Autor Thema: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb  (Gelesen 17528 mal)

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Tatra T3

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Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« am: 31. August 2020, 21:59:40 »
Grüß Gott,

Ich komme aus Tschechien und verbringe diesen Sommer ein paar Wochen in Wien. Die Wiener Strassenbahnen mich faszinieren, und ich wollte darüber wissen mehr. Darf ich Ihnen bitten um mir folgende Fragen zu antworten?

1) Haben die ULF Wagen durch ihrer kleinen Zahl von Achsen und höhe Masse eine schlechtere Einfluss auf der Gleisanlage als die E2 bezüglicherweise die Flexity?

2) Was ist eigentlich die Geamatic? Geht es um eine automatisierte Steuerung des Fahrschalters?

3) Wie konnten die E-Wagen bis 2009 ohne Rückspiegel und tägliche Unfälle fahren?

4) Warum sind am Abend meistens die ULF Strassenbahnen unterwegs und nicht die E2?
(In Prag sind die neuen Wagen zur Nachtzeit in den Betriebshofen um diese nicht beschädigen lassen).

5) Warum gibt kein Nachtstrassenbahnbetrieb in Wien?

Vielen Dank im Voraus!

Ich kann Ihnen vielleicht antworten ein paar Fragen über Prager Strassenbahnen, ob sie einige hätten...

Klingelfee

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #1 am: 01. September 2020, 06:21:24 »
Hallo Tatra,

zu deinen Fragen

1) Der Ulf hat einen schlechteren Einfluß, jedoch nicht wegen seinem Gewicht, sondern wegen der Art wie dir Räder angebracht sind (Wesentlich stärkere Abnutzung der Gleise im Kurvenbereich). Wie sich der Flexity verhält kann man noch nicht sagen, dazu ist er in zu geringer Stückzahl viel zu kurz im Einsatz.

2) Die Geamatic ist eine Unterstützung bei Schalten von Fahr und Bremstufen, wobei die Geamatic beim Bremsen aufgrund der Fahrgeschwindigkeit gleich die optimale Bremsstufe auswählt.  Mehr kann ich dir nicht sagen, dazu kenne ich mich technisch nicht genug aus.

3) Im Prinzip so wie sie auch heute ohne Spiegel fahren könnte. Ausschlaggebend war, dass es damals einige schwere Unfälle gegeben hat, wo man der Meinung war, dass man diese Unfälle eventuell vermeiden hätte können, wenn die Straßenbahn einen Spiegel gehabt hätte (Mitschleifen von Fahrgästen) Der Spiegel ist nämlich grundsätzlich nur für die Fahrgasbeobachtung während des Fahrgastwechsel  und nicht für die Beobachtung der Fahrzeugverkehres neben der Straßenbahn vorhanden.

4) Weil man in Wien teilweise doch auf die mobilitätseingeschränken Personen schaut und auch, weil die ULF zum Gegensatz von E2 eine eigene Fahrerkabine haben und so auch der Fahrer einen besseren Schutz gegenüber Übergriffe hat.

5) Weil man sich für einen Nachtautobus und Nachtubahnbetrieb entschieden hat. Letzteres ist wegen des wesentlich geringeren Fahrgastaufkommen auf unbestimmte Zeit eingestellt.

Bitte meine Kommentare nicht immer als Ausrede für die WL ansehen

Tatra T3

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #2 am: 01. September 2020, 08:38:02 »
Sehr interessant!

Danke schön für ihre erschöpfende Antwort, Klingelfee.

Ferry

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #3 am: 01. September 2020, 09:50:21 »
Der Spiegel ist nämlich grundsätzlich nur für die Fahrgasbeobachtung während des Fahrgastwechsel  und nicht für die Beobachtung der Fahrzeugverkehres neben der Straßenbahn vorhanden.

Hinzuzufügen wäre, dass in Wien seit jeher ohne Spiegel gefahren wurde. Als 1962 die ersten E mit Außenspiegel geliefert wurden, gab es von Seiten des Personalvertretung Einspruch, weil man sich nicht darüber einigen konnte, wofür der Spiegel denn nun wirklich vorhanden war - siehe den von mir zitierten Satz der Klingelfee. Die Aufsichtsbehörde argumentierte, wenn ein Außenspiegel vorhanden ist, ist er vom Fahrer genauso zu benützen wie bei einem PKW - im Falle eines Unfalls hätte der Fahrer beweisen müssen, dass der Unfall trotz Außenspiegel nicht zu vermeiden gewesen wäre. Das wollte die Personalvertretung nicht hinnehmen und setzte daraufhin durch, dass weiterhin ohne Außenspiegel gefahren werden konnte; bei den mit Spiegel gelieferten E wurde dieser daraufhin wieder abmontiert.
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haidi

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #4 am: 01. September 2020, 10:27:02 »
Der Spiegel ist nämlich grundsätzlich nur für die Fahrgasbeobachtung während des Fahrgastwechsel  und nicht für die Beobachtung der Fahrzeugverkehres neben der Straßenbahn vorhanden.

Hinzuzufügen wäre, dass in Wien seit jeher ohne Spiegel gefahren wurde. Als 1962 die ersten E mit Außenspiegel geliefert wurden, gab es von Seiten des Personalvertretung Einspruch, weil man sich nicht darüber einigen konnte, wofür der Spiegel denn nun wirklich vorhanden war - siehe den von mir zitierten Satz der Klingelfee. Die Aufsichtsbehörde argumentierte, wenn ein Außenspiegel vorhanden ist, ist er vom Fahrer genauso zu benützen wie bei einem PKW - im Falle eines Unfalls hätte der Fahrer beweisen müssen, dass der Unfall trotz Außenspiegel nicht zu vermeiden gewesen wäre. Das wollte die Personalvertretung nicht hinnehmen und setzte daraufhin durch, dass weiterhin ohne Außenspiegel gefahren werden konnte; bei den mit Spiegel gelieferten E wurde dieser daraufhin wieder abmontiert.
Abgesehen davon waren die damals montierten Spiegel so klein, dass sie nach heutigen Maßstäben für keine der beiden Aufgaben geeignet waren. Für die Beobachtung des Fahrgastwechsels waren sie nach meiner Meinung nicht erforderlich, weil die damit ausgerüsteten Garnituren alle schaffnerbesetzt waren.


Ergänzend dazu: Nach der österreichischen Straßenverkehrsordnung (im Gegensatz zu Regelungen anderer Staaten z.B. Deutschland) haben Autofahrer rechts abbiegende Straßenbahnen das Fahren zu ermöglichen und tragen die Schuld an einem Unfall. Somit ist beim Rechtsabbiegen ein Spiegel nicht unbedingt nötig.
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38ger

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #5 am: 01. September 2020, 14:46:06 »
Zu 1 kann man noch hinzufügen, dass die Einzelradpaare (der ULF hat ja weder Drehgestelle noch durchgehende Achsen) erst ab dem zweiten Portal eingelenkt werden, das erste Einzelradpaar also erst eingelenkt wird, wenn der Radius durch Kurveneinfahrt des zweiten Einzelradpaares errechnet werden kann. In der Praxis heißt das, dass das erste Einzelradpaar auf eine Länge von sechs Metern immer die Gleise beschleift, weil die Einlenkung immer sechs Meter verspätet kommt. (Sechs Meter sind der Abstand zwischen dem ersten Portal mit dem ersten Einzelradpaar und dem zweiten Portal mit dem zweiten Einzelradpaar). Besonders schlimm ist es bei "S-Kurven", weil im zweiten Kurvenbogen das erste Radpaar überhaupt in die falsche Richtung eingelenkt bleibt in den ersten sechs Metern.

hema

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #6 am: 01. September 2020, 15:13:11 »

Für die Beobachtung des Fahrgastwechsels waren sie nach meiner Meinung nicht erforderlich, weil die damit ausgerüsteten Garnituren alle schaffnerbesetzt waren.
Der Spiegel war vorgesehen zur Beobachtung der Türen, für welche ursprünglich am Fahrerplatz eine "Zu"-Taste existierte, mit welcher der Fahrer alle offenen Türen schließen konnte. Aus Sicherheitsgründen wurde das dann aber nie ohne draußen stehenden Abfertiger (Zuruf "Schließen!") durchgeführt, wodurch der Spiegel entbehrlich wurde.

Das Aus- und Einklappen der Spiegel erfolgte durch einen Hebel am Fahrerplatz mittels Bowden-Zug, einige Spiegel gingen auch beim Durchfahren von Hallentoren zu Bruch.
Niemand ist gezwungen meine Meinung zu teilen!

WIENTAL DONAUKANAL

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #7 am: 01. September 2020, 17:52:53 »
Für die Verbesserung der Kurveneinfahrt hat man den Wiener Bogen  erfunden:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Bogen

https://de.wikipedia.org/wiki/Trassierungselement

haidi

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #8 am: 01. September 2020, 18:51:50 »
Der so heißt, weil in Wien er nicht verbaut wird.
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Tatra T3

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #9 am: 01. September 2020, 19:52:16 »
Danke Ferry, haidi, hema und WIENTAL DONAUKANAL für ihre Antworten bezüglich die Rückspiegeln.

In Tschechien hat die Straßenbahn auch immer Vorrang (Rechtsabbiegen), aber man wurde nie ohne Rückspiegel auf der Linie ausfahren. Vielleicht war das Fahren ohne Spiegel möglich, weil in den Strassenbahnen immer ein Schaffner oder ein Sicherheittürsystem (Sensor, Trittstufe) war.

Tatra T3

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #10 am: 01. September 2020, 20:13:05 »
Danke für die Antwort 38ger.

Ich habe bemerkt, dass die ULF A nur 2 und die ULF B nur 4 Gelenke haben.

das erste Einzelradpaar auf eine Länge von sechs Metern immer die Gleise beschleift, weil die Einlenkung immer sechs Meter verspätet kommt.


Ich verstehe warscheinlich schlecht. Bedeutet das, dass die erste Einzelradpaare etwa 6 meter gerade aus fährt, bis der zweite Portal in der Kurve kommt? Das scheint mir technisch unmöglich...

Tatra T3

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #11 am: 01. September 2020, 20:26:39 »
Existiert in Wien, bitte, eine Karte, auf der kann man die einzelne Strassenbahnen mit Wagentyp und ihre Nummer sehen?

Zum Beispiel wie diese: https://tram.mobilnitabla.cz/

Linie 360

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #12 am: 01. September 2020, 20:33:13 »
Existiert in Wien, bitte, eine Karte, auf der kann man die einzelne Strassenbahnen mit Wagentyp und ihre Nummer sehen?

Zum Beispiel wie diese: https://tram.mobilnitabla.cz/
Nein

Tatra T3

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #13 am: 01. September 2020, 20:47:59 »
Danke Linie 360

Nein

Schade. Dann wird es aber schwierig sein, die E1 anzutreffen...

4498

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Re: Verschiedene Fragen über Wiener Straßenbahnbetrieb
« Antwort #14 am: 01. September 2020, 21:09:02 »
Der Spiegel ist nämlich grundsätzlich nur für die Fahrgasbeobachtung während des Fahrgastwechsel  und nicht für die Beobachtung der Fahrzeugverkehres neben der Straßenbahn vorhanden.
Das gehört den Treibern aber auch dringend mitgeteilt, dass der Spiegel nur zur Abfertigung dient. Ich habe es nicht einmal erlebt, dass der Fahrer die Geamtic auf Null gesetzt hat oder sogar gebremst hat, weil sich ein im Spiegel erkennbares Fahrzeug noch vordrängen wollte.

Oder mit anderen Worten: Wäre ich am Fahrerplatz gewesen, hätte es einen Unfall gegeben. Recht gschiacht eam.