Auch an der französischen Mittelmeerküste macht die Renaissance der Straßenbahn nicht halt. Die Städte Marseille, Montpellier und Nizza haben in den letzten elf Jahren moderne Netze eröffnet und demonstrieren im Zuge dessen auch, wie Stadtgestaltung im 21. Jahrhundert aussehen kann. Nachdem ich die letzte Woche die Städte Marseille und Montpellier kennen lernen konnte, habe ich mir auch die Tram etwas angeschaut. Wenn man schon einmal dort ist...
MarseilleMarseille erhielt 1876 als zweite Stadt Frankreichs (nach Paris) eine Straßenbahn. Zwei Jahre nach Wien (also 1899) hielt auch die elektrische Tram Einzug in die Stadt.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es auch hier zur Einstellung und Umstellung auf Busbetrieb. Einzig eine Straßenbahnlinie überlebte – die Linie 68. Sie führte von der Innenstadt zum Vorortbahnhof Blancarde und verfügte am innerstädtischen Ende über einen Tunnel, welcher ihr das Überleben sicherte. Die Linie hatte übrigens ein ähnliches Flair wie die Straßenbahn auf der Wiedner Hauptstraße: Ein paar Eindrücke finden sich
hier auf Flickr.
2004 wurde auch diese Linie eingestellt – um nach Umspurung, Erneuerung und Verlängerung 2007 als T1 wieder in Betrieb zu gehen. Gleichzeitig wurde eine zweite Linie gebaut, eine dritte Linie ist in Vorbereitung. Die Straßenbahn in Marseille dient übrigens auch als Feinverteilung zur vorhandenen Métro und führt dementsprechend teilweise parallel...
Wie in Frankreich üblich, sind die Fahrzeuge auch in Marseille individualisiert. Die Straßenbahn soll an Schiffe erinnern, welche die größte französische Hafenstadt durchkreuzen. Anders als die anderen französischen Städte setzt man hier nicht auf Alstoms Citadis sondern auf Fahrzeuge österreichischer Produktion: Den Bombardier Flexity Outlook C, gefertigt in der Donaustadt.
Vor der Kulisse des wunderschönen Palais Longchamp ist hier einer dieser feschen Triebwagen zu sehen; mittlerweile gibt es die auch um zwei Module länger, da schauen sie noch eleganter aus.
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Am Place Sadi Carnot lässt sich die Straßenbahn schön von oben abbilden: Schlicht, aber trotzdem nicht unschön erscheint das geschlossene Dach der Fahrzeuge. Kein Vergleich zu den Kastln oben am ULF!
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Zum Abschluss auch ein Foto von der Linie T1 – hier erreicht sie in Kürze den stadtseitigen, unterirdischen Endpunkt. Die obere, grüne LED-Ring leuchtet übrigens in der Linienfarbe... Bei der Linie T2 strahlt der Ring gelb.
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MontpellierMontpellier hingegen stellte 1947 sein ganzes Tramnetz ein. 53 Jahre später feierte die Straßenbahn ihre Rückkehr in die Stadt – dabei wurde auch die Innenstadt total umgestaltet und fußgängergerecht adaptiert. Die Stadt atmet auf und nimmt die Straßenbahn an: 130 000 Fahrgäste pro Tag (prognostiziert waren 75 000) benutzen die Linie 1 im Durchschnitt, womit sie die meistbenutzte Straßenbahnlinie Frankreichs ist.
Hier fand auch der Citadis seinen ersten Einsatzbereich. Das Fahrzeug, welches heute in Frankreich das Standardfahrzeug schlechthin ist und sich in verschiedensten Erscheinungsbildern zeigt wurde hier erstmals eingesetzt. Drei Jahre nach der Eröffnung wurden die Fahrzeuge um zwei Module um knapp zehn Meter verlängert, hier zu sehen bei der Haltestelle Corum.
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Während sich das Schwalben-Design der Linie T1 noch recht simpel zeigt, wurde für die Linie T2, welche 2006 eröffnet wurde, mehr Aufwand betrieben. Nicht nur die Fahrzeuge, auch die Haltestellen präsentieren sich im Blümchenlook. Die Linie führt an ihren Enden eingleisig durch ziemlich unbebautes Gebiet: Passend zum Design präsentiert sich hier ein Citadis 302 kurz vor der nördlichen Endstelle Jacou.
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Aufgrund des großen Erfolges wird geht der Straßenbahnausbau ständig voran, zurzeit sind die Linien T3 und T4 im Bau. Mit deren Eröffnung nächstes Jahr wird die Gesamtlinienlänge 54,4 km betragen. Die Linie T3 wird unter anderem eine Schienenverbindung zum Meer schaffen, während die Linie T4 als (vorerst unvollendete) Ringlinie hauptsächlich zum Entwirren der Innenstadtstrecken, welche zurzeit zwar für direkte Anbindungen sorgen, aber doch sehr mit der Kirche ums Kreuz fahren, vorgesehen ist. Eine Neuheit bietet die Linie T4 übrigens für französischen Straßenbahnbetriebe: An der südlichen Endstation wird über eine Schleife gewendet, am Bild sieht man diese in Bau.
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Das Design für die beiden Linien ist übrigens auch schon fixiert. Während die T3 vom
Grand Couturier Christian Lacroix gestaltet wurden und über ein exquisites Aussehen verfügen werden (Ein Bild ist z.B.
hier zu sehen) wird die Ringline T4 in Gold erscheinen.
Ein weiterer Ausbau ist schon in Planung, derzeit werden für die Linien T5 und T6 Trassenvarianten ausgearbeitet.
Nizza2007 folgte schließlich Nizza. Die Straßenbahn wurde auch hier zur Verkehrsberuhigung und Neugestaltung entlang der Trasse genutzt – und das in einer wunderschönen Art und Weise. Künstlerisch gestaltet und auf die kleinsten Details geachtet entstand so der, meiner Meinung nach, schönste der neuen französischen Betriebe. Und auch hier ist die Tram ein im wahrsten Sinne des Wortes voller Erfolg: 90 000 Fahrgäste pro Tag führten zu einer Kapazitätserweiterung 3 Jahre nach der Eröffnung in Form von acht weiteren Fahrzeugen und einer Taktverdichtung auf 4 Minuten.
Eine Besonderheit der Tramway niçoise findet sich auf den Plätzen Masséna (welcher seit der Straßenbahneröffnung nun mehr oder weniger den Hauptplatz der Stadt darstellt) und Garibaldi. Um das Stadtbild nicht zu beeinträchtigen und die Durchfahrtshöhe für den Faschingsumzug nicht zu beschränken verkehrt die Straßenbahn auf diesen beiden Plätzen ohne Oberleitung. Die Fahrzeuge schalten hier auf Batteriebetrieb um, die fahrdrahtlosen Abschnitte betragen jeweils ca. 500 m. So eine Lösung ist übrigens auch in München vorgesehen.
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Nachts färben sich diese Statuen abwechselnd in verschiedene Farben, was für nette Lichtspiele sorgt. Hier passen die blauen Farbtöne perfekt zur Beleuchtung der Avenue Jean Médicin (die Haupteinkaufsstraße, welche übrigens zurzeit auf eine reine Fußgängerzone umgebaut wird) im Hintergrund und dem Blaulicht des Rettungswagens.

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Oberleitungsfrei geht es auch übers Rasengleis, die Altstadt tangierend...
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...und auch der Place Garibaldi ist frei von Drahtverhau.
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Auch außerhalb der Innenstadt wurde auf sorgfältige Ausgestaltung geachtet – und auch auf’s Rasengleis wurde nicht verzichtet. Hier sieht man übrigens, wie es in Frankreich gepflegt wird.

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Einziger Nachteil der Straßenbahn sind die viel zu kurzen Fahrzeuge: Zu jeder Tageszeit ist die Tram voll, trotz der anfangs erwähnten Intervallverdichtung. Ich hoffe man wird sich irgendwann dazu durchdringen, die Citadis wie in Montpellier zu verlängern. Sonst kann man Nizza eigentlich als Vorzeigebetrieb sehen – die Ausgestaltung entlang der Linie und der Strecke selber wirkt sehr durchdacht und, verglichen zu Wien, homogen. Auch die Liebe zum Detail ist beachtenswert: In den Fußgängerzonen (wie z.B. am Place Masséna), wo die Tram auf selbem Niveau wie die Fußgänger fährt, wird im Haltestellenbereich nicht der Gehsteig auf Bahnsteigshöhe angehoben, sondern die Trasse wurde abgesenkt, sodass die notwendigen Rampen erspart bleiben.
Mittlerweile ist eine zweite und dritte Linie in Bauvorbereitung. Die zweite Linie wird eine Ost-West-Verbindung vom Flughafen zum Hafen, welche in der Innenstadt unterirdisch geführt werden wird. Die dritte Linie soll ins Hinterland führen.
In absehbarer Zukunft werden in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur noch zwei weitere Betriebe dazu kommen, allerdings nicht am Meer: Avignon und Aubagne (bei Marseille) haben sich für eine Tram entschieden. Die geplante Tram in Toulon wurde leider vom neugewählten Bürgermeister abgeblasen, aber wer weiß, in Reims hat's ja beim zweiten Anlauf auch funktioniert.
Die Fotos entstanden im Juli 2010 (Nizza) sowie im Mai 2011 (Marseille, Montpellier und Nizza). Als weiterführende Lektüre seien die Seiten von Harald Jahn empfohlen (
www.tramway.at/marseille,
www.tramway.at/montpellier,
www.tramway.at/nizza). Gleispläne finden sich auf der Seite
carto.metro.free.fr.