts schon.
Was ich nicht verstehe sind jene Konsumenten, die sich regelmäßig den stau zur SCS antun ...
"Dank" der vielen neuen Einkaufszentren in Wien u.U. ist die SCS gar nicht mehr so überlaufen wie noch vor 10-15 Jahren. Parkplatz findet man dort, außer an Einkaufswochenenden, relativ leicht. Was mich mehr ärgert ist die nichtmotorisierte Vernetzung mit der Umgebung: Will man von Ikea die 300 m Luftlinie zum XXXLutz bewältigen, geht das nur mit Auto und riesigem Umweg, weil die WLB und die B17 selbst für Fußgänger absolut unpassierbar sind.
Detto vom Multiplex in die Südstadt... Die 500 m sind zu Fuß kaum zu bewältigen, schon gar nicht legal, weil man sich über die Ast. Mödling kämpfen muss. Ich hab das ein paar mal gemacht, weil ich mir ein Spiel von Admira anschauen wollte, und den Freitag Nachmittag noch für Einkaufsbummel in der SCS nutzen wollte. Der Weg dort rüber ist echt lebensgefährlich. Und mit dem Auto zum Fußballspiel fahre ich höchst ungern...

Linie 41

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Re: Zeitkarten
« Antwort #11 am: 17. November 2010, 09:52:34 »
Wenn man auf schwere Sachen verzichtet, z.B. statt Mineralwasser das gute Hochquellwasser aus der Leitung trinkt, dann gehts schon.
Deswegen mach ich mir den Sprudel selber. Die CO2-Patrone ist vergleichsweise leicht. Wozu jemand in Wien stilles Mineralwasser trinkt erschließt mir ohnehin nicht.
Ich verstehe das Konzept dahinter nicht und bin generell dagegen.

95B

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Re: Zeitkarten
« Antwort #12 am: 17. November 2010, 10:43:26 »
Wozu jemand in Wien stilles Mineralwasser trinkt erschließt mir ohnehin nicht.
Wenn man in einem Altbau wohnt und starke Bleibelastung im Leitungswasser hat, lass ich mir das noch einreden. Aber sonst... abgesehen davon schmeckt mir (unser) Leitungswasser viel besser stilles Mineralwasser.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
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W_E_St

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Re: Zeitkarten
« Antwort #13 am: 17. November 2010, 12:03:47 »
Wenn das Blei über dem Grenzwert ist, kann man den Eigentümer eh zur Sanierung zwingen (bei Drohung, sonst die Miete nicht zu zahlen, Wohnungen ohne Trinkwasser sind AFAIK gar nicht zulässig). Und mit Dezember 2013 hat sich das sowieso erledigt, da werden die Bleigrenzwerte nochmals erheblich reduziert, von 0,025 auf 0,01mg/l, den jetzigen Wert halten die meisten Bleirohrnetze gerade noch ein.
http://www.wien.gv.at/wienwasser/qualitaet/blei.html
"Sollte dies jedoch der Parteilinie entsprechen, werden wir uns selbstverständlich bemühen, in Zukunft kleiner und viereckiger zu werden!"

(aus einer Beschwerde über viel zu weit und kurz geschnittene Pullover in "Good Bye Lenin")

Wattman

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Re: Zeitkarten
« Antwort #14 am: 23. Januar 2011, 12:35:24 »
Um wieder zum Thema zurückzukommen:

Die Monatskarte kostete 24 Kronen. ... Wenn man also mit Einzelfahrscheinen alle 30 Tage eines Monats zweimal am Tag unterwegs war, so hätte man im Monat 18 Kronen dafür gezahlt.

Das heißt, die Monatskarte rentierte sich erst, wenn man mindestens 3x am Tag (inkl. Wochenende) unterwegs war?