Autor Thema: Oktoberstreik 1950 in Wien  (Gelesen 836 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

win22

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 385
Oktoberstreik 1950 in Wien
« am: 26. Dezember 2025, 13:47:12 »
Das Wikipedia schreibt folgendes dazu:

Am 4. Oktober erreichten die Streiks in Wien ihren Höhepunkt. Rollkommandos der Streikenden versuchten, das öffentliche Leben lahmzulegen und besetzten Straßen und Plätze.
Wagen der Wiener Straßenbahn wurden durch Zuschütten der Gleise und Ausbetonieren der Weichen daran gehindert auszufahren.


Gibt es Fotos dazu und Erzählungen, wie lange und wo die Betriebsstörungen waren? Eine "zubetonierte" Weiche wieder freizumachen dürfte doch etwas mühsam gewesen sein
oder sind das "urbane Erzählungen"?

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 37088
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #1 am: 26. Dezember 2025, 13:56:42 »
Laut der Arbeiter-Zeitung vom 5. Oktober kam es abgesehen von kleineren Zwischenfällen zu keinen nennenswerten Fahrtbehinderungen: https://www.arbeiterzeitung.at/ausgabe/19501005a/1
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

hewerner

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 486
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #2 am: 26. Dezember 2025, 17:09:57 »
Laut der Arbeiter-Zeitung vom 5. Oktober kam es abgesehen von kleineren Zwischenfällen zu keinen nennenswerten Fahrtbehinderungen: https://www.arbeiterzeitung.at/ausgabe/19501005a/1

Es gab auch Zivilcourage. Mir wurde seinerzeit von unserem Lehrer erzählt, der gesehen hatte, wie ein Straßenbahnfahrer einen kommunistischen Studenten verprügelte, der eine Weiche mit Beton zuschütten wollte.
Lg Helmut

win22

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 385
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #3 am: 26. Dezember 2025, 18:33:39 »
Danke, ich muss über den journalistischen Stil der damaligen AZ in den 50er Jahren schmunzeln.

Heute stehst du vor dem Presserat mit sowas...

"Polizisten säubern mit Holzknüppeln blitzartig unter Beifall der Zuschauer den Platz"

"In der Remise Kreuzgasse versuchten hundertfünfzig Kommunisten die Ausfahrt zu behindern. Die Straßenbahner verprügelten sie"

"In einem Fall boten die kommunistischen Agenten den Straßenbahnern pro Mann hundertfünfzig Schilling, wenn sie streiken würden. Sie wurden hinausgeworfen"

"Vormittags versuchten vierhundert Kommunisten den Straßenbahnverkehr in Favoriten zu behindern, in dem sie die Gleise vor der Remise in der Gudrunstraße besetzten.
Nachdem der Verkehr einige Zeit stillag, erschienen plötzlich sechs Lastautos mit Bauarbeitern, die in kurzer Zeit die Kommunisten - nicht ganz ohne Gewalt -
davon überzeugten, daß der Verkehr nicht behindert werden dürfe".


War ein turbulenter Tag mit gewerkschaftlicher Überzeugungskraft....






N1

  • Verkehrsführer
  • *
  • Beiträge: 2521
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #4 am: 26. Dezember 2025, 20:12:47 »
Es gab auch Zivilcourage. Mir wurde seinerzeit von unserem Lehrer erzählt, der gesehen hatte, wie ein Straßenbahnfahrer einen kommunistischen Studenten verprügelte, der eine Weiche mit Beton zuschütten wollte.
Der Student hätte bei sich daheim zubetonieren können, was er will, aber der Versuch, eine Weiche zuzubetonieren, rechtfertigt nichtsdestoweniger keine körperliche Gewalt, schon gar nicht abseits des staatlichen Gewaltmonopols.

Danke, ich muss über den journalistischen Stil der damaligen AZ in den 50er Jahren schmunzeln.

Heute stehst du vor dem Presserat mit sowas...

[...]

War ein turbulenter Tag mit gewerkschaftlicher Überzeugungskraft....
Naja, die AZ hat halt auf der Basis des Kurses ihrer Mutterpartei Journalismus betrieben, und der war damals strikt antikommunistisch.
_____

Jedenfalls schön, dass das AZ-Archiv wieder online ist. :)
"Der Raum, wo das stattfand, ist ziemlich groß."
Hans Rauscher

Cerberus2

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 298
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #5 am: 26. Dezember 2025, 21:17:49 »
Es gab auch Zivilcourage. Mir wurde seinerzeit von unserem Lehrer erzählt, der gesehen hatte, wie ein Straßenbahnfahrer einen kommunistischen Studenten verprügelte, der eine Weiche mit Beton zuschütten wollte.
Der Student hätte bei sich daheim zubetonieren können, was er will, aber der Versuch, eine Weiche zuzubetonieren, rechtfertigt nichtsdestoweniger keine körperliche Gewalt, schon gar nicht abseits des staatlichen Gewaltmonopols.
Nun ja, Weiche zubetonieren ist ein schwerer Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut, nämlich Eigentum. Und da darfst Du dann im Rahmen der Nothilfe alles unternehmen, was zum Schutze des Eigentums notwendig ist (aber nicht mehr, als notwendig ist).

Und dazu gehört sicher, den Typen irgendwie mit körperlicher Gewalt von der Weiche wegzubringen. Ohne körperliche Gewalt, zum Beispiel nur durch Zuruf, wirst Du den nicht wegbringen.

Katana

  • Verkehrsführer
  • *
  • Beiträge: 2719
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #6 am: 26. Dezember 2025, 22:08:47 »
Danke, ich muss über den journalistischen Stil der damaligen AZ in den 50er Jahren schmunzeln.

Heute stehst du vor dem Presserat mit sowas...

"Polizisten säubern mit Holzknüppeln blitzartig unter Beifall der Zuschauer den Platz"

"In der Remise Kreuzgasse versuchten hundertfünfzig Kommunisten die Ausfahrt zu behindern. Die Straßenbahner verprügelten sie"

"In einem Fall boten die kommunistischen Agenten den Straßenbahnern pro Mann hundertfünfzig Schilling, wenn sie streiken würden. Sie wurden hinausgeworfen"

"Vormittags versuchten vierhundert Kommunisten den Straßenbahnverkehr in Favoriten zu behindern, in dem sie die Gleise vor der Remise in der Gudrunstraße besetzten.
Nachdem der Verkehr einige Zeit stillag, erschienen plötzlich sechs Lastautos mit Bauarbeitern, die in kurzer Zeit die Kommunisten - nicht ganz ohne Gewalt -
davon überzeugten, daß der Verkehr nicht behindert werden dürfe".


Was daran sollte den Presserat beschäftigen? Keine Beleidigungen, keine Namen, keine pers. Daten, nichts Verwerfliches.

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 37088
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #7 am: 26. Dezember 2025, 22:45:22 »
Es gab auch Zivilcourage. Mir wurde seinerzeit von unserem Lehrer erzählt, der gesehen hatte, wie ein Straßenbahnfahrer einen kommunistischen Studenten verprügelte, der eine Weiche mit Beton zuschütten wollte.
Der Student hätte bei sich daheim zubetonieren können, was er will, aber der Versuch, eine Weiche zuzubetonieren, rechtfertigt nichtsdestoweniger keine körperliche Gewalt, schon gar nicht abseits des staatlichen Gewaltmonopols.
Nun ja, Weiche zubetonieren ist ein schwerer Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut, nämlich Eigentum. Und da darfst Du dann im Rahmen der Nothilfe alles unternehmen, was zum Schutze des Eigentums notwendig ist (aber nicht mehr, als notwendig ist).

Und dazu gehört sicher, den Typen irgendwie mit körperlicher Gewalt von der Weiche wegzubringen. Ohne körperliche Gewalt, zum Beispiel nur durch Zuruf, wirst Du den nicht wegbringen.

Die Weiche ist aber nicht Eigentum der Bediensteten.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

31/5

  • Expeditor
  • **
  • Beiträge: 1308
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #8 am: 26. Dezember 2025, 22:49:54 »
Aber als Steuerzahler - und das ist auch der Tramwayer - kommt auch er dafür auf.

95B

  • Verkehrsstadtrat
  • **
  • Beiträge: 37088
  • Anti-Klumpert-Beauftragter
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #9 am: Gestern um 00:32:03 »
So funktioniert ein Rechtsstaat nicht.
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

hewerner

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 486
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #10 am: Gestern um 09:39:30 »
Ab #7 ff.

Man kann die heutige Denkungsweise nicht mit der von 1950 vergleichen, das sind ganz andere Parameter.
Lg Helmut

tramway.at

  • Referatsleiter
  • *
  • Beiträge: 8380
    • www.tramway.at
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #11 am: Gestern um 10:08:33 »
Das wollte ich auch gerade schreiben. Der Kommunistenstreik war durchaus gefährlich, Wien war damals noch besetzt, das hätte zu einer größeren Konfrontation ausufern können. Der Staat Österreich war noch fragil, der Krieg grad 5 Jahre vorbei. Damals wurde noch deutlich hemdsärmeliger agiert als heute - sogar bis in die 1980er, als die Gewerkschaft fast die Hainburger Aubestzer aus dem Wald geprügelt hätte.

Und zur medialen Situation: Damals war es selbstverständlich, dass ausführlich mit vollem Namen von betroffenen Personen berichtet wurde, also kommt's nicht mit Presserat etc., solche Feinheiten gabs damals nicht. Dafür waren die Artikel in den Boulevardzeitungen besser recherchiert und tiefgehender als heute in Presse und Standard.

https://www.dasrotewien.at/seite/streikbewegung-1950#:~:text=Am%205.%20Oktober%201950%20brach,auf%20die%20%C3%B6sterreichische%20Innenpolitik%2C%201991.
Harald A. Jahn, www.tramway.at

Cerberus2

  • Fahrer
  • ***
  • Beiträge: 298
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #12 am: Heute um 09:10:46 »
Es gab auch Zivilcourage. Mir wurde seinerzeit von unserem Lehrer erzählt, der gesehen hatte, wie ein Straßenbahnfahrer einen kommunistischen Studenten verprügelte, der eine Weiche mit Beton zuschütten wollte.
Der Student hätte bei sich daheim zubetonieren können, was er will, aber der Versuch, eine Weiche zuzubetonieren, rechtfertigt nichtsdestoweniger keine körperliche Gewalt, schon gar nicht abseits des staatlichen Gewaltmonopols.
Nun ja, Weiche zubetonieren ist ein schwerer Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut, nämlich Eigentum. Und da darfst Du dann im Rahmen der Nothilfe alles unternehmen, was zum Schutze des Eigentums notwendig ist (aber nicht mehr, als notwendig ist).

Und dazu gehört sicher, den Typen irgendwie mit körperlicher Gewalt von der Weiche wegzubringen. Ohne körperliche Gewalt, zum Beispiel nur durch Zuruf, wirst Du den nicht wegbringen.

Die Weiche ist aber nicht Eigentum der Bediensteten.
Deswegen habe ich auch nicht von Notwehr, sondern von Nothilfe gesprochen. §3 StGB: "Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren."

Katana

  • Verkehrsführer
  • *
  • Beiträge: 2719
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #13 am: Heute um 11:17:04 »
Es gab auch Zivilcourage. Mir wurde seinerzeit von unserem Lehrer erzählt, der gesehen hatte, wie ein Straßenbahnfahrer einen kommunistischen Studenten verprügelte, der eine Weiche mit Beton zuschütten wollte.
Der Student hätte bei sich daheim zubetonieren können, was er will, aber der Versuch, eine Weiche zuzubetonieren, rechtfertigt nichtsdestoweniger keine körperliche Gewalt, schon gar nicht abseits des staatlichen Gewaltmonopols.
Nun ja, Weiche zubetonieren ist ein schwerer Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut, nämlich Eigentum. Und da darfst Du dann im Rahmen der Nothilfe alles unternehmen, was zum Schutze des Eigentums notwendig ist (aber nicht mehr, als notwendig ist).

Und dazu gehört sicher, den Typen irgendwie mit körperlicher Gewalt von der Weiche wegzubringen. Ohne körperliche Gewalt, zum Beispiel nur durch Zuruf, wirst Du den nicht wegbringen.

Die Weiche ist aber nicht Eigentum der Bediensteten.
Deswegen habe ich auch nicht von Notwehr, sondern von Nothilfe gesprochen. §3 StGB: "Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren."
Egal ob man es Notwehr oder Nothilfe nennt, es stellt sich die Frage, ob die Verhinderung einer Sachbeschädigung körperliche Gewalt rechtfertigen kann.

N1

  • Verkehrsführer
  • *
  • Beiträge: 2521
Re: Oktoberstreik 1950 in Wien
« Antwort #14 am: Heute um 13:20:57 »
Deswegen habe ich auch nicht von Notwehr, sondern von Nothilfe gesprochen. §3 StGB: "Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren."
Unter Nothilfe verstehe ich als juristischer Laie jedenfalls nicht, jemanden zu verprügeln, nur weil er vorgehabt hat, eine Weiche mit Beton auszugießen. Angebracht wäre mir in diesem Fall erschienen, den Typen durchaus auch grob von der Weiche wegzuzerren und bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Körperliche Gewalt entsprechend einer Ohrfeige oder ähnlichem hätte ich auch noch verstanden.

Überhaupt wird in dem verlinkten AZ-Artikel die Anwendung von Gewalt massiv verherrlicht. Wenn eine Zeitung heute so agieren und der Presserat lediglich mit den Schultern zucken würde, dann wäre das Anlass genug, die eigenen Richtlinien kritisch zu hinterfragen.

Und ja, die zeitlichen Umstände waren andere als heute. Mein Verständnis für diese Art von parteipolitisch motiviertem Journalismus hält sich dennoch in Grenzen. Da ging es nicht nur um die Abwehr eines potentiellen kommunistischen Putschversuches, sondern auch mindestens im selben Ausmaß darum, frühere mangelnde Distanz zu den unpopulären Kummerln vergessen zu machen. Dazu kommt noch, dass die AZ eigentlich als seriöses Medium positioniert war. Den Boulevardjournalismus in Gestalt des in der Zwischenkriegszeit sehr beliebten Kleinen Blattes hat man nach dem Krieg auf eine wöchentliche Erscheinungsweise zurechtgestutzt.
"Der Raum, wo das stattfand, ist ziemlich groß."
Hans Rauscher