Raum für Fußgänger und Grün in der Stadt: Mittelfeld in Europa, also auch nicht wirklich schlecht.
Naja, hier würde ich es eher im unteren Mittelfeld sehen - die Slaloms um parkende Autos, und wenn nicht um parkende Autos, um entgegenkommende Fußgängerinnen und Fußgänger, weil die parkenden Autos die Gehwege verschmälern, sind schon verdammt anstrengend und kommen in Wien ziemlich häufig vor. Wobei mein Vergleichsmaßstab ehrlicherweise weniger Italien ist als es viel mehr diverse mittel- und ostmitteleuropäische Städte sind. (Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich sage: Rom sollte nun wirklich kein Maßstab sein; und ich bin mir bewusst, dass Rom auch nochmal eine ganz andere Welt ist als z.B. Turin.)
aber guter Geschmack kostet nicht viel mehr als schlechter
Eben. Es ist oft einfach Desinteresse. Beliebt ist in Wien auch, für Leitungsarbeiten Pflastersteine herauszunehmen, selbst auf gerade umgebauten Straßen (Mahü...), und nach Ende der Arbeiten das Ganze wieder mit Asphalt zu verschließen. Was spart man sich denn dadurch, dass man da Asphalt reingießt, statt einfach wieder die Steine, die man entnommen hat, wieder einzusetzen? Es ist einfach Desinteresse.
Und bei aktuellen Neubauprojekten sollte man berücksichtigen, dass man für die nächsten Jahrzehnte verantwortlich ist - und da stinkt Wien total ab.
Ja, und auch hier frage ich mich, ob eine liebevollere öffentliche Gestaltung so viel teurer wäre - z.B. eben bei der Platzabfolge in der Seestadt (westlich des südlichen U-Bahn-Eingangs), die in den letzten Jahren entstanden ist. In Bezug auf die Investitionen, die für die und in der Seestadt getätigt werden - um wieviel Promille wäre eine bessere Gestaltung teurer gewesen? Wäre sie überhaupt teurer gewesen?
Auch was die Antizipation der künftigen Entwicklungen betrifft, ist Wien ein Problemfall: Man macht weiter wie in den 1970ern, hier sind London oder Paris deutlich mehr zukunftsorientiert (wenngleich immer noch zu wenig, aber mehr Veränderung ließ0e sich wohl nicht demokratisch verwirklichen).
Ja, und deshalb sind auch die Ziele, den MIV zu reduzieren, völlig illusorisch - allein schon, weil die Entwicklung des Öffi-Netzes nicht ansatzweise mit der Stadtentwicklung Schritt hält. Abgesehen vom positiven Ausnahmefall Seestadt: in der ganzen Stadt entstehen neue Wohngebiete, teilweise ziemlich dicht besiedelt, und der ÖPNV entwickelt sich einfach nicht mit, und wenn, dann nur notdürftig, weil man das über Jahrzehnte gewachsene Netz einfach nicht anfasst.
Einige Negativbeispiele habe ich ja schon öfter genannt (z.B. Barbara-Prammer-Hof, Gaswerk Leopoldau), weitere:
- Das Bauprojekt Wildgarten am Südwestfriedhof: Da hat man vor einiger Zeit den 63A hinverlegt, damit niemand behaupten kann, es gebe keine Öffis; der 63A schafft ja das Kunststück, an gleich zwei S- und U-Bahn-Stationen mit ein paar hundert Metern Abstand vorbeizufahren und erst nach 20-minütiger-Fahrt mal eine U-Bahn-Station zu erreichen; das wäre ja vielleicht sinnvoll, wenn er dafür andere wichtige Ziele erreicht (Busse sollten ja nicht nur auf ihre Zubringerfunktion zu S- und U-Bahnen reduziert werden), aber das ist hier auch nicht der Fall. Als Minimalmaßnahme böte es sich an, den 16A zusätzlich (ganztägig!) zum Rosenhügel zu verlängern, aber eigentlich müsste das Busnetz in diesem Bereich mal völlig neu organisiert werden.
- Das neulich auch im
"Standard" besprochene Projekt Oleandergasse.
Beide Projekte leiden auch darunter, dass der S-Bahn-Verkehr für die Wiener Verkehrsplanung nur eine untergeordnete Rolle hat (die Oleandergasse hat z.B. durch die ziemlich dumme Schließung der Station Hausfeldstraße ihre Anbindung an die Marchegger Ostbahn verloren, so wie große Teil der nördlichen Donaustadt) und dadurch ziemlich viel Potential verschenkt wird. Die Humpelintervalle, die es bei S-Bahnen und Regionalzügen auf einzelne Stationen bezogen oft gibt, machen es auch ziemlich schwierig, die sonstigen Öffis darauf auszurichten.
Notwendig wäre erstmal eine Definition, was man eigentlich möchte, z.B. glatte 15- oder 10-min-Intervalle an allen S-Bahn-Stationen in Wien (auch am Wochenende, auch abends, auch an der Siemensstraße, in Atzgersdorf oder Stadlau). Dann kommt man recht schnell zur Erkenntnis, dass es z.T. an infrastrukturellen Defiziten wie eingleisigen Strecken scheitert, die allerdings dann oft außerhalb Wiens liegen. Die Konsequenz wäre also, NÖ mit ins Boot zu holen und ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, wie sich der Bahnverkehr entwickeln soll und welche infrastrukturellen Ausbauten dafür erforderlich sind. Und mit diesem Konzept geht man dann zum Bund (wobei man ihn natürlich auch vorher schon einbeziehen sollte).
Aber noch nicht mal das gibt es, und auch keine Anstrengungen, es zu erreichen. Stattdessen lügt man vor jeder Wahl in Wien oder NÖ wieder herum, dass man angeblich U- und Straßenbahnen nach NÖ verlängern möchte. Klar, wer's glaubt...
In der Region Berlin haben sich die beiden Länder (Berlin und Brandenburg) übrigens vor einigen Jahren auf ein solches Ausbauprogramm geeinigt:
i2030. Ich möchte es nun wahrlich nicht über den grünen Klee loben: es dauert alles viel zu lange ("i2040" wäre ehrlicher und realistischer), und es ist auch verdammt viel Marketing dabei - aber allein der Umstand, dass es sein solches Papier gibt, das auf der systematischen Analyse von Defiziten im Bestandsnetz basiert, ist schon mal ein Fortschritt. (To be fair: die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg gestaltet sich insofern etwas leichter, als dass Brandenburg auch traditionell SPD-regiert ist; andererseits: Politik hat die Aufgabe, das Leben der Bürger/innen zu organisieren, nicht Befindlichkeiten auszutauschen.)
Von
Grand Paris und den in ihm enthalten Bahnprojekten fange ich erst gar nicht an, da kann Harald sicher mehr zu erzählen.
Was den Vergleich der Verkehrsnetze betrifft ist es schwierig, der Oberflächenverkehr in Paris (nur Busse, oft im Stau) ist deutlich schlechter als in Wien. Die Metro ist viel dichter, aber auch umständlicher. Was das "Gesamterlebnis" betrifft ist es schwer zu vergleichen, die Städte sind zu unterschiedlich stukturiert.
Gilt aber natürlich auch umgedreht: bei vielen, die die Öffis in Wien als besonders vorbildlich loben, habe ich den Eindruck, dass sie vor allem zwischen Gürtel und Donau unterwegs sind. Kunststück, in jeder Stadt dieser Welt sind die Öffis im Zentrum besser als außerhalb, wobei sie in Wien in den inneren Bezirken auch tatsächlich besser sind als in anderen Innenstädten.
Deshalb würde ich mich z.B. auch mit einem pauschalen Vergleich mit Berlin schwer tun: tendenziell ist der Berliner ÖPNV in den Außenbezirken um einiges besser als die Wiener Öffis in vielen Gebieten am Stadtrand: allein deshalb, weil die S-Bahn auf fast allen Strecken alle 10 min unterwegs ist, und das täglich und bis spät in den Abend; aber auch, weil sich alle städtischen Verkehrsmittel (mit Ausnahme einiger weniger, dichter bedienten Linien) an ihrem 20-min-Grundtakt orientieren, was einerseits Anschlüsse ermöglicht, andererseits aber auch dafür sorgt, das selbst Busse in Einfamilienhausgebieten alle 20 min verkehren - ihre Wiener Pendants sind oft alle 30 min unterwegs.
Und vor allem wird es in Berlin in den letzten Jahren immer besser: mehrmals im Jahr gab es Mehrleistungspakete - abendliche Bedienungslücken wurden durch längere Betriebszeiten geschlossen, viele Linien, von denen man es nicht zu träumen wagte, sind inzwischen alle 10 min unterwegs. Auch in Berlin merkt man aber leider: solche tatsächlich in der Breite wirksamen Maßnahmen sind unspektakulär und werden kaum wahrgenommen. Wie oft hat man nun im Wahlkampf gelesen, unter Rot-Rot-Grün sei für die Öffis nichts weitergegangen, obwohl es doch die massiven Angebotsausweitungen gab. Eine U-Bahn-Strecke für 20.000 Fahrgäste ist eben doch spektakulärer als Angebotsausweitungen, von denen Hunderttausende profitieren...
Auch ein Thema, das in Berlin anders als in Wien eine Rolle spielt: die Optimierung von Umsteige- und Zugangswegen. Es ist immer noch einfach ärgerlich, dass z.B. an der Landstraße beim Bau der Mitte-Mall die Chance vergeben wurde, einen direkten Ausgang vom Zwischengeschoss U3/U4 zur Invalidenstraße zu bauen. Oder die Schließung der Station Hausfeldstraße. Oder der Umstand, dass der 22A ohne Halt an der Station Hirschstetten vorbeifährt. Man könnte die Aufzählung lange fortführen.
So, nun ist es leider ein Roman geworden - tut mir Leid, aber einiges musste mal raus!