Autor Thema: Stadtplanung für Wien (1952)  (Gelesen 6009 mal)

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158er

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Stadtplanung für Wien (1952)
« am: 11. Dezember 2014, 13:21:42 »
Ich habe gestern ein interessantes Werk zu lesen begonnen: Karl Brunners "Stadtplanung für Wien" aus 1952. Karl Brunner war ab 1948 oberster Stadtplaner Wiens, bis er von Roland Rainer 1958 abgelöst wurde. In seine Zeit fielen zahlreiche wichtige Maßnahmen zum Wiederaufbau Wiens, allerdings wurde unter ihm auch eine große Zahl an heute als utopisch zu betrachtender Projekte im Sinne der autofreundlichen Stadt geplant. Ein paar dieser Projekte aus dem großformatigen Band mit 14 Beilagen möchte ich nach und nach vorstellen.



Beginnen wir mit einer Kuriosität va für unsere Währinger, ich zitiere aus dem Buch:

"Bekanntlich ist der Fremdenverkehr in Wien aus kulturellen und wirtschaftlichen Gründen aller Förderung wert und eine bedeutsame Post der Devisenbeschaffung. Der Fremdenverkehr wird u.a. dadurch gehoben, daß die die Stadt besuchenden Gäste möglichst vielseitige, bleibende Eindrücke von der Stadt gewinnen und in Erinnerung behalten; deshalb werden den Fremden allerorten die chrakteristischesten und schönsten Stellen und Aussichtspunkte gezeigt und bei Touristen-Rundfahrten in die Route einbezogen. [...]
Aus den gleichen vorerwähnten Motiven ist auch das Bestreben berechtigt, einen größeren Abschnitt der Höhenstraße für die auswärtigen Besucher zu erschließen, also die Verbindung von der Stadt zu einem weiter westlich vom Kobenzl gelegenen Punkt zu erleichtern, was auch zur Folge hätte, daß zumindest auf der Hinfahrt Grinzing umfahren werde: die Rückfahrt der Besucher vom Leopolds- und Kahlenberg erfolgt ja dann ohnedies üblicherweise über Grinzing.
Die wertvolle Möglichkeit, die nähere Umgebung der Stadt und den Wienerwald in vorteilhafter Weise zur Geltung und ihren Besuchern zur Kenntnis zu bringen, welche die Höhenstraße bietet, um die Wien von vielen Großstädten beneidet wird, müßte im Straßennetz der inneren Bezirke und der nord-westlichen Vororte viel mehr als bisher berücksichtigt werden. Diesen Überlegungen entspricht die Abdicht, einige der in der nordwestlichen gartenreichen Stadtteilen vorhandenen Straßen, die aber nicht ineinander überleiten, zu einem übersichtlichen, einheitlichen Straßenzug zu verbinden und als neue Zufahrt zur Höhenstraße auszugestalten. Der Straßenzug würde, unweit der Volksoper von der Kreuzung der Gentzgasse mit der Semperstraße ausgehend, zugleich zur späteren Aufschließung des Blockes, in dem sich die Gärten des Ursulinerinnen-Klosters befinden, in bogenförmigem Ansatz zur Haizingergasse führen und dann über den Türkenschanzplatz und die Starkfriedgasse nach dem Pötzleinsdorfer Hang des Michaelerberges führen. Die ursprüngliche Absicht, die Straße von der Währinger Kreuzung ausgehen zu lassen, wo ander Ecke zwei Häuser durch Kriegseinwirkung vollkommen zerstört waren, mußte fallengelassen werden, weil diese Häuser bereits zum Wiederaufbau gelangten.
Sobald in fernerer Zukunft auch die Schnellverkehrsstraße durch den IX. Bezirk (Alsergrund) verwirklicht wäre, bekäme das Stadtzentrum eine Verbindung zur Höhenstraße, die an öffentlichen Parkanlagen und gartenreichen Einfamilienhausvierteln vorbei, gut zu 90% ihrer Längsausdehnung, eigentlich schon vom Schottentor angefangen, durch gründurchsetzte Stadtteike mit vorteilhaften, freundlichen Aspekten verlaufen würde. [...]


Anbei die Illustration, man sieht am zweiten Bild auch gut die damals geplante neue Schnellstraße durch das Gelände des heutigen Neuen AKH: (Klicken zum Vergrößern)






W_E_St

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #1 am: 11. Dezember 2014, 17:56:22 »
Grundgütiger Himmel, für die Schwachsinnsaktion hätte ja das halbe Cottage dran glauben müssen! Was für ein Segen, dass das nie gebaut worden ist!
"Sollte dies jedoch der Parteilinie entsprechen, werden wir uns selbstverständlich bemühen, in Zukunft kleiner und viereckiger zu werden!"

(aus einer Beschwerde über viel zu weit und kurz geschnittene Pullover in "Good Bye Lenin")

60er

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #2 am: 11. Dezember 2014, 17:59:25 »
Grundgütiger Himmel, für die Schwachsinnsaktion hätte ja das halbe Cottage dran glauben müssen! Was für ein Segen, dass das nie gebaut worden ist!
Solche Autobahnschneisen wurden in Wien damals einige geplant. Verwirklicht wurden zum Glück nur wenige davon.

4463

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #3 am: 11. Dezember 2014, 21:42:46 »
Grundgütiger Himmel, für die Schwachsinnsaktion hätte ja das halbe Cottage dran glauben müssen! Was für ein Segen, dass das nie gebaut worden ist!
Solche Autobahnschneisen wurden in Wien damals einige geplant. Verwirklicht wurden zum Glück nur wenige davon.
Ein Relikt davon ist die Brigittenauer Brücke, die ohne diese anschließende Autobahn bekanntlich völlig überdimensioniert in der Landschaft steht.
"das korrupteste Nest auf dem weiten Erdenrund"
Mark Twain über die Wienerstadt.

haidi

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #4 am: 11. Dezember 2014, 23:51:44 »
Die Brücke wurde von Kreisky "befohlen" um der VÖST, die damals schecht da stand, einen Großauftrag zuzuschanzen. Es war damals schon klar, dass die Straße durch den 20. Bezirk nicht kommen würde. Von Kreisky gab es ein Satz, der in etwa lautete: Mit Staatsschulden kann ich gut schlafen, mit hohen Arbeitslosenzahlen nicht.
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Ferry

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #5 am: 12. Dezember 2014, 08:48:41 »
Die Brücke wurde von Kreisky "befohlen" um der VÖST, die damals schecht da stand, einen Großauftrag zuzuschanzen. Es war damals schon klar, dass die Straße durch den 20. Bezirk nicht kommen würde. Von Kreisky gab es ein Satz, der in etwa lautete: Mit Staatsschulden kann ich gut schlafen, mit hohen Arbeitslosenzahlen nicht.

Ich habe den Satz so in Erinnerung: Mir ist eine Million Schilling Schulden lieber als ein Arbeitsloser. Ich weiß aber nicht, ob er das wirklich so gesagt hat.
Weißt du, wie man ein A....loch neugierig macht? Nein? - Na gut, ich sag's dir morgen. (aus "Kottan ermittelt - rien ne va plus")

schaffnerlos

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #6 am: 12. Dezember 2014, 08:59:36 »
Und wenn mich einer fragt, wie denn das mit den Schulden ist, dann sag ich ihm das, was ich immer wieder sage: Dass mir ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr bereiten würden.Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=kT7p3EEtcCg

coolharry

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #7 am: 12. Dezember 2014, 09:32:51 »
Die Brücke wurde von Kreisky "befohlen" um der VÖST, die damals schecht da stand, einen Großauftrag zuzuschanzen. Es war damals schon klar, dass die Straße durch den 20. Bezirk nicht kommen würde. Von Kreisky gab es ein Satz, der in etwa lautete: Mit Staatsschulden kann ich gut schlafen, mit hohen Arbeitslosenzahlen nicht.

Das halt ich für ein Gschichtl. Die Brigittenauer Brücke wurde nach dem Einsturz der Reichsbrücke und der einhergehenden Sperre der Floridsdorfer Brücke beschlossen, da man plötzlich nur mehr zwei Brücken über die Donau hatte. Eisenbahnbrücken nicht mitgerechnet. Somit hat man das Brückenobjekt der geplanten Autobahn vorgezogen.
Weil ein menschlicher Hühnerstall nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann.

95B

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #8 am: 12. Dezember 2014, 09:49:00 »
Die Brigittenauer Brücke hätte das Bindeglied zwischen Gürtelautobahn und Nordautobahn werden sollen. Die Brigittenau wäre hierfür untertunnelt worden.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
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Bus

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #9 am: 12. Dezember 2014, 09:55:10 »
Lt. einem Plan wollte man durch den Augarten (oberirdisch) bauen... ich weiß allerdings nicht mehr, welcher Plan das war.

schaffnerlos

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #10 am: 12. Dezember 2014, 10:09:57 »

moszkva tér

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #11 am: 12. Dezember 2014, 10:49:48 »
Die Brigittenauer Brücke hätte das Bindeglied zwischen Gürtelautobahn und Nordautobahn werden sollen. Die Brigittenau wäre hierfür untertunnelt worden.
Sicher kein Tunnel. Die Trasse hätte einigen Frei- und Industrieflächen gefolgt. Im Bereich zwischen Traisengasse und Handelskai wären einige Häuserblocks abgerissen worden - damals Substandard-Gründerzeitzinskasernen. Dann weiter übers Nordwestbahnhofgelände und den Leipziger Platz (Trassenfreihaltung für die Verbindung Stadtbahn-Nordbahn) und wieder einige Gründerzeitbauten abreißend Einbindung in die Gürtelbrücke.

Wäre die Brigittenauer Brücke 10-20 Jahre früher gebaut worden, wäre der Plan wohl auch so verwirklicht worden. Da aber Wien glücklicherweise immer die internationalen Trends verschlafen hat, ist uns das erspart geblieben.

Heute ist die Brigittenauer Brücke tatsächlich ein Anachronismus ohne wirklichem Verkehrswert. In der Brigittenau fehlt ebenso die Anbindung ans übrige Straßennetz wie auf Bruckhaufener Seite. Ursprünglich hätte ja dort die Nordautobahn mit Brücke über die Alte Donau usw. beginnen sollen. Reste dieser Planung gibts ja heute noch mit der Bundesstraße B232, die im Bereich zwischen Angyalföldstraße und Gaswerk Leopoldau bereits teilweise fertig ist, aber ebenso überdimensioniert und mangels Weiterführung kaum Verkehrswert hat. Die Brücke über die Alte Donau ist heute endgültig tot. Eine Weiterführung im Norden ebenso.

Was könnte man heute mit der Brigittenauer Brücke machen?
Sie würde sich perfekt anbieten, um die Fahrstreifen rückzubauen und eine Straßenbahn drüberzuführen  ;D
Die Brücke über die Alte Donau würde sich auch in der Verlängerung der Donauturmstraße gut machen (nur Straßenbahn, Fahrräder, Fußgänger). Eine Schnellstraßenbahnlinie könnte bis zu den Alissen, in die Nordrandsiedlung oder gar bis Gerasdorf fahren. Stadtnaher Beginn könnte Praterstern sein, oder man führt sie als Verstärkerlinie des 5ers ab Josefstädter Straße (5er und Schnellstraßenbahn passt aber leider überhaupt nicht).

Auf jeden Fall würde ich aber die Brigittenauer Brücke für Autos rückbauen und dafür die katastrophalen Fuß- und Radwegführungen verbreitern und begradigen.

Bus

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #12 am: 12. Dezember 2014, 10:59:25 »
Danke, das war der Plan.

Es soll ja lt. Erzählungen damals auch einen Riesenaufstand gegeben haben, das man über die Alte Donau (durch das Arbeiterstrandbad) durchbauen wollte  ;D

95B

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #13 am: 12. Dezember 2014, 11:10:30 »
Auf jeden Fall würde ich aber die Brigittenauer Brücke für Autos rückbauen und dafür die katastrophalen Fuß- und Radwegführungen verbreitern und begradigen.

Das hat man gerade bei der Gürtelbrücke und Adalbert-Stifter-Straße sträflichst versäumt! Trotz jahrelanger Einengung ist es bislang nie zu nennenswerten Staus gekommen – besser kann man nicht beweisen, dass die zweispurige Führung ein vollkommenes Überangebot ist. (Mehr noch: Zu Zeiten der zweispurigen Führung waren die Staus ärger, da die ankommende Verkehrsmenge auf der Seite der 19. Bezirks einfach zu groß war.)
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moszkva tér

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Re: Stadtplanung für Wien (1952)
« Antwort #14 am: 12. Dezember 2014, 11:49:32 »
Adalbert-Stifter-Straße
Die ist ohnehin ein Anachronismus. Nach jemandem, der so die Natur und Ruhe liebt, eine solche Autobahn zu benennen...  :ugvm: