Autor Thema: Hier kommt der Flexity  (Gelesen 3103528 mal)

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coolharry

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7875 am: Heute um 07:24:29 »
Naja, ich kenne es aus der U-Bahn-Architektur, wo mit "Stand der Technik" gold-plated Standards geschaffen werden, die weit über das tatsächlich notwendige hinausgehen. Das hat auch damit zu tun, dass die Gutachter heute privat sind und sich nicht aus dem Fenster lehnen wollen; früher hat die Behörde eher mit Augenmaß agiert. Ein beispiel, das ich aus 1. Hand weiß sind die bizarren Lüftungstürme für die Brandrauchentlüftung. Das muss man sich mal vorstellen: Für ein Ereignis, das hoffentlich nie eintritt (Brand in einer U-Bahn-Station) werden die Rauchabzüge so angeordnet, dass der Rauch keinen zufälligen Passanten, der gerade im Freien vorbeigeht, zum husten bringt. Ich bin weder Architekt noch Fahrzeugbauer, höre aber die prinzipiell selben Dinge bei meinen Interviews immer wieder. Im Prinzip kleistern wir uns die Welt so mit Vorschriften zu, dass das eigentlich gewünschte Ergebnis kaum mehr erreichbar ist.

Grad beim Brandschutz sollte man nicht weniger fordern als den Stand der Technik.
Und manche Brandgase sind schwerer als Luft und können bei den Ausströmöffnungen dafür sorgen das sich rund um den Turm ein Gemisch bildet, welches Toxisch wirken kann. Je weiter weg vom Mensch desto wahrscheinlicher ist das verdünnt. Außerdem du gehst grad gemütlich am Gehweg und in der Sekunde rennt die Brandrauchlüftung an und bläst dir den schwarzen Rauch ins Gesicht. Super oder ?  ;) Dann schaust aus wie im Comic.

Nun so sehr Überreglementierung nervt, so haben doch 99% der Regeln einen Sinn und eine Begründung. Blindenleitsysteme, Brandrauchlüftungen oder die höhe von Türtastern. Alles geregelt und alles aus gutem Grund. Und das nicht nur bei uns.
Wo man aber durchaus, meiner Meinung nach, ansetzen könnte, ist bei den ganzen Energieverbrauchs und Dämmungsregeln. Gerade bei Gebäuden haben wir mittlerweile absurd hohe Dämmungsvorschriften*, die lediglich darauf beruhen weil irgendwer die alten schon nicht eingehalten hat. Somit hat man Regeln verschärft die man nicht verschärfen hätte müssen um ein Problem zu lösen, welches dadurch entstanden ist, weil sich einer nicht an die Regeln gehalten hat.  :fp:

*Die machen durchaus Sinn aber nicht mehr wenn die daraus resultierende Energieeinsparung nur mehr mit dem Mikroskop messbar ist.
Weil ein menschlicher Hühnerstall nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann.

MK

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7876 am: Heute um 08:33:22 »
Grad beim Brandschutz sollte man nicht weniger fordern als den Stand der Technik.

Und die Realität ist dann z.B. bei Gebäuden, dass dieser "Stand der Technik" dazu führt, dass die Kosten für Neubau massiv steigen, und auf den Neubau verzichtet wird. Dafür bleibt das Gebäude aus den 50ern zum damaligen "Stand der Technik" erhalten - Nachfrage ist da - und genießt Bestandsschutz.

Am Ende haben also die Nutzer des Gebäudes Nachteile, weil die Wahl nicht zwischen "leicht unter Stand der Technik" und "Stand der Technik" fällt, sondern zwischen "leicht unter Stand der Technik" und "weit unter Stand der Technik".

Das gilt natürlich genauso auch für Fahrzeuge: Ein c3 brennt im Vergleich zu einem ULF wie ein Luster.
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coolharry

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7877 am: Heute um 09:45:58 »
Grad beim Brandschutz sollte man nicht weniger fordern als den Stand der Technik.

Und die Realität ist dann z.B. bei Gebäuden, dass dieser "Stand der Technik" dazu führt, dass die Kosten für Neubau massiv steigen, und auf den Neubau verzichtet wird. Dafür bleibt das Gebäude aus den 50ern zum damaligen "Stand der Technik" erhalten - Nachfrage ist da - und genießt Bestandsschutz.

Am Ende haben also die Nutzer des Gebäudes Nachteile, weil die Wahl nicht zwischen "leicht unter Stand der Technik" und "Stand der Technik" fällt, sondern zwischen "leicht unter Stand der Technik" und "weit unter Stand der Technik".

Das gilt natürlich genauso auch für Fahrzeuge: Ein c3 brennt im Vergleich zu einem ULF wie ein Luster.

Auf das kann ich nur Antworten: Mit Menschenleben spielt man nicht.
Und das das alte Fahrzeug Klumpert aussortiert gehört, steht für mich außer Frage.
Und nur weil eine c3 besser brennt wie ein ULF heißt nicht das man deswegen bei neueren Fahrzeugen einen geringeren Wert auf die Brandbeständigkeit legen sollte.
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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7878 am: Heute um 10:07:32 »
Thema ist halt, dass man sich alle "nice to have"s nicht mehr leisten kann - die U2/5 mit ihren paar Stationen sprengt bereits jetzt jedes Budget (wir sind bei über 6 Milliarden).

Noch Beispiele zu den überzogenen Standards: Die Kollektorgänge unter den U-Bahnsteigen waren früher so hoch wie der Bahnsteig, also etwa 1 Meter, war ja auch nur ein Kabelschacht. Das ist aus Bequemlichkeitsgründen höher geworden (die Baugrube muss also nur dafür 1 Meter tiefer sein). Nun liegt die U1-Station Altes Landgut unter der Autobahn am Verteilerkreis. Weil sich im Kollektor ja Arbeiter aufhalten könnten, brauchen die nun einen Notausgang in annehmbarer Entfernung. Eine Klappe direkt auf den Bahnsteig geht natürlich nicht, da könnte bei der Öffnung ja jemand stolpern. Sonst löst man das in Röhrenstationen mit Brandabschnitten in den Querschlägen. Beim Alten Landgut gibts aber keine, die Behörden haben also separate Notausgänge aus dem Kollektor an die Oberfläche gefordert, das konnte man ihnen mühsam ausreden...

In Linz wäre die alte Eisenbahnbrücke breitenmäßig für zwei Straßenbahngleise geeignet gewesen. Problem war, dass im Notfall das Tragwerk vielleicht gerade vor einer Tramwaytüre wäre, sodass man von da nicht auf den Gehsteig steigen könnte. Das war schlussendlich der Grund für eine ganz neue Brücke... Wenn die Tramway aber an Parkstreifen entlangfährt, die eine wesentlich dichtere "Mauer" bildern, ist was gaaanz anderes...

Oder nochmal U-Bahn: Früher waren die Rolltreppen Teil der Fluchtwege, heute darf so nicht mehr gerechnet werden. Jetzt kann man diskutieren, wie breit die Fluchtwege insgesamt für die angenommene Personenmenge sein müssen, aber mit dieser recht neuen Regel muss man wieder deutlich größere Volumina in die Erde schachten - abgesehen von den Kosten, all diese Querschnitte bekommt man aber innerstädtisch kaum noch unter.

Die Gebäudeisolierungen wurden schon genannt, ähnliches Thema sind die Pflichtstellplätze, die gleich auf mehreren Ebenen schaden. Und auch hier muss man die Entlüftungen irgendwo unterbringen, sodass man bei vielen dicht gebauten Wohnbauten die Abgase halt neben dem Kinderspielplatz ausbläst...

etc. etc. etc - all das mag gut gemeint sein, in Summe schadet es den Menschen und auch den Städten. Und weil alle mit den Vorschriften und den Kosten überfordert sind, denken alle nur noch technokratisch, für Schönheit und echte Qualität bleibt nix über.
Harald A. Jahn, www.tramway.at

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7879 am: Heute um 10:10:27 »
Naja, ich kenne es aus der U-Bahn-Architektur, wo mit "Stand der Technik" gold-plated Standards geschaffen werden, die weit über das tatsächlich notwendige hinausgehen. Das hat auch damit zu tun, dass die Gutachter heute privat sind und sich nicht aus dem Fenster lehnen wollen; früher hat die Behörde eher mit Augenmaß agiert. Ein beispiel, das ich aus 1. Hand weiß sind die bizarren Lüftungstürme für die Brandrauchentlüftung. Das muss man sich mal vorstellen: Für ein Ereignis, das hoffentlich nie eintritt (Brand in einer U-Bahn-Station) werden die Rauchabzüge so angeordnet, dass der Rauch keinen zufälligen Passanten, der gerade im Freien vorbeigeht, zum husten bringt. Ich bin weder Architekt noch Fahrzeugbauer, höre aber die prinzipiell selben Dinge bei meinen Interviews immer wieder. Im Prinzip kleistern wir uns die Welt so mit Vorschriften zu, dass das eigentlich gewünschte Ergebnis kaum mehr erreichbar ist.
Kaprun schon vergessen?Damals warens keine Fahrzeuge, sondern Fahrbetriebsmittel und daher keine Einrichtungen vorhanden, damit man von innen raus kommt. Soviel zum Thema Behörden und Augenmaß.
Ganz gut ist die Fernsehrunde 10 Jahre nachher, wo die Wirtschaftsleute(ÖVP nahe) ganz klar sagen...Zukunft...Leute wollen da rauf und sie mussten 2 Monate nach der Katastrophe Personen abweisen weil die Alternativen ausgelastet. Diese Überheblichkeit ist fast nicht zum anschauen, zu Corona hats dann der Gesundheitsfuzzi von Tirol auf die gleiche Weise probiert"wir haben alles Richtig gemacht".
Die checken gar nicht das sie Scheisse gebaut haben und daher sind diese Auflagen heute mehr als nur notwendig.
Auch wenn das Ministerium nach Kaprun erstmal aus dem Winterschlaf geholt werden musste und dann zb der Talent mit Auflagen zugepflastert weil sich jeder der Beamten ins Hoserl machte, wenn er die Unterschrift da hinsetzt und etwas passiert, er in Häfn geht.

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7880 am: Heute um 10:11:51 »
Auf das kann ich nur Antworten: Mit Menschenleben spielt man nicht.

Das ist ein Killerargument. So wird in Realität nicht gearbeitet. Es ist immer eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen. Wenn es nur nach dem Stand der Technik ginge, müsste man den Autoverkehr (mit 400 Toten jährlich) sofort verbieten, oder würde noch jemand fliegen, wenn der AUA jedes Jahr ein Flieger abstürzt?
Harald A. Jahn, www.tramway.at

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7881 am: Heute um 10:18:41 »
Das ist ein Killerargument. So wird in realität nicht egarbeitet. Es ist immer eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen. Wenn es nur nach dem Stand der Technik ginge, müsste man den Autoverkehr (mit 400 Toten jährlich) sofort verbieten, oder würde noch jemand fliegen, wenn der AUA jedes Jahr ein Flieger abstürzt?
Deines aber auch.
Ich zb hab Bauchweh bei der 737max, weil die sogar mit Startverbot belegt war. Aber muss hier auf die Behörden vertrauen, da ich vermutlich nichtmal weiß wenn ich mit sowas fliege, da ich kein Flugzeugferro.

coolharry

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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7882 am: Heute um 10:27:49 »
Thema ist halt, dass man sich alle "nice to have"s nicht mehr leisten kann - die U2/5 mit ihren paar Stationen sprengt bereits jetzt jedes Budget (wir sind bei über 6 Milliarden).

Ziel von solchen Normüberdenkungen soll ja nicht sein, dass es Menschenleben kostet sondern ob die Vorschrift auch 1:1 auf den Fall umzulegen ist.
Um ein Beispiel von vorher aufzugreifen:
Ein Wohnhaus mit 14 Wohnungen pro Stiege insgesamt 3 Stockwerken wird ein anderes Brandschutzkonzept benötigen als ein Wohnhaus mit 65 Wohnung auf 5 Stockwerken. Beide hatten ein Stiegenhaus und einen Aufzug. Trotzdem müssen im Falle eines Falles in dem einen Stiegenhaus weit mehr Menschen flüchten und brauchen auch dementsprechend länger. Deswegen muß letzteres eben besser gesichert sein als ersteres. Trotzdem werden derzeit beide gleich behandelt. Und ja das macht, auch meiner Meinung nach, keinen Sinn.

Und Fluchtwege aus den Stationen: Berechnungsfall ist der Worst Case: Ergo 2 Volle Züge (rund 1600 Menschen) innerhalb von weniger als 30min komplett zu evakuieren bei bereits wahrnehmbarer Verrauchung der Station. Da wird jedes Hindernis, jeder eingeschränkte Fluchtkorridor und jede Treppenstufe die manche verlangsamt zur Todesfalle.
Warum wahrnehmbare Verrauchung: Bis einer die Evakuierung anordnet vergeht halt Zeit.

Auf das kann ich nur Antworten: Mit Menschenleben spielt man nicht.

Das ist ein Killerargument. So wird in realität nicht egarbeitet. Es ist immer eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen. Wenn es nur nach dem Stand der Technik ginge, müsste man den Autoverkehr (mit 400 Toten jährlich) sofort verbieten, oder würde noch jemand fliegen, wenn der AUA jedes Jahr ein Flieger abstürzt?
Kauf dir mal ein neues Auto. Das hat so viele vorgeschriebene Assistenten drin, da kann man nur noch absichtlich einen Unfall bauen weil unabsichtlich bremst dich das Ding aus.
Natürlich Kosten und Nutzen: Nur für manche ist jeder Euro zu hoch der nicht in verwertbar ist. Und wie hoch sind die Kosten für einen Toten in einer U-Bahnstation, weil dieser nicht rechtzeitig flüchten konnte?
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Re: Hier kommt der Flexity
« Antwort #7883 am: Heute um 10:51:08 »
Langsam geht die Diskussion vom Thema weg......