Dieser Vertrag ist insofern durchaus fragwürdig, als dass es offenbar keine klare Trennung zwischen Aufgabenträger und ÖV-Dienstleister gibt. Die WL sind der Ansicht, dass sie Öffentlichen Verkehr "aus einer Hand" anbieten, was in Bezug auf die eigentlich notwendige vertragliche Abgrenzung zwischen Planung des ÖV (Netz, Linien und Angebot) und Betrieb geradezu verheerend ist. Von einem unabhängigen Vertragscontrolling kann da selbstverständlich auch keine Rede sein.
Diese Gutsherren-Art war auch schon Teil des Prozesses zum STEP2025, als der verantwortliche U-Bahn-Planer der Wiener Linien - konfrontiert mit Vorschlägen und Maßnahmen zur Stärkung des S-Bahn-Netzes in und um Wien - zunächst seinen Geschäftsführer mit in die Besprechungen brachte, um den Ausbau von U2 und U5 vehementer zu vertreten. Als das noch immer nicht genug half, wurde dann über Renate Brauner interveniert. Den Besprechungsteilnehmern, die den S-Bahn-Ausbau vertraten, wurde in der Folge nahe gelegt, von solchen Vorschlägen Abstand zu nehmen.
Interessanterweise fordern die SPÖ-Jungen auch die Stärkung der S-Bahn:
http://landesparteitag.spw.at/?p=172 und
http://landesparteitag.spw.at/?p=174Die Taschenspielertricks mit den Platzkilometern sind wirklich beeindruckend - für den Laien. Im professionellen ÖV wird mit Nutz-Zugkm (Tram, U-Bahn) und Nutzwagenkm (Bus) sowie Beförderungsstunden gearbeitet. (Der Verkehrsvertrag zwischen BMVIT und Wiener Lokalbahnen basiert bspw. auf Zugkm).
Dazu kurz ein paar Zahlen: Die Wiener U-Bahn mit ihren fünf Linien erbringt geschätzte 13 Mio. Nutz-Zugkm, in Platzkilometern (multipliziert mit sagen wir mal 900 Sitz- und Stehplätzen/Zug) sind das schon 11,7 Mrd.! Das hört sich doch ordentlich an. Wenn in 2017 die U1 um 4,5km aufs Land hinaus verlängert wird (gehen wir vom optimalen Szenario aus, dass tatsächlich Oberlaa erreicht wird und nicht etwa die Zwischenstation Alaudagasse), werden auf der U1 aus den aktuell geschätzten 2,9 Mio. Nutz-Zugkm (2,6 Mrd. Platzkm!!) auf einmal 3,9 Mio. Nutz-Zugkm (unter der Annahme, dass alle Züge nach Oberlaa fahren) und in der Folge 3,51 Mrd. Platzkm.
Würde man auf der U2 alle Züge zur Seestadt fahren lassen, dann würde man statt geschätzten 2,5 Mio. Nutz-Zugkm (2,25 Mrd. Platzkm) ca. 2,8 Mio. Nutz-Zugkm mit 2,5 Mrd. Platz-km fahren.
Der als Ziel für die WL zugrunde gelegte Modalsplit wird nur für Fahrten innerhalb Wiens bestimmt, d.h., alle Ein- und Auspendler bleiben unberücksichtigt. Während der vielzitierte "Umweltverbund" auf mehr als 70% kommt, geht der Anteil für den MIV scheinbar zurück. Scheinbar deswegen, weil der Modalsplit über die Stadtgrenze genau umgekehrt (2/3 MIV, Rest Umweltverbund) aussieht. Und so erleichtern die Wiener Anstrengungen zur Verlagerung zum Umweltverbund hin das Autofahren in Wien für Pendler. Überhaupt ist es recht eigenartig, für ein städtisches Verkehrsunternehmen einen bestimmten Modalsplit als Ziel festzuschreiben, während die dafür entsprechend notwendigen Maßnahmen doch eigentlich nur durch bestimmte Magistratsabteilungen (MA18, MA22, MA28, MA33, MA46, Bezirke) ergriffen werden können?
Während die Wiener Linien nun knapp 330 Mio. Euro "Betriebskostenzuschuss" erhalten, zahlt die Stadt Wien knapp 12 Mio. Euro, um den S-Bahn-Verkehr über das Grundangebot des Verkehrsvertrags Bund-ÖBB hinaus zu verstärken. Die Stadt Wien kauft bspw. keine Neufahrzeuge vom Typ Desiro Mainline und wird die freiwerdenden Talent-Fahrzeuge aus den anderen Bundesländern als "Aufwertung" erhalten.
Interessant wird es im Hinblick auf die in der EU-Richtlinie 1370/2007 geregelten Berichtspflichten mit der Transparenz dieses neuen Vertrags. Näheres findet man z.B. hier im Abschnitt C:
Handreichung der BAG ÖPNV zum Umgang mit der VO 1370/07Die Berechnung der Fahrgastzahlen (und der Mittelzuweisung unternehmensintern) basiert vermutlich auf der Feststellung der Platzkilometer einer Linie und in der Folge auf der hochgerechneten Umlegung der mit den Zählzügen festgestellten FG-Zahlen pro Linie. Die gesamte Methodik in m.E. in Frage zu stellen, weil ein S-Bahn-Fahrgast auch ein Straßenbahn-, Bus- und U-Bahn-Fahrgast ist. Demzufolge wäre es redlicher, wenn der Aufgabenträger eine Ostregions-weite Fahrgastbefragung alle drei bis vier Jahre durchführt, bei dem die Wege der ÖV-Nutzer anonym erhoben werden. Auf Basis dieser Kompletterhebungen sollten dann die Fahrgastzahlen festgestellt werden.