Autor Thema: Vorgartenstraße und Nordbahnhofviertel im Wandel der Zeit  (Gelesen 478 mal)

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

fr3

  • Zugführer
  • *
  • Beiträge: 560
Nachdem in diversen Foren zur Zeit Bilder vom Baufortschritt der Straßenbahnlinie 12 durch die Vorgartenstraße fast in Echtzeit geboten werden, habe ich mir am 3. Mai 2025 die Situation vor Ort angesehen. Zeigen möchte ich jedoch Bilder des Umfeldes aus unterschiedlicher Zeit - welches sich vor allem in den letzten Jahren extrem verändert hat - oder auch nicht.

Die Anreise per Elektroroller aus dem 5. Bezirk erfolgte durch den Prater, wobei dieses absolut zeitlose Bild als Beifang entstand:


Die neue Schleife Hillerstraße der Linie 12 umrundet ein mir bisher unbekanntes, auffallendes Gründerzeit-Gebäude - hier von der Jungstraße aus gesehen:




Gegenüber befindet sich der Wachauer Hof, ein Gemeindebau der 1920er, der sich aufgrund seines ländlichen Stils von den anderen Wohnabauten des "roten Wiens" deutlich unterscheidet.





Das Gründerzeitpalais - hier der Haupteingang in der Vorgartenstraße - beherbergt seit 2022 ein exquisites Hotel. Welchem Zweck es früher gedient hat konnte ich nicht herausfinden.




Ab hier verlaufen nun die Straßenbahnschienen durch die Vorgartenstraße - historische eine Neuigkeit (weitgehend, denn ein kurzes Stück Gleise gab es bereits zu einer früheren Zeit - aber davon später). Am Horizont der Kahlenberg mit Restaurant und Kirche.




Gleich bei der ersten Haltestelle (Jungstraße) ein weiterer Bauteil des Wachauerhofes.









Die Besonderheit der Vorgartenstraße geht auf ein städtebauliches Experiment der Bauordnung von 1893 zurück: wie der Name sagt, wurde damals die Anlage von Vorgärten vor den mehrgeschößigen Wohnbauten vorgeschrieben, welche der Straße ihren charakteristischen Stil verleihen. Die Vorschrift besteht bis heute und wurde in jüngeren Jahren auf etwas kuriose Art interpretiert - davon später.



Bei der Ennsgasse enden die Gleise vorerst...



An der Kreuzung zur Lassallestraße steht schon wieder ein markanter Gemeindebau - der wie die Straße nach dem deutschen Arbeiterführer Lassalle benannt ist, hier in einer Aufnahme von 2018:



Mai 2025: Das Schuhgeschäft an der Ecke ist verschwunden und wurde durch einen chinesischen Ramschladen ersetzt. Aber es gibt Straßenbahnschienen, die hier die Lassallestraße queren.




Diagonal gegenüber finden sich auf einem ziemlich verunstalteten alten Haus ein paar Wandrosetten, denn einst fuhr in der Lassallestraße die Straßenbahn über die Reichsbrücke nach Kagran und Kaisermühlen. Die nun sichtbaren Gleise in die Vorgartenstraße gehören zur zukünftigen Linie 12.



Kaum zu glauben, aber das Eckhaus hat früher einmal viel besser ausgesehen. In den frühen 1930ern, vor der Fertigstellung der "neuen" Reichsbrücke (sie ist 1976 eingestürzt), war hier großer Umsteigbahnhof der Straßenbahn, denn die damals üblichen Straßenbahnwagen waren zu schwer für die alte Brücke - es musste auf kleinere, leichte Garnituren umgestiegen werden. Im Hintergrund der Betriebsbahnhof (Remise) Vorgarten und das zuvor erwähnte kurze Stück historischer Straßenbahngleise in der Vorgartenstraße, die mit Eröffnung der U1 und Stilllegung der Straßenbahn über die Reichsbrücke um 1982 verschwanden.



Bis 1976 hatte man von der Kreuzung aus etwa folgenden Ausblick (Bildquelle Wikimedia, um 1975):



Heute sieht man in dieser Blickrichtung verschiedene Wolkenkrazer im Viertel um die Uno-City, jenseits der Donau.




Auch die anschließenden Gebäude in der Vorgartenstraße - hier rückblickend Richtung Stuwerviertel und Kreuzung Lassallestraße sind heute nur mehr ein Abglanz der einstigen Gründerzeitfassaden.



Bestens erhalten der gegenüberliegende Heizmannhof, hier nun wieder mit Straßenbahnschienen im Vordergrund.




Nun folgt ein kurzes Stück Rasengleis in der Vorgartenstraße - das einzige der gesamten Neubaustrecke, quasi ein Alibi um zu zeigen, dass man ohnehin umweltfeundlich baut. Der Citroen 2CV stammt aus einer anderen Epoche.



Hier gibt es keine Vorgärten mehr in der Vorgartenstraße, was die Krähe nicht davon abhält trotzdem den Straßenraum in Anspruch zu nehmen.



Durch den Neubau rechterhand öffnet sich der Blick auf einen Backsteinbau...



Es ist der letzte Rest des 1897 errichteten Betriebsbahnhofs Vorgarten der Straßenbahn. Die Hallentore waren freilich einmal höher, jedoch wurde das Gelände vor der Halle offenbar später angeschüttet und dem Gebäude ein neuer (falscher) Sockel verliehen.







Das folgende Bild vom 16.9.1979 von user TARS631 zeigt die Halle II noch im Vollbetrieb.



Genutzt wir das Gebäude heute zum Teil als Supermarkt



... und als Garage für die Kunden. Das Laternendach ist eine Holzkonstruktion.



Im Anschluss an die Halle gibt es noch ein Gebäude, das ich zunächst nicht als zur ehemaligen Remise gehörend erkannt habe, obwohl es mit dieser in einer Flucht steht.



Die Auferstehungskirche, Wiens größte serbisch-orthodoxe Kirche,[1] wurde in einer aufgelassenen Straßenbahngarage errichtet und am 26. Oktober 2002 geweiht. Ab 2006 fand ein Umbau statt, der mit der Neueinweihung der Kirche am 30. September 2007 abgeschlossen wurde. Bei dem Umbau wurden unter anderem die zwei Kirchtürme errichtet
Quelle: Wikipedia

Die drei Absiden mit dem Ziegelgesims sind also nachträglich errichtet worden.

Noch gehört die Vorgartenstraße dem Autobus. Das Grüngleis bringt hier einen Qualitätststeigerung - in der Ästhetik und im Verkehr.



Unmittelbar nach dem 2. WK wurde hier auch eine Busgarage errichtet.



Das Gebäude ist erhalten geblieben, beherbergt jedoch heute ebenso einen Supermarkt mit Kundengarage





Und das ist die zeitgenössische Interpretation der "Vorgärten" aus der Bauordnung von 1893. Plexiglaskojen wie statische Seilbahnkabinen...



An die Fassade gehängte Glashäuser...



Oder Burggräben, wie hier vor dem Studentenheim. Könnten sich bei der nächsten Studentenrevolte als nützliche Verteidigungsanlage erweisen...




Bei der nun verlängerten Taborstraße verlassen die Gleise die Vorgartenstraße, welche nach ein paar hundert Metern als Sackgasse endet.




Hier fährt auf einem kurzen Stück bereits eine Straßenbahn - die 2020 verlängerte Linie O - jedoch nur in einer Richtung, um in die Endschleife zu fahren.




2020 habe ich die Endschleife  der Linie O beim ehemaligen Wasserturm des Nordbahnhofs kurz vor der Fertigstellung fotographiert.



Nur 5 Jahre später bietet sich ein vollkommen anderes Bild:



Der Wasserturm beherbergt zur Zeit ein etwas überdimensioniertes Taubenhaus. Aber vielleicht bekommt er später eine andere Nutzung....



2020 war die Bruno-Marek-Allee nur einseitig bebaut, hier in Blickrichtung Nordwesten, zum Millennium-Tower



5 Jahre später sieht es hier so aus (Blickrichtung Praterstern) - Kreuzung mit der Taborstraße



Noch gibt es in die Ablenkung keine Fahrleitung, aber die Gleise sind schon bereit.



2020 war hier noch alles unverbaut. Im Hintergrund die Brücke der S-Bahn (in glorreichen Zeiten Nordbahn)



Und so sieht es heute aus:



Ein neues Stadtviertel ist auf dem Areal des ehemaligen Nordbahnhofs entstanden - mit Straßenbahn!



Bei der Nordbahnstraße erreicht die neue Linie 12 das bestehende Straßenbahnnetz. Im Hintergrund die letzten Reste des ehemaligen Nordwestbahnhofs, welche zur Zeit abgerissen werden. Die beiden jungen Leute, welche hier offenbar eine Übersiedlung per Handwagen vornehmen, erinnern mich an das Jahr 1997, als ich auf dem Bahnhof im Hintergrund mein Übersiedlungsgut nach Italien aufgegeben habe. Eine Ewigkeit scheint seither vergangen zu sein.


95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 36803
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Vorgartenstraße und Nordbahnhofviertel im Wandel der Zeit
« Antwort #1 am: Gestern um 10:40:52 »
Das Gründerzeitpalais - hier der Haupteingang in der Vorgartenstraße - beherbergt seit 2022 ein exquisites Hotel. Welchem Zweck es früher gedient hat konnte ich nicht herausfinden.

Es handelt sich um ein ehemaliges Offizierswohnhaus, das zur (mittlerweile abgerissenen) Wilhelmskaserne (nicht zu verwechseln mit der auf der anderen Seite des Elderschplatzes gelegenen Albrechtskaserne!) gehörte.

Q: https://www.grazwiki.at/Vorgartenstra%C3%9Fe_217_(Wien)
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

Floster

  • Schaffner
  • **
  • Beiträge: 142
Re: Vorgartenstraße und Nordbahnhofviertel im Wandel der Zeit
« Antwort #2 am: Gestern um 10:44:02 »
Vielen Dank für die Reportage dieser Straßenbahnstrecke, die Alt und Neu miteinander verbindet.

Der Wasserturm beherbergt zur Zeit ein etwas überdimensioniertes Taubenhaus. Aber vielleicht bekommt er später eine andere Nutzung....
Dort soll ein Café hineinkommen: https://www.derstandard.at/story/3000000263603/der-alte-wasserturm-im-nordbahnviertel-wird-ein-cafe

Stadtbahn

  • Fahrgast
  • *
  • Beiträge: 87
Re: Vorgartenstraße und Nordbahnhofviertel im Wandel der Zeit
« Antwort #3 am: Gestern um 12:35:52 »
Tolle Reportage, danke. Das fehlende Stück zum 18er ist stadtplanerisch unverständlich.
Vorsicht, der Zug wird abgefertigt!

Nulltarif

  • Zugführer
  • *
  • Beiträge: 671
Re: Vorgartenstraße und Nordbahnhofviertel im Wandel der Zeit
« Antwort #4 am: Gestern um 13:22:00 »
Das fehlende Stück zum 18er ist stadtplanerisch unverständlich.

Das hat mit der Planung nix zu tun - die Grobplanung ist ja bereits erfolgt. Es ist eine Frage des Geldes. Sobald die WiLi ein Budget dafür bekommen, geht es in die Detailplanung und Umsetzung. (In der 18er-Schleife sind die Weichen für die Einbindung des 12ers schon eingeplant, aus Verschleiß-Gründen halt vorerst durch normale Bögen ersetzt.)
Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe. (Dalai Lama)

Katana

  • Verkehrsführer
  • *
  • Beiträge: 2493
Re: Vorgartenstraße und Nordbahnhofviertel im Wandel der Zeit
« Antwort #5 am: Gestern um 13:57:28 »
Das fehlende Stück zum 18er ist stadtplanerisch unverständlich.
Wenn du dir den Thread-Titel nochmal durchliest, und bedenkst, dass wir im Viennensia-Board sind, wirst du mir beipflichten, dass diese Diskussion hier deplatziert wäre. Dafür gibt es sicher besser geeignete Threads.