Ursprünglich war die Präsentation dieser Bilder als Gemeinschaftsreportage von benkda01 und mir gedacht, aber aus Zeitmangel auf beiden Seiten konnte dieses Projekt bisher nicht verwirklicht werden. Daher gibts jetzt eine kurze Übersicht meiner schönsten Aufnahmen aus der Hauptstadt Oberschlesiens, die wir Mitte Juli 2011 besuchten.
Damals waren die Straßen Oberschlesiens noch E1-frei - ob die täglichen Entgleisungen auch noch weniger waren, entzieht sich meiner Kenntnis - es gab aber trotzdem genug zu entdecken. Wir fuhren in drei Tagen bei weitem nicht das ganze Netz ab, sondern sahen nur einen kleinen Bruchteil. Daher ist dieser Beitrag bei weitem kein vollständiges Abbild der "Tramwaje Śląskie" und wird - hoffentlich schon bald - ergänzt werden.
Eine Reportage soll keine simple Aneinanderreihung von Bildern sein, sondern auch Hintergrundinformation beinhalten. Wie bei meinen bisherigen Reportagen über
Poznań und
Most-Litvinov gibt es daher zuallererst einen
geschichtlichen Überblick über das oberschlesische Straßenbahnnetz.
Mit der Industrialisierung und dem rasanten Aufschwung des Kohle- und Erzbergbaus im oberschlesischen Industriegebiet mußten Ende des 19. Jahrhunderts auch für den Personenverkehr in den rasch wachsenden Städten Verbindungen geschafft werden. Die zunächst mit Dampfbetrieb und auf schmaler Spur geführten ersten Züge wurde in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts elektrifiziert. In den zwanziger und dreißiger Jahren wurden zahlreiche neue Linien - oft noch in Schmalspur - eröffnet. Erst in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die Umstellung auf Normalspur abgeschlossen.
Oberschlesien war bis 1939 durch die neue Grenzteilung zerschnittenes Teilgebiet von Deutschland und Polen. Das wirkte sich auch auf die Straßenbahn aus, 1937 wurde die letzte grenzüberschreitende Verbindung eingestellt. Die deutschen Besatzer verbanden die beiden Netze während des 2. Weltkrieges wieder und führten auch das heute noch geltende Linienschema ein. Durch die Verstaatlichungswelle und das erneute Aufleben des industriellen Abbaus fuhr auch die Straßenbahn neue Beförderungshöchstleistungen ein. In den sechziger und siebziger Jahren wurde das Netz erweitert, Ende der siebziger Jahre wurde die größte Netzausdehnung mit 235 Kilometern erreicht. Ab den 1980er-Jahren erfolgte ein leichter Rückbau, einige Strecken wurden stillgelegt, andere jedoch renoviert und als "Light-Rails" verkehrsunabhängig angelegt und aufgewertet.
Das chronische Fehlen von Geldmitteln ist heute im gesamten, 200 Kilometer langen Netz deutlich spürbar, das durch schlechten Schienenzustand und mangelhaft gepflegte Fahrzeuge geprägt ist. Zwischen 2006 und 2010 wurden weitere Teile des Netzes stillgelegt, was nicht primär an mangelndem Bedarf, sondern vor allem an zu schlechtem Gleiszustand lag, der die Sicherheit gefährdete. Es bleibt abzuwarten, ob und was sich durch EU-Gelder und die neuen Fahrzeugankäufe ändern wird.
Das gesamte
oberschlesische Netz verbindet 13 Städte auf einer Ost-West-Achse von mehr als 50 Kilometern. Auf 27 Linien verkehren derzeit 370 Fahrzeuge. Die längste Strecke (Linie 21) weist 22,4; die kürzeste (Linie 38) 1,8 km Streckenlänge auf. Die Intervalle der einzelnen Linien ist polentypisch eher lange, da aber viele Linien parallel verkehren, ist dies auf den Hauptstrecken nicht spürbar. Die überwiegende Anzahl der Linien verkehrt rund um die Uhr.
Ein
Netzplan (Stand 16.08.2011) ist
hier zu finden.
An
Wagentypen besteht seit einigen Jahren eine breite Mischung. Dominiert wird der Betrieb durch die polnischen Erzeugnisse der Firma Konstal, die sich heute im Besitz von Alstom befindet. Ihre Zentrale und Werkstätte hat die Firma in Chorzów, die Katowice am nächsten gelegene Stadt im Westen. Für die genauen Typen und Stückzahlen möge man die
Übersicht in der polnischsprachigen Wikipedia konsultieren.
An
ausländischen Wagen gibt es neben den E1 schon seit 2010 zehn Fahrzeuge des Typs Düwag PT8 ex Frankfurt am Main. An
Niederflurfahrzeugen fahren 17 Stück Konstal 116Nd aus 2000, was einen mageren Niederfluranteil von 4,8% ergibt.
Aber nun endlich zu den Bildern.
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Bild 1: Am Marktplatz (rynek) von Katowice spielt sich das tägliche Konstal-Treiben ab. Es begegnen sich ein Solo-105Na am 13er und eine 105Na-Tandemgarnitur auf der Linie 19.
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Bild 2: Von den DÜWAG-Garnituren habe ich leider keine besonders guten Bilder zusammengebracht. Dieses Bild entstand spätabends bei eigentlich nicht mehr zum Fotografieren geeigneten Lichtverhältnissen. Im Hintergrund ist wieder der Hauptplatz zu sehen. Wer solche Marktplätze in Krakau, Poznan oder Danzig gesehen hat, wird enttäuscht werden. In Katowice ist der rynek eine autodominierte Ansammlung von Plattenbauten aus den 70ern.
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Bild 3: Man merkt mitunter Versuche zur Behübschung des - nun ja - nicht gerade prachtvollen Stadtbildes der Industriestädte. Brunnen sind da ein beliebtes Mittel - ein in den 2000er-Jahren modernisierter Konstal entkommt dem Wasserregen gerade.
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Bild 4: Zwischen Katowice und Chorzów ist dieser Niederflur-Konstal116Nd unterwegs. Die Wagen sind trotz ihres vergleichsweise jungen Alters innen in einem grauenhaften Zustand, schmutzig und quietschend an allen Ecken und Enden.
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Bild 5: Oft führen die Strecken durch "G'stättn"- oder Waldabschnitte. Allgegenwärtig sind auch die Ruinen mit der Wende geschlossener Bergwerke und verarbeitender Industrien. Mehr als 20% der Bevölkerung im oberschlesischen Industriegebiet sind arbeitslos, in der ersten Hälfte der 90er-Jahre wurden 320.000 Arbeitsplätze abgebaut.
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Bild 6: Neben diesem in fortgeschrittenem Verfallszustand befindlichen Gebäude am Stadtrand von Bytom (man beachte die sich allmählich verabschiedende Zwischendecke im ersten Stock) wartet eine Konstal-Tandemgarnitur auf die Weiterfahrt.
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Bild 7: Ein paar Haltestellen weiter, im Stadtzentrum von Bytom, ist von Verfall, Arbeitslosigkeit und Tristesse nichts mehr zu spüren- scheinbar zumindest. 2010 wurde dort ein riesiger Einkaufstempel nach westlichen Maßstäben errichtet, vor dessen Eingang dieser 116Na soeben Fahrt aufnimmt.
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Bild 8: Dieser 116Na fährt über einen Teil des Marktplatzes(!) von Chorzów. Man beachte die allgegenwärtigen Barrieren für Fußgänger und die quer über den Platz auf Stelzen errichtete Schnellstraße.
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Bild 9: In der im Nordwesten des Industriegebietes gelegenen Stadt Bytom gibt es nicht nur einen Bahnhof, der ein lebendes Beispiel für den Verfall kommunistischer Architektur darstellt (sehenswert!), sondern auch das Ziel vieler Straßenbahnfreunde: die Linie 38. Auf der eingleisigen Strecke pendelt untertags ein Konstal N (vergleichbar mit unseren Heidelbergern) aus dem Jahr 1949. Ein echtes Erlebnis! Bei unserem Besuch versprühten sowohl der Triebwagen als auch der Fahrer einiges an Nostalgie.
Das wars auch schon wieder mit einem kurzen Überblick über das oberschlesische Straßenbahnnetz. Ich hoffe, es hat gefallen und freue mich in Kürze auf weitere Bilder über Streckenteile, die mir verborgen geblieben sind. Außerdem sind ja noch die ersten qualitativen E1-Bilder ausständig!