Diese Streckem geistern ja seit fast 20 Jahren herum. Optimistisch gedacht: Wien ist traditionell ja immer 1-2 Dekaden hinten nach was Innovation im ÖPNV betrifft, vielleicht is ja jetzt auch langsam bei den Entscheidungsträgern die Idee der „Renaissance der Tramway“ in Ansätzen angekommen. Fakt ist: Es muss sich im länderübergreifenden ÖONV in näher Zukunft etwas tun, um einem völligen Pendlerkollaops zu entgehen. Geld wird man in die Hand nehmen müssen, der „ökologische Druck“ kann nicht mehr einfach abgetan werden, U-Bahn kostet zu viel und dauert zu lange und bei der Schnellbahn ist irgendwann auch das Maximum erreicht. Ich schätze die Chancen einer baldigen Realisierung nicht zu hoch ein, aber besser denn je.
Vor Allem: Sagt der Bund zu, einen Anteil zu Leisten, könnte vielleicht endlich die 50:50 Finanzierung rein für die U-Bahn fallen...
Ich tue mich schwer, Deinen Optimismus zu teilen. Die aktuellen beiden Straßenbahnprojekte (Nordbahn- und Sonnwendviertel) sind ja schon mal so angelegt, dass der Erfolg nicht zu groß wird und womöglich irgendwer mehr fordert:
- Sie werden, ohne jeglichen Vorlaufbetrieb, Monate, z.T. Jahre, nach dem Zuzug der ersten Bewohner eröffnet, und das ohne Vorlaufbetrieb per Bus. Dabei ist es doch nichts Neues, dass das Aufbrechen von Gewohnheiten schwer ist, auch beim Umstieg vom Auto auf die Öffis - und dass bei einem Umzug eh Gewohnheiten geändert werden müssen und das DIE Möglichkeit wäre, Leute zum Umstieg zu bewegen.
- Sie dienen rein der Erschließung des Gebiets und haben keinerlei übergeordnete Aufgaben (im Sinne der Verbindung benachbarter Stadtteile, nicht großräumiger Verbindungen durch die halbe Stadt). Der D-Wagen endet an der Absberggasse in stadträumlich attraktiver Lage zwischen sinnlos ausgebauter Gudrunstraße, Mistplatz und Lärmschutzwand und verzichtet auf das Potential einer Weiterführung Richtung Osten (Simmering) oder Süden, wo es Erschließungsdefizite gibt. (Erinnert sei hier auch an das Geschacher um die Schleife
Gretaviertel Kretaviertel
[danke an Nussdorf für den Hinweis], die recht deutlich zeigt, was mit groß angekündigten Straßenbahnplanungen passiert, sobald es auch nur kleinste Widerstände gibt.) Der O-Wagen endet dann künftig kurz vorm 11A. Eine Fortführung Richtung Handelskai mit seinem Einkaufs- und Freizeitzentrum, U6, Stammstrecke und S45 ist auch ziemlich unwahrscheinlich. Er dient ganz allein Verbindungen Richtung Süden.
Interessanterweise beginnt in diesen Tagen in Berlin der Bau der Strecke "WISTA II" (WISTA = Wissenschaftsstadt Adlershof), der Verbindung der beiden Endhaltestellen Karl-Ziegler-Straße und S-Bahnhof Schöneweide. Interessant deshalb, weil sie durchaus einige Parallelen zur O-Wagen-Verlängerung hat:
- Sie verläuft parallel zu einer wichtigen S-Bahn-Strecke im dichten Takt und übernimmt die Feinerschließung, und die Stationen Schöneweide und Adlershof sind auch in etwa genauso weit voneinander entfernt wie Handelskai und Praterstern.
- Sie erschließt ein Stadtentwicklungsgebiet auf ehemaligem Bahngelände.
Die Unterschiede in Planung und Bau:
- Die Straße, der sie folgt (Groß-Berliner Damm), wurde um die Jahrtausendwende nach und nach fertiggestellt und dabei die Straßenbahntrasse von Anfang an berücksichtigt. Vor 20 Jahren schon. Gebaut wurde sie noch nicht, weil in der Gegend (auch in damals absehbarer Zeit) noch nichts war, was einen Straßenbahnbetrieb rechtfertigte. Eine Buslinie wurde aber recht schnell eingerichtet. (Zum Vergleich im Nordbahnviertel: Es gibt keinen Vorlaufbetrieb.) Nun, da die Bebauung konkret wird, wird die Straßenbahn gebaut - und vor der Bebauung fertig. (Nordbahnviertel: hunderte Wohnungen haben bis zur Fertigstellung des O-Wagens lange Wege zu den Öffis.)
- Sie endet selbstverständlich nicht auf halbem Weg, sondern wird zum nächsten Knotenpunkt fortgeführt. (Nordbahnviertel: O-Wagen endet irgendwo zwischendrin ohne vernünftige Verknüpfung mit dem sonstigen Öffi-Netz). Und weil sie an beiden Seiten ans Bestandsnetz anschließt, werden auch von beiden Seiten Linien über die Neubaustrecke geführt und zahlreiche Direktverbindungen in benachbarte Stadtteile abseits der parallelen S-Bahn geschaffen. (Nordbahnviertel: O-Wagen fährt in genau eine Himmelsrichtung und folgt dabei auch überwiegend der Stammstrecke.)
- Die Strecke erhält Rasengleise. Und das ist so selbstverständlich, dass es ziemlich albern wirkte, wenn die Verkehrssenatorin es eigens betonte.
- Die Öffentlichkeitsarbeit: die BVG hat für diese und andere geplante Straßenbahnmaßnahmen eigens eine Seite eingerichtet, mit übersichtlichen und ansprechenden Plänen, ausführlichen pdfs und Visualisierungen:
https://www.meinetram.de/de/.
(Sicher, WISTA II hat auch Schwächen: Haltestellen vor der Kreuzung, so dass eine Ampelvorrangschaltung kaum möglich ist. Und am S-Bahnhof Adlershof werden die Bahnen Richtung WISTA dann abwechselnd von verschiedenen Haltestellen abfahren. Auch nicht optimal.)
Das soll nicht heißen, dass in Berlin alles gut läuft, eher im Gegenteil - aber wenn es selbst in Berlin mit seiner schwerfälligen Verwaltung und seinen auch schon oft versprochenen Versprechen im Öffi-Bereich besser macht, läuft irgendwas gewaltig schief.
Jetzt bin ich ziemlich vom Thema abgeschweift - was ich damit sagen wollte: so, wie Bim-Ausbau in Wien durchgeführt wird, hinsichtlich Netzausbau (nicht isolierte Einzelmaßnahmen, Netz!), Bauqualität, Qualität der Öffentlichkeitsarbeit, in jeglicher Hinsicht, glaube ich noch nicht daran, dass die Renaissance der Straßenbahn in Wien schon angekommen ist.
Sonst würde man auch nicht immer nur Strecken ankündigen, bei denen man genau weiß, dass sie mangels Interesse aus NÖ nichts werden, sondern wäre überfällige Strecken innerhalb Wiens (11, 13, 15...) längst angegangen. Das Interesse reicht ja aktuell noch nicht mal aus, endlich eine Lösung zu finden, wie man den 31er zum Schwedenplatz verlängert - eine absolute Minimalmaßnahme, die bei absoluten Geiz praktisch ohne Investitionen auskäme, aber einen hohen Nutzen hätte. Die
Bimgeisterung ist einfach verlogenes Wahlkampfgeplänkel.