Quelle: Falter 40/11
Bitte alles reinheben!
Die Wiener Linien lösen den leidigen Kinderwagen-Streit: Bald sollen die Fahrer beim Einsteigen in alte Bims helfen müssen
Bericht: Nina Horaczek
Es ist jedes Mal ein Glücksspiel: Hält keine Niederflur-, sondern eine alte Straßenbahngarnitur und ist kein Passant in der Nähe, sind Eltern mit Kinderwagen beim Einsteigen auf das Wohlwollen des Straßenbahnfahrers angewiesen. Meistens helfen die Bim-Fahrer gerne, den Wagen in den Waggon zu wuchten.
Immer wieder hören Mütter oder Väter aber auch ein Mürrisches „Nein“ oder ein „Gehen S’ halt zu Fuß“ aus der Fahrerkabine. Oder der Wiener-Linien-Mitarbeiter klärt die verzweifelten Mütter, die mit dem Kinderwagen auf der Straße stehen, im besten Amtsdeutsch darüber auf, dass in den Dienstvorschriften keine Kinderwagenreinhebepflicht festgeschrieben sei und er sich daher nicht von seinem Sessel heben werde. Erst vor kurzem berichtete „Wien heute“ über so einen Vorfall in einer Straßenbahn, der völlig eskalierte, weil ein Fahrer sich weigerte, der Mutter zu helfen.
So etwas soll bald Geschichte sein. Wie die Wiener Linien und der Zentralbetriebsrat der Straßenbahnfahrer dem Falter bestätigen, laufen gerade Verhandlungen über eine Lösung des Problems im Sinne von Familien, die mit den Öffis unterwegs sind. Bis Weihnachten soll es zu einer Lösung kommen, heißt es aus dem Unternehmen. Bisher verlief die Konfliktlinie zwischen Unternehmensführung und Personalvertretern. „Das ist zwar intern ein sehr sensibles Thema“, sagt Michael Bauer, Zentralbetriebsratsvorsitzender der Wiener Linien, „aber wir sind ein Dienstleistungsunternehmen und müssen uns um eine Verbesserung für die Kunden bemühen.“
Es müsse sichergestellt sein, dass Fahrer mit körperlichen Beschwerden keine Kinderwägen heben müssen. Und die Haftungsfrage müsse geklärt werden, falls es beim Helfen zu einem Unfall komme, sagt der Betriebsrat. Das war bisher eines der Hauptargumente der Fahrer, nicht zu helfen. „Wir haben nachrecherchiert“, sagt Wiener-Linien-Sprecher Answer Lang, „es ist im Betrieb kein einziger Unfall beim Hereinheben des Kinderwagens dokumentiert.“ Nicht nur die Unternehemsnführung poche auf ein rasches Ende des Kinderwagenstreits, meint Lang. „Auch ein Großteil der Fahrer, für die es selbstverständlich ist zu helfen, wäre froh, wenn diese Frage gelöst würde.“
Widerstand kommt hingegen von den Personalvertretern des KPÖ-nahen Gewerkschaftlichen Linksblocks (GLB). „Wie kommen Fahrer dazu, in ihrer Freizeit Kinderwagen reinzuheben?“, fragt Gerhard Eder, GLB-Vertreter bei den Wiener Linien. Weil die Fahrpläne der Straßenbahnfahrer so dicht seien, würde das Helfen auf Kosten der Fahrpausen des Personals und der Sicherheit gehen, sagt der GLB-Vertreter. „Und dann gibt es auch noch Mütter, die nicht einmal ‚Bitte‘ oder ‚Danke‘ sagen“, meint Eder.
Aber auch denen wird bald geholfen werden. Zumindest bis zum Jahr 2022. Spätestens dann sollen Wien-weit nämlich nur mehr Niedrigflur-Straßenbahnen unterwegs sein.