Für diejenigen, die diese Zeit nicht mehr bewußt erlebt haben, möchte ich noch eine kleine Ergänzung zu der Gleislage von 1958 bis 1980 vornehmen. Die 50er Jahre erfanden nicht nur den Fahrgastfluß in einem Straßenbahnwagen, sondern auch den Verkehrsfluß in ganzen Grätzeln. Wo man früher noch in beide Richtungen fahren konnte, so wie auf dem Rätselbild, wurde dann begonnen, Einbahnsysteme zu erfinden und umzusetzen. Die 1958 errichtete Gleisneulage im Abschnitt Südtiroler Platz - Columbusplatz verdankt ihre Entstehung einem solchen Einbahnkonzept für den Individualverkehr. Die Straßenbahngleise folgten dann nur mehr den errichteten Einbahnregelungen.
Folgedessen lagen das Gleis I in der Laxenburgerstraße und das Gleis II in der Favoritenstraße ab 1958 dann nicht (mehr) in Straßenmitte, sondern an der jeweils linken Fahrbahnseite. Gegenverkehr durch Straßenfahrzeuge gab es ja in diesem Abschnitt dann nicht mehr. Und rechts vom Gleis stand dann nahezu die gesamte Fahrbahnbreite mehrspurig - als Einbahnstraße - für den Individualverkehr zur Verfügung. Über den Columbusplatz mußte dann der gesamte Verkehr, und zwar sowohl von der Laxenburgerstraße Richtung Südtiroler Platz stadteinwärts, als auch vom Südtiroler Platz kommend stadtauswärts Richtung Favoritenstraße.
Diese Situation änderte sich durch die U1-Eröffnung nicht grundsätzlich. Die Favoritenstraße ab Columbusplatz stadtauswärts wurde ja bereits zu Beginn der U-Bahnbauarbeiten sowohl für den gesamten Straßenbahn- als auch für den Straßenverkehr gesperrt und in eine tiefe Baugrube verwandelt. Im Abschnitt Columbusplatz - Südtiroler Platz war eine Sperre nicht erforderlich, denn dort wurde ja mit Maulwurf gearbeitet. Einzige Änderung zur Eröffnung der U1 war, daß der O-Wagen unbedingt in diesem Abschnitt eingestellt werden mußte, da ja in Wien die eiserne Regel gilt, daß eine Straßenbahn nicht parallel zu einer U-Bahn geführt werden darf, eine U-Bahn den übrigen öffentlichen Verkehr also zwingend ersetzen muß und nicht als übergeordnetes Schnellverkehrsmittel ergänzen darf. Konsequenz aus dieser Änderung war, daß die Gleise in diesem Bereich gesperrt wurden. Im Unterschied zu heute (siehe z.B. Ausstellungsstraße - Engerthstraße) beeilte man sich aber damals noch nicht so sehr mit dem Herausreißen der Gleise. Wahrscheinlich ist das heutige, blitzartige Herausreißen von Straßenbahngleisen nach U-Bahneröffnungen auf einen Lerneffekt am Beispiel des Abschnitts Südtiroler Platz - Columbusplatz zurückzuführen.
Als weder die Kürzung des O-Wagens bis Südbahnhof noch dessen HVZ- und später ganztägige Verlängerung bis Stefan Fadinger Platz auf großen Anklang stießen, das Fehlen einer umsteigefreien Verbindung des Favoritner Bezirkszentrums mit dem Südbahnhof aber auf massiven Widerstand in der Bevölkerung stieß, war es ohne größeren Aufwand möglich, diese Streckensperre einfach aufzuheben und ab 11.12.1978 den O-Wagen wieder auf seine alte Strecke in die Laxenburgerstraße (Gleis II zw. Columbusplatz und Südtiroler Platz in der Favoritenstraße) zurückkehren zu lassen.
Erst mit dem Umbau 1980 wurde die Einbahnregelung, die seit 1958 bestanden hatte, aufgegeben. Die Laxenburgerstraße war für den Straßenverkehr ab dann wieder in beide Richtungen befahrbar und wurde im ehemaligen Einbahnbereich nun sogar gleisfrei. Die Favoritenstraße wurde zwischen Columbusplatz und Südtiroler Platz Fußgängerzone, d.h. die bestehende Fußgängerzone ab Reumannplatz wurde einfach bis Südtiroler Platz verlängert. Die vorher in Seitenlage befindlichen Straßenbahngleise wanderten 1980 wieder zurück in die Straßenmitte, und nun sogar komplett in die Favoritenstraße.
Wie man daraus erkennen kann, lagen den Gleisverlegungen keine Optimierungsanforderungen des Straßenbahnverkehrs zu Grunde, sondern es ging immer um eine Optimierung des Individualverkehrs und eine Maximierung des Umsatzes in der Einkaufsstraße Favoritenstraße. Die Straßenbahn war immer das 5. Rad am Wagen und mußte nehmen, was übrig blieb. Das war auch 2002 nicht anders, als die Gleise wieder zurück in die Laxenburger Straße - nun wieder in Straßenmitte - verlegt wurden.