Autor Thema: Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)  (Gelesen 1916 mal)

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fr3

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Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)
« am: 15. Dezember 2024, 19:22:10 »
Die Lokalbahn Wien-Baden wurde von 1907 bis Februar 1945 im Überlandabschnitt zwischen der 1930 eingestellten Haltestelle Neusteinhof (km 4,2; etwa bei der Gutheil-Schoder-Straße) und Tribuswinkel (südlich des Bahnhofs) mit 500V 15 Hz Einphasenwechselstrom betrieben.
Laut Statistik der E-Werke und elektrischen Bahnen Österreichs 1926 wurde die Spannung der Lokalbahn Wien-Baden mit 750 V und mittlerweile 16 2/3 Hz angegeben. Demnach kam die Stromversorgung von den städtischen Elektrizitätswerken in Wien auf einer Versorgungsleitung mit 16500 V Einphasenwechselstrom welche über 11 Transformatoren zu je 120 kVA entlang der Strecke auf 750V umgewandelt wurde. Die gleichen Generatoren versorgten auch die Pressburgebahn mit Strom. Die Übertragungsleitung war weitgehend auf den Fahrleitungsmasten angebracht, in Guntramsdorf im Ortsbereich jedoch auf eigenen Masten.

Das Besondere an der Badner Bahn gegenüber anderen Wechselstrombahnen war, dass die Fahrdrahtspannung im Triebwagen nicht mehr heruntertransformiert und damit direkt zum Betrieb der Motoren verwendet wurde. Dadurch waren die Triebwagen einerseits leichter, andererseits konnte die gleiche Ausrüstung auch auf den mit 550V= elektrifizierten Stadtstrecken in Wien und Baden verwendet werden, ohne aufwendige Zweistromsysteme. Denn die damalige elektrische Ausrüstung beschränkte sich im wesentlichen auf die Fahrmotoren (Einphasen-Reihenschlussmotor, für Gleich- und Wechselstrom geeigent), Fahr- und Bremswiederstände, Druckluftkompressor, Glühbirnen und ein paar elektrische Klingeln. Aufwendige Elektronik wie heute gab es noch nicht.
Um jedoch den Strom möglichst verlustarm über längere Strecken zu transportieren, gab es jene Versorgungsleitung, die eben mit jener "Hochspannung" (elektrotechnisch als Mittelspannung bezeichnet) gespeist wurde. Offenbar misstraute man damals solchen Spannungen, woraus sich die aufwendigen Schutzgerüste bei den Haltestellen und Straßenquerungen erklären.

Die eigenartige Frequenz von 15 Hz war bereits bei elektrischen Bahnen in der Schweiz (BLS) verwendet worden und war sonst ein Unikum in Österreich. Deshalb konnte auch der Strom nicht direkt aus dem Industrie- und Versorgungsnetz bezogen werden, vorausgesetzt es gab ein solches 1907 bereits entlang der Strecke.
Zum zeitlichen Vergleich: Karwendel und Pressburgerbahn mit 16 2/3 Hz kommen erst 1912 bzw. 1914 und führen wie bereits erwähnt Transformatoren in den Loks, um die Spannung für die Motoren herabzusetzen, ebenso wie die 1911 mit 6500V 25 Hz elektrifizierte Mariazellerbahn.
Die 1904 eröffnete Stubaitalbahn hatte ebenfalls Wechselstromantrieb mit 2500V 42,5 Hz, jedoch ebenso mit Transformatoren an Bord.

Wann die Umstellung von 15 Hz auf 16 2/3 Hz erfolgte, könnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ich nehme an dass dazu keine baulichen Änderungen an Anlagen, Motoren und Transformatoren vorgenommen werden mussten.

Bild 1 zeigt so ein Transformatorhäuschen im Bahnhof Tribuswinkel. Deutlich erkennt man die Wechselstrom-Versorgungsleitung zwischen den Fahrleitungsmasten mit Abzweigung zum Transformator und darunter die Gleichstromleitung zur Versorgung des Fahrdrahts.

Die Wechselstromleitung wurde im Haltestellenbereich durch ein Schutznetz gegen Herabfallen gesichert. Aufnahme aus dem Jahr 1908, Fotograf unbekannt.

Bild 2 und 3 zeigen ebenfalls ein Schutzgerüst der Wechselstrom-Versorgungsleitung bei der Querung der Triesterstraße (Neu Erlaa)

Bild 4 zeigt die Trennstelle südlich des Bahnhofs Tribuswinkel.

Superguppy

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Re: Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)
« Antwort #1 am: 15. Dezember 2024, 19:32:33 »
Danke für die tolle Recherche und den interessanten Beitrag!  :) 8)

Offenbar misstraute man damals solchen Spannungen, woraus sich die aufwendigen Schutzgerüste bei den Haltestellen und Straßenquerungen erklären.
Ich vermute, dass die Leitung wesentlich näher zum Boden war, als das für solche Spannungen üblich/vorgesehen war - daher die zusätzlichen Schutzmaßnahmen.

WVB

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Re: Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)
« Antwort #2 am: 15. Dezember 2024, 21:55:19 »
Wann die Umstellung von 15 Hz auf 16 2/3 Hz erfolgte, könnte ich nicht in Erfahrung bringen. Ich nehme an dass dazu keine baulichen Änderungen an Anlagen, Motoren und Transformatoren vorgenommen werden mussten.
Hundert Jahre Badner Bahn von Sternhart und Pötschner liefert die Antwort:

Vom 4.5.1921 an speiste das Dampfkraftwerk Simmering der Wiener Elektrizitätswerke über ein Kabel nach Neu Steinhof (zwischen Philadelphiabrücke und Inzersdorf) 16.000 V Einphasenstrom mit 16,67 Hz in die bestehende Versorgungsleitung der WLB ein. Die Transformatoren waren auf höhere Leistung gebracht und der höheren Spannung angepaßt worden und auf der Strecke wurden fünf neue Transformatoren zusätzlich installiert, sodaß nun folgende Einphasen-Umformerstationen vorhanden waren:

  • Neusteinhof: 230 kVA
  • Inzersdorf: 120 kVA
  • Inzersdorf Mitte: 120 kVA
  • Vösendorf-Siebenhirten: 230 kVA
  • Union: 120 kVA
  • Wiener Neudorf: 120 kVA
  • Biziste: 240 kVA
  • Guntramsdorf: 120 kVA
  • Möllersdorf: 230 kVA
  • Traiskirchen: 120 kVA
  • Tribuswinkel: 240 kVA

Der Einbügler

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Re: Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)
« Antwort #3 am: 15. Dezember 2024, 23:38:16 »
Sehr interessant- als Fan von "komischem alten Strom"  ;D mag ich solche Recherchen.  C:-)

Halbstarker

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Re: Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)
« Antwort #4 am: 16. Dezember 2024, 08:57:20 »
@fr3: Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!  :up:

Bemerkenswert auch die damals schon tendenziöse Berichterstattung über EK-Unfälle im Text zum 2. Bild:
"Das Auto ... ist mit knapper Not einem Zusammenstoß entgangen."

Ein Überbleibsel der Wechselstromzeit hat sich in den Triebwagen der Reihe 20/30 bis zuletzt gehalten:
Die Fahrmotoren waren nicht, wie sonst bei Gleichstrombahnen üblich, vierpolig, sondern sechspolig ausgeführt, um auch im Wechselstrombetrieb eine ausreichende Kommutierung zu erreichen (Minimierung des Bürstenfeuers).
Ceterum censeo autocineta omnibus delenda esse!

fr3

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Re: Wechselstrombetrieb bei der WLB (historisch)
« Antwort #5 am: 16. Dezember 2024, 11:41:16 »
Hundert Jahre Badner Bahn von Sternhart und Pötschner liefert die Antwort:
Danke für die interessante Ergänzung.
Im Wikipedia-Artikel steht, dass die ursprüngliche "Hochspannung" 10.000 V betrug. Damit mussten freilich Änderungen an den Transformatoren vorgenommen werden.

Ob die Änderung der Frequenz um knapp 2 Hz eine Anpassung der Fahrmotoren notwendig machte, kann ich mangels Fachwissen nicht beurteilen. Bei den heute üblichen Frequenzen (nominell 50 Hz) sind Abweichungen im Bereich von ein paar Hz keine Seltenheit, obwohl theoretisch nur 0.2 Hz zulässig wären. Mein Wechselrichter gibt im Inselbetrieb 53 Hz her ohne dass irgendein Haushaltsgerät sich dadurch beeinträchtigt zeigt.