Wie von Harald nicht anders gewohnt, war das ein exzellenter Vortrag (bzw. eigentlich zwei Vorträge in einem)!

Eine reich bebilderte (in höchster gestalterischer Qualität) Rundreise durch viele französische Betriebe zeigte uns, wie die Tramway anderswo mit Respekt behandelt wird und als große Hoffnung der Stadtentwicklung gilt, die sich praktisch überall erfüllt hat, wo die Straßenbahn errichtet wurde.
Auch in französischen Städten gab/gibt es hie und da Stellen, wo man Gleise nicht so einfach verlegen kann, aus den verschiedensten Gründen (z.B. in Bögen, wo der Gehsteig dann recht eng wird). Dort wird das aber nicht als Argument benutzt, das gesamte Projekt fallenzulassen, sondern es wird eben einfach eine etwas unkonventionellere (aber trotzdem meistens watscheneinfache) Lösung verwirklicht. Beeindruckend auch die simple Lösung, der Staubentwicklung in einem Tunnel durch Wasserdampf, der die Staubpartikel bindet, Herr zu werden.
Der Mentalitätsunterschied zu Wien ist gewaltig; das spürt man bei jedem Bild einer wunderschön neu angelegten französischen Straße, wo das Design dahinter von Rasengleis über die Haltestellenbereiche bis hinunter zu den ganz bewusst verwendeten Bodenbelägen reicht. Denkt man bei solchen Bildern an die Großflächenplatten am Ring oder das Flickwerk am Karlsplatz oder aber auch an die Tokiostraße, kommen einem die Tränen.
Besonders atemberaubend: In Paris wurden in den letzten Jahren
85.000 Parkplätze beseitigt. Und bei uns scheitern innovative Verkehrsideen oder auch nur eine kleine Verkehrsberuhigung oft an 2-3 Parkplätzen!
Aber es gab nicht nur Beispiele aus Frankreich: Auch andere Städte haben - entweder bei Neubauten oder als stadtgestalterisches Element - die Straßenbahn wiederentdeckt. In München etwa, wo auf den Neubaustrecken Oberbau wie bei uns in der Tokiostraße nur in Zonen vorkommt, wo z.B. durch eine angrenzende Autobahn ohnehin schon so viel Umgebungslärm herrscht, dass es egal ist; in bewohntem Gebiet verwendet man dann wieder ein bis zur SOK zugebautes Rasengleis. Aber auch Bratislava (die Fußgängerzone zwischen Kapucinska und SNP) oder Budapest sind schöne Beispiele, wie eine moderne Gestaltung aussehen kann (in Budapest habe ich da z.B. die Strecke zum Deák Ferenc Tér in Erinnerung). Brünn möchte ich noch hinzufügen, auch dort kann der Innenstadtbereich durchaus mit einem französischen Neubau mithalten.
Als Antithese zur Rennaissance wurden dann unsere Neubaustrecken 25 und 26 gezeigt, die immer noch nach stadtplanerischen Rezepten des vorigen Jahrtausends errichtet wurden/werden. Heißt es in Frankreich: "Die Straßenbahn hat uns einen Park gebracht", so würde ein Bewohner der Tokiostraße wohl sagen "Die Straßenbahn hat uns den Lärm gebracht". Wobei es ja auch bei uns in Ansätzen durchaus anders geht. Etwa in Lainz oder am Whiskeypoidl-Platz.
Ein nicht uninteressantes Detail etwas abseits des Vortrags: Auf die Frage/Feststellung aus dem Publikum, dass die Züge in Frankreich eine höhere Einstiegshöhe haben und man das durchaus als gewissen Nachteil ggü. dem ULF ansehen kann, kam von einem anwesenden Herrn im Rollstuhl die (für mich doch etwas überraschende) Aussage, dass er sich in Wien mit dem Rollstuhl eigentlich am schwersten tut (sowohl beim Einsteigen als auch im Fahrzeug) und die anderen Betriebe mit höheren Einstiegen praktisch überhaupt keine Probleme bereiten, da sie eben durch andere Maßnahmen darauf achten, dass die Haltestellen und Züge völlig barrierefrei sind.
Fazit: Wien steckt verkehrs- und stadtplanerisch im finstersten Mittelalter fest und ich sehe eigentlich derzeit keine Anzeichen, dass sich das in näherer Zukunft ändern wird. Da sich aber rund um uns alles weiterentwickelt, werden wir einfach deswegen schon zurückfallen. Wer nichts tut, verliert.