Autor Thema: [DE] Berlin  (Gelesen 108692 mal)

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13er

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[DE] Berlin
« am: 14. August 2011, 21:30:25 »
Berlin hat freilich mehr zu bieten als "nur" Tramway und U55. Jetzt bin ich dazugekommen, auch ein paar Fotos des restlichen ÖV der Stadt auszusortieren.

Wir beginnen unsere kleine Rundreise am Potsdamer Platz:

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Vor dem Krieg in den 20ern und 30ern das echte (Unterhaltungs-)Zentrum und ein riesiger Verkehrsknotenpunkt. Auch wenn ich es nicht verifizieren kann, habe ich von 26 Straßenbahn- und 5 Buslinien gelesen, die über den Platz verkehrten. Der erste enorme Rückschlag für den Potsdamer Platz war der 2. Weltkrieg, in dem der Platz so gut wie vollständig zerstört wurde. Das sollte aber nicht seine letzte Bedrohung gewesen sein:

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Ab 13. August 1961 verlief hier die Grenze zwischen zwei Ideologien, zuerst in Form von Stacheldraht und allen möglichen Baumaterialien, die man überall zusammensuchte, später in Form eines bizarr organisierten Todesstreifens entlang der Mauer aus Stahl und Beton. Heute dokumentieren an vielen Orten Berlins nur mehr zwei in die Straße eingelassenen Reihen Pflastersteine die jahrzehntelange Trennung. Wie man am oberen Foto im Hintergrund sieht, ist die Stadt zumindest architektonisch aber wieder völlig zusammengewachsen und mit dem Bahngebäude, dem Sonycenter usw. einer architektonischen Modernität verpflichtet, die für Wiener Augen in diesem großen Umfang gewöhnungsbedürftig ist:

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Heute befindet sich der größte Teil des Verkehrs auf diesem Platz unter der Erde, aber oben verkehrt zumindest die (unter Touristen) beliebte Buslinie 200, die (zusammen mit der Linie 100) unserer VRT ähnelt, aber viel mehr Sehenswürdigkeiten abdeckt und somit eine wesentlich längere Strecke hat. Auch Straßenbahngleise liegen am Platz bereit für eine mögliche zukünftige Linie. Wer weiß...

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Mit der in den späten 30ern erbauten Nord-Süd-Achse (die aufgrund eines großen Bauunglücks nicht mehr ganz bis zu den Olympischen Spielen vollendet werden konnte) der S-Bahn erreicht man von hier in einer Station das Brandenburger Tor.

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Bis zur Teilung der Stadt hieß diese Haltestelle noch "Unter den Linden". Diesen poetischen Namen benötigte man später für andere Pläne und so trägt die Station jetzt die Bezeichnung "Brandenburger Tor" (was für Touristen vorteilhafter erscheint).

In der DDR benötigte diese Haltestelle keinen Namen, da es sich um einen Geisterbahnhof handelte. Insgesamt gab es AFAIR 15 oder 16 solcher Geisterbahnhöfe, die mit Schrittgeschwindigkeit (15 km/h) ohne Halt durchfahren werden mussten, um (in der für die ganze Stadt von Ostberlin aus verwalteten und betriebenen S-Bahn) Westberliner Fahrgäste über Ostberlin wieder nach Westberlin zu befördern. Am Bahnsteig patroullierte die Transportpolizei und wie die diversen (MfS-)Einheiten hießen, natürlich niemals allein, um auch sie nicht in den Tunnels oder auf einem doch anhaltenden Zug in den Westen flüchten zu lassen (einige haben den Weg durch den Tunnel aber trotzdem geschafft, weswegen man später neben und zwischen den Gleisen Holzplanken mit Kontakten anbringen ließ, die bei Fluchtversuchen stillen Alarm gaben; ganz wenige haben es auf der Schiene balancierend dennoch aus der Menschenrechtshölle geschafft). Später traute man auch den Polizisten insgesamt nicht mehr, da errichtete man eigene abgemauerte Bereiche auf den Bahnsteigen, durch die jeweils nur Sehschlitze auf die Bahnsteige angebracht waren. Der einzige Mensch, der in den Geisterbahnhöfen anwesend sein und sich relativ frei (so weit man das so bezeichnen kann) bewegen durfte, war der Stellwerker. Es war sicher ein äußerst einsames Leben, wenn nicht gerade ein Fahrgast eine Zeitung oder ein Päckchen Kaffee aus einem Wagen auf den Bahnsteig warf.

Heute erinnert an diese schreckliche Zeit im Bahnhof eigentlich nur mehr das alte im typischen Grünton gehaltene Abfertigungshäuschen, auf dem man noch den alten Namen der Station in der (im Nationalsozialismus entworfenen und verbreiteten) Schriftart "Tannenberg" (die auch am Foto weiter oben vom Potsdamer Platz zu erkennen ist) lesen kann:

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Nun gut, wir verlassen die Station und schlendern vom Pariser Platz aus die Prachtstraße Unter den Linden hinunter. Der Name kommt nicht von ungefähr: Die Straße wurde als Reit- und Flanierallee angelegt, die äußere Seite für die Reiter und die innere für Promenierende; getrennt von schönen Lindenbäumen. Heute ist nur mehr der innere Teil beschaulich, draußen - auf der ehemaligen Reitallee - brausen im starken Verkehr die Autos vorbei (auch wenn generell in Berlin "starker" Verkehr noch immer weniger Verkehr als bei uns auf einer ähnlich großen Straße bedeutet).

Wer zu faul zum Gehen ist, kann hier auch die Buslinie 100 mit ihren Stockbussen verwenden:

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Bequemerweise fährt auch ein Bus vom Flughafen Tegel hierher, der das Liniensignal TXL trägt:

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Früher wurde Unter den Linden übrigens von einer viergleisigen Ustrab unterquert. Nach Auflassung der Linie(n) wurden irgendwann die Rampen zugeschüttet, der Tunnel selbst könnte aber noch existieren? Vielleicht braucht man's ja noch irgendwann mal ;)

Nach kurzer Zeit gelangt man zur ebenso berühmten Friedrichstraße, die orthogonal zu Unter den Linden verläuft:

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Übrigens scheint auch in Berlin das Haltestellensystem so aufgebaut zu sein, dass jeder Haltestellenname nur einmal vergeben wird/werden kann. Besonders gemerkt habe ich das in der Kantstraße, in der so gut wie alle Haltestellen Kantstraße / ... heißen. Genauso seltsam wie bei uns.

In der Friedrichstraße könnte man nun an Sehenswürdigkeiten entweder zum Checkpoint Charlie abbiegen, der sich unmittelbar an der Haltestelle Kochstraße der U6 befindet:

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Wir gehen aber in die andere Richtung, zum Bahnhof Friedrichstraße:

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Dabei handelt es sich um einen sehr besonderen Bahnhof: Zu Zeiten der DDR war er der einzige auf diesem Gebiet, der nicht als Geisterbahnhof durchfahren wurde, sondern an dem Nah- und Fernreisende ein- bzw. umsteigen durften. Damit dabei kein Bürger unerlaubterweise ein-/ausreisen konnte, wurde ein enormer Aufwand betrieben: Der Bahnhof war in viele verwinkelte Gänge aufgeteilt, in denen die Paßkontrollen vorgenommen wurden. Die Bahnsteige oben waren baulich völlig getrennt. Damit meine ich jetzt nicht nur eine riesige bewachte (Glas-)wand zwischen Fernverkehr und S-Bahn, sondern auch die Schienen waren hier zwischen Ost- und Westlinien durchtrennt und mit Prellböcken gesichert. Fernverkehrszüge in Richtung BRD fuhren durch die gesamte DDR durch und hielten nach der Friedrichstraße erst wieder ab der Staatsgrenze.

Heute ist davon weder unten noch oben irgendwas zu erkennen:

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Nicht nur Züge, sondern die allermeisten Fahrgäste aus der Richtung am Foto hatten hier für Jahrzehnte absolute Endstation:

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Später wurde der Platz im unteren Bahnhofsbereich für den Andrang an ein- und ausreisewilligen zu eng und man errichtete einen Zubau, in den die Paßkontrolle ausgelagert wurde und der mit dem Bahnhof durch einen sicheren unterirdischen Tunnel verbunden war. Hier spielten sich oft herzzerreißende Szenen ab, daher bekam der Zubau bei den Berlinern den Namen "Tränenpalast". Von diesem habe ich leider kein besseres Foto, da er derzeit vollkommen saniert wird. Aber allein die Aufschrift lässt einem den Schauer über den Rücken rennen:

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Vom Bahnhof Friedrichstraße in Richtung Museumsinsel habe ich schon einmal bei der Tramway abgedrückt, warum dann nicht auch bei einem vorbeikommenden Bus:

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Auf der Museumsinsel fährt die S-Bahn übrigens in Richtung Alexanderplatz mitten durch die Museen durch. Mit dem richtigen Standpunkt, den ich nicht wirklich gefunden habe, wären da sicher eindrucksvolle Motive möglich:

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Wenn man dieses Ufer entlanggeht, kommt man wieder zurück zu Unter den Linden, aber auf der anderen Seite der Straße mit dem Dom, der Humboldt-Universität, der Neuen Wache etc. Hier erwartet uns auch schon ein 200er auf seinem Weg zum Bahnhof Zoo:

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Auf der anderen Seite etwas später vor den Grundmauern des Palasts der Republik, der von der DDR-Führung unter Benutzung von Asbest gebaut wurde, nachdem bereits einige Jahre bekannt war, welche Gefahr dieser Baustoff darstellt. Das Gebäude wurde inzwischen abgerissen, um das alte Stadtschloss in der einen oder anderen Form wieder aufzubauen:

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Da die Linien 100 und 200 ein besonders hohes Verkehrsaufkommen, hauptsächlich durch Touristen haben, verkehren sie in eher chaotischen Intervallen:

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Ansonsten darf man aber durchaus die preußische Pünktlichkeit strapazieren, um die BVG zu beschreiben!

So, abschließend habe ich nur noch einige wenige Bilder, die ich in einen zweiten Beitrag verfrachte. Ich weiß, der Text ist diesmal sehr (über-)ausführlich geworden, aber Berlin ist eine faszinierende Stadt, nicht zuletzt wegen ihrer Teilung und, im besonderen, was diese für das Verkehrsnetz bedeutete.
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Re: [DE] Berlin
« Antwort #1 am: 14. August 2011, 21:39:32 »
So, ich mach's kurz mit einigen weiteren Impressionen.

Am Alexanderplatz bei der U2:

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Wegen Bauarbeiten(?) verkehrt derzeit anstelle der U1 und U2 zusätzlich eine neue Linie U12:

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Wer sich über die frühere Haltestelle "Betriebsausweiche" am Wiener 31er lustig gemacht hat, der wird schön schauen, dass es in Berlin einen U-Bahnhof "Gleisdreieck" gibt :)

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Die Anzeigen funktionierten stets völlig verlässlich. Nach einiger Zeit gewöhnt man sich daran, dass man das glauben darf, was draufsteht, und dass dieses noch dazu aussagekräftig und informativ ist :D Wenn man's trotzdem nicht versteht, kein Problem: Die Durchsagen gibt es auch in schön gesprochenem Englisch.

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Und schließlich am S- (und U-)Bahnhof Zoo. Ehemals berüchtigt für seine Szene, ist heute davon kaum noch etwas erkennbar außer ein paar Obdachloser, die ihr erschnorrtes Geld für eine Currywurst und eine "Molle" ausgeben:

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Linie 58

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #2 am: 15. August 2011, 00:48:34 »
Sehr nette Impressionen!  :)

Und schließlich am S- (und U-)Bahnhof Zoo. Ehemals berüchtigt für seine Szene, ist heute davon kaum noch etwas erkennbar außer ein paar Obdachloser, die ihr erschnorrtes Geld für eine Currywurst und eine "Molle" ausgeben:

Als ich letzten Mai dort war, hat der Bahnhofsvorplatz allerdings schon einen etwas unguten Eindruck hinterlassen...

Auf der Museumsinsel fährt die S-Bahn übrigens in Richtung Alexanderplatz mitten durch die Museen durch. Mit dem richtigen Standpunkt, den ich nicht wirklich gefunden habe, wären da sicher eindrucksvolle Motive möglich:

Das folgende Motiv, gemeinsam mit dem Alex, hab' ich gefunden. Hatte allerdings auch nicht viel Zeit aufgrund zweier eher weniger ÖPNV-interessierter Mitreisender:  :D

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #3 am: 15. August 2011, 01:20:11 »
Als ich letzten Mai dort war, hat der Bahnhofsvorplatz allerdings schon einen etwas unguten Eindruck hinterlassen...
Geht wahrscheinlich etwas bergab mit dem Zoo seitdem der Hauptbahnhof da ist.
Ich verstehe das Konzept dahinter nicht und bin generell dagegen.

13er

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #4 am: 15. August 2011, 01:48:04 »
Als ich letzten Mai dort war, hat der Bahnhofsvorplatz allerdings schon einen etwas unguten Eindruck hinterlassen...
Geht wahrscheinlich etwas bergab mit dem Zoo seitdem der Hauptbahnhof da ist.
Angeblich geht's sogar bergauf mit dem Zoo, genau deswegen! :) Ich kann's aber schwer beurteilen, ich habe schon von meiner letzten Reise 1994 keinen so schlechten Eindruck vom Bahnhof Zoo (obwohl ich davor natürlich schon die Kinder desselben gekannt habe und mir das Schlimmste erwartete). Sicher ist der Hardenbergplatz nach wie vor kein Hort der Freundlichkeit und Wärme, aber da fallen mir viele Haltestellen in Wien ein, wo es schlimmer aussieht. Der Praterstern vor dem Umbau war mindestens so abgef*ckt. Mindestens.

Edit: Ja, die Perspektive ist schön, merk ich mir fürs nächste Mal! :)
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moszkva tér

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #5 am: 15. August 2011, 08:19:06 »
Ihr denkt beim Bahnhof Zoo nur an das Schlimmste.  ;)
Mir fällt nur ein ausgezeichnetes Kinderbuch ein, dass als Thema hat, dass Emil nicht beim Bahnhof Zoo, sondern Friedrichstraße aussteigen muss. Natürlich hält er sich nicht dran, aus nachvollziehbaren Gründen, und dann macht er auch noch mit seinen neuen Freunden, den Detektiven, am Nollendorfplatz einen Langfinger dingfest.  :)

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #6 am: 15. August 2011, 20:33:47 »
Hier gibt es übrigens eine gute Dokumentation über die Berliner S-Bahn, die ja lange vom Westen boykottiert wurde:

www.1961-1989.de | Die Berliner S Bahn - Ein Ost West Problem - Doku in 3 Teilen von 1982 - Teil 1
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Re: [DE] Berlin
« Antwort #7 am: 15. August 2011, 21:41:07 »
Wer sich über die frühere Haltestelle "Betriebsausweiche" am Wiener 31er lustig gemacht hat, der wird schön schauen, dass es in Berlin einen U-Bahnhof "Gleisdreieck" gibt :)
Die BVG haben mit ihren seltsam klingenden Haltestellennamen ein gutes Geschäft gemacht: Sie verkauften Unterwäsche mit entsprechendem Aufdruck: So gab es beispielsweise Damenunterwäsche "Gleisdreieck" oder Herrenunterwäsche "Rohrdamm".
Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen!
... brrrr, Klumpert!
Entklumpertung des Referats West am 02.02.2024 um 19.45 Uhr planmäßig abgeschlossen!

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #8 am: 15. August 2011, 21:54:47 »
Die BVG haben mit ihren seltsam klingenden Haltestellennamen ein gutes Geschäft gemacht: Sie verkauften Unterwäsche mit entsprechendem Aufdruck: So gab es beispielsweise Damenunterwäsche "Gleisdreieck" oder Herrenunterwäsche "Rohrdamm".
Ich würde ja ein Kopfbekleidungsgeschäft aufmachen und es "Onkel Toms Hüte" nennen :D
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MK

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #9 am: 17. August 2011, 00:42:47 »
Danke für die Bilder, allerdings möchte ich zum Thema "ÖV im geteilten Berlin" einige Korrekturen/zusätzliche Informationen anbringen.

Bahnhof Friedrichstraße
Der Bahnhof Friedrichstraße lag zwar im Ostsektor, wurde aber nach dem Mauerbau in zwei Teile geteilt. Es gab den "Westteil", den man nur vom Westen aus erreichen konnte und in dem man sich im Wesentlichen frei bewegen konnte, und den "Ostteil", den man nur vom Osten aus erreichen konnte. Zwischen den beiden Teilen lag u.a. der erwähnte Tränenpalast, der zur Ausreise aus der DDR diente.

Fahrkarten konnte man in beiden Teilen kaufen: im Westteil gegen Westgeld und im Ostteil gegen Ostgeld. Die im Westteil gegen Westgeld verkauften NV-Fahrkarten waren allerdings keine "normalen" West-BVG-Fahrkarten, sondern wurden von der Ost-BVG ausgegeben und nur in der West-S-Bahn und in der West-U-Bahn anerkannt, nicht aber in den West-Bussen. (Dies war nur für Bürger der Bundesrepublik relevant, DDR-Bürger hatten in West-Berlin Freifahrt.) Umgekehrt wurden die gegen Ostgeld verkauften Fahrkarten natürlich nur von der Ost-BVG anerkannt.

Eisenbahnfahrkarten wiederum waren zwar grundsätzlich überall gültig, allerdings gab es einige Zeit lang die Bestimmung, dass nur DDR-Bürger Fahrkarten ins nichtsozialistische Ausland gegen Ostgeld kaufen durften.

Im Westteil verkaufte die DDR nicht nur Fahrkarten, sondern auch Zigaretten und Alkoholika gegen Westgeld, um einiges billiger als im Westen, da sie keine Steuern oder Zoll zahlen musste - eine schöne Deviseneinnahmequelle für die DDR. Die Einfuhr nach West-Berlin war allerdings verboten und es gab stichprobenartige Zollkontrollen in den Zügen in West-Berlin.

U-Bahn
Die U-Bahn fuhr auch noch nach der Spaltung der BVG in die BVG-West und die BVG-Ost 1949 unverändert weiter; die Mehrheit der Linien wurden zu BVG-West-Linien, die mit Westzügen und Westpersonal auch im Ostsektor fuhren. Dazu gab es noch eine BVG-Ost-Linie und eine gemeinsam betriebene Linie. Aufgeteilt wurde auch das Streckennetz (ungefähr nach Sektorengrenzen) und die Stromversorgung (recht unabhängig von den Sektorengrenzen, abhängig von den bestehenden Stromleitungen).

Der Fahrgast merkte davon nichts; er konnte mit Westfahrscheinen, die er um Westgeld gekauft hatte, auch im Ostsektor fahren; umgekehrt konnte man mit Ostfahrscheinen in den Westsektoren fahren. Der Betrag der Tarife war zu Beginn gleich (allerdings bei Kauf in den Westsektoren in Westgeld und bei Kauf in den Ostsektoren in Ostgeld zu zahlen).

Nach dem Mauerbau wurde zunächst der Betrieb beidseitig unterbrochen, d.h. es wurde jeweils zur letzten Wendemöglichkeit im jeweiligen Sektor gefahren. Im Westen war man darauf vorbereitet: als beim Aufstand 1953 die DDR bzw. die Sowjetarmee alle U-Bahn-Linien an der Sektorengrenze unterbrach,  konnte die BVG-West manche Stationen gar nicht mehr bedienen, weil Wendeanlagen fehlten. Daher baute man aus Sicherheitsgründen an jedem Grenzbahnhof eine Wendeanlage, die nun genutzt wurden.

Einen Tag später begann dann der Transitbetrieb: zwei Linien, die im Westen begannen und endeten, aber durch den Osten fuhren, hielten bis auf den Bahnhof Friedrichstraße nicht mehr im Osten. Die Netze waren jetzt endgültig getrennt; es gab das Westnetz mit Transitstrecken durch den Osten, das Ostnetz und keine Gleisverbindungen zwischen den Netzen.

Dabei gab es einen Streit zwischen BVG-West und der DDR. Die BVG-West erkannte nämlich die DDR und die Schließung der U-Bahnhöfe nicht an und wollte weiter auf den "Geisterbahnhöfen" halten (gegebenenfalls auch nur symbolisch). Die DDR verlangte umgekehrt ein Durchfahren ohne Geschwindigkeitsreduktion; schließlich wurde vereinbart, dass die Züge mit 15 km/h, später mit 25 km/h durch die Bahnhöfe fahren.

Die Geisterbahnhöfe waren in den Westplänen zunächst weiter verzeichnet (man erkannte die Schließung ja nicht an), in der DDR waren sie nicht existent (man mauerte z.B. die Eingänge zu). So kam es zu der Kuriosität, dass der Bahnhof "Walter-Ulbricht-Stadion" 1973 in "Stadion der Weltjugend" unbenannt wurde - und man diese Änderung ausschließlich in westlichen Plänen sah.

Übrigens gab es außer den Kontaktplatten noch eine weitere, sehr perfide Art der Sicherung: drei übereinander angeordnete Lichtschranken. Ein Zug löste stets alle drei Lichtschranken zur selben Zeit aus, ein Mensch hätte allerdings entweder nicht alle oder alle, aber zu unterschiedlichen Zeiten ausgelöst. Trotzdem gelang mindestens einem Techniker gemeinsam mit seiner Familie die Flucht (er nutzte einen Betriebstunnel, in dem keine Lichtschranken waren, und legte das letzte Stück in den Westen in einem Zug zurück, den er zuvor durch Signalmanipulation angehalten hatte).

Der Transitbetrieb blieb im Wesentlichen ohne Änderungen bis zum Mauerfall bestehen.

S-Bahn
Bei der S-Bahn stellte sich die Situation etwas anders dar: hier hatte nämlich kurz nach Kriegsende die "Deutsche Reichsbahn" die Betriebsrechte für (Gesamt-)Berlin erhalten. Das ist auch der Grund, warum die DDR-Staatsbahn den Namen "Deutsche Reichsbahn" übernahm, obwohl man ansonsten alle "Reichs"-Bezeichnungen entfernte.

Das heißt, dass die S-Bahn im gesamten Berlin unter DDR-Regie fuhr und ein gemeinsames Netz betrieben wurde. Zu zahlen war für Weststreckenabschnitte in Westgeld, für Oststreckenabschnitte in Ostgeld.

Mit dem Mauerbau kam es auch hier zur Streckenunterbrechung und zur Einrichtung von Transitstrecken mit dazugehörigen Geisterbahnhöfen, durch die die S-Bahn im Gegensatz zur U-Bahn mit unverminderter Geschwindigkeit fuhr. West- und Ostnetz waren zwar linienmäßig getrennt, allerdings gab es im Bahnhof Friedrichstraße noch eine Gleisverbindung.

Nach dem Mauerbau begann der S-Bahn-Boykott in West-Berlin (mehr dazu im von 13er eingebetteten Video). Nicht in der Doku (da 1982 entstanden) erwähnt ist, dass 1984 die Betriebsrechte der West-Berliner S-Bahn an die BVG-West übergingen. Allerdings wurde zum Teil weiter mit DR-Personal gefahren. Nach dem Mauerbau blieb bis Ende 1993 der gemeinsame Betrieb der Berliner S-Bahn von BVG und DR erhalten (jetzt natürlich mit grenzüberschreitenden Linien), danach ging das gesamte Netz an die DB.

Fernzüge (Transitzüge)
Auch die Fernzüge wurden in West-Berlin von der DR betrieben. Durch West-Berlin fuhren ausschließlich Transitzüge, also Züge, die die Relation Bundesrepublik - West-Berlin befuhren. Diese (D-)Züge hielten in der Bundesrepublik "normal", also nur an wichtigen Bahnhöfen, dann am letzten Bahnhof im Westen, am ersten Bahnhof im Osten, (ggf. an Bahnhöfen im Osten zum Lokwechsel), am letzten Bahnhof vor West-Berlin, in West-Berlin am Bahnhof Zoo (später auch in Spandau und Wannsee) und endeten im Westteil des Bahnhofs Friedrichstraße. Teilweise fuhren die Züge danach als normale Züge weiter zum Ostbahnhof und ins Ausland (es gab z.B. einen Zug Paris - Moskau, der über Berlin fuhr und gleichzeitig Transitzug Bundesrepublik - West-Berlin war).

Grundsätzlich galt, dass man bei solchen Zügen im Osten nicht ein- oder aussteigen durfte. Allerdings gab es immer wieder (auch kurzlebige) Ausnahmen, z.B. durften bei manchen Grenzübergängen manchmal Bürger der Bundesrepublik auf Besuchsreise am ersten Bahnhof im Osten aussteigen, oder DDR-Bürger, denen die Ausreise genehmigt wurde, am letzten Bahnhof im Osten einsteigen. Die DDR-Transportpolizisten fuhren nur zwischen dem ersten und dem letzten Bahnhof im Osten mit.

Es gab zwei Phasen bei den Transitzügen:
- Zwischen 1961 und 1972 (Inkrafttreten des Transitabkommens) wurden die Fahrgäste und ihr Gepäck sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausreise genauestens gefilzt; es wurde alles beschlagnahmt, was in der DDR verboten war (wie etwa westliche Zeitungen) und DDR-Flüchtlinge wurden verhaftet. Zusätzlich musste eine Gebühr für den Transit bezahlt werden.
- Ab 1972 wurde nur eine Passkontrolle im fahrenden Zug vorgenommen, es gab beim Gepäck keine Beschränkungen. Auch Verhaftungen durften nur in Ausnahmefällen (z.B. bei Fluchthelfern oder Deserteuren) vorgenommen werden; die Transitgebühr wurde durch eine Pauschalzahlung der Bundesrepublik abgegolten.

Trotz des Namens konnte man die Transitzüge auch zur Ein- oder Ausreise in bzw. aus der DDR nutzen, indem man am Bahnhof Friedrichstraße die Grenzkontrollen durchlief.

Auch wenn dieses Posting etwas länger geraten ist, vielleicht interessiert ja den einen oder anderen dieser kleine Einblick in den öffentlichen Verkehr des geteilten Berlins.
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Re: [DE] Berlin
« Antwort #10 am: 17. August 2011, 00:53:45 »
Jössas, den jungen Herrn kenn ich ja ;) Das ist mir aber eine große Freude, willkommen im Forum! :)

Auch wenn dieses Posting etwas länger geraten ist, vielleicht interessiert ja den einen oder anderen dieser kleine Einblick in den öffentlichen Verkehr des geteilten Berlins.
Sehr interessant, vielen Dank! :up: Ich hab mein Wissen hauptsächlich aus verschiedenen Webseiten und dem Buch "Geisterbahnhöfe - Westlinien unter Ostberlin" zusammengetragen, aber alles merkt man sich auf einmal auch nicht...
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Re: [DE] Berlin
« Antwort #11 am: 17. August 2011, 16:17:37 »
DDR-Bürger hatten in West-Berlin Freifahrt

Weißt du auch warum das so war?
Danke für das informative Posting!
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Re: [DE] Berlin
« Antwort #12 am: 17. August 2011, 16:19:35 »
DDR-Bürger hatten in West-Berlin Freifahrt

Weißt du auch warum das so war?

Solidarität mit dem Nachbar in Not? Oder eine Art Kuhhandel für Entgegenkommen der DDR im Transitverkehr? Reine Vermutungen meinerseits.

Linie 41

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #13 am: 17. August 2011, 16:21:03 »
Weißt du auch warum das so war?
Höchstwahrscheinlich um ihnen zu zeigen, daß sie willkommen sind und daß im Westen alles besser ist. ;) Berlin war ein ziemliches Propagandaschlachtfeld beider Seiten.
Ich verstehe das Konzept dahinter nicht und bin generell dagegen.

MK

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Re: [DE] Berlin
« Antwort #14 am: 17. August 2011, 17:19:53 »
Jössas, den jungen Herrn kenn ich ja ;) Das ist mir aber eine große Freude, willkommen im Forum! :)

Danke!

Zitat
Sehr interessant, vielen Dank! :up: Ich hab mein Wissen hauptsächlich aus verschiedenen Webseiten und dem Buch "Geisterbahnhöfe - Westlinien unter Ostberlin" zusammengetragen, aber alles merkt man sich auf einmal auch nicht...

Das Buch kenne ich gar nicht - ist es empfehlenswert?

Übrigens würde ich mich gerade beim Thema DDR-Grenzregime nicht zu sehr auf Internetseiten oder Bücher verlassen - zu oft änderte die DDR (natürlich ohne offizielle Ankündigung) plötzlich ihre Praxis, und oft findet man in solchen Quellen nur eine Momentaufnahme. Mit Hilfe von Zeitzeugenberichten (die hier meist sehr zuverlässig sind - wer aus der DDR ausgereist ist, erinnert sich an den Tag bis ins letzte Detail ...) kann man immerhin eine ungefähre Datierung der verschiedenen Regelungen und Handhabungen vornehmen. So gab es z.B. verschiedene Regelungen, wer über den Bahnhof Friedrichstraße in den Westen ausreisen durfte, was allerdings ausschließlich über die Wegevorschrift auf dem Ausreisevisum bestimmt wurde.

DDR-Bürger hatten in West-Berlin Freifahrt

Weißt du auch warum das so war?

Solidarität mit dem Nachbar in Not?

So ungefähr. Die Mark der DDR war eine Binnenwährung und durfte nicht ausgeführt werden (bzw.: DDR-Bürger durften DDR-Mark bis zu einer bestimmten Obergrenze mitnehmen, aber mussten genau die Summe, die sie ausgeführt hatten, auch wieder einführen). Für Westreisen durften DDR-Bürger in der DDR eine kleine Menge Ostmark gegen Westmark tauschen - die Betonung liegt auf "kleine Menge". Daher gab es einerseits das Begrüßungsgeld (direkte Auszahlung von Westgeld) und andererseits zahlreiche Vergünstigungen von öffentlicher wie privater Seite. So konnte man als DDR-Bürger in West-Berlin nicht nur gratis ÖV fahren (ausgenommen S-Bahn bis 1984), sondern musste auch bei Museen, Schwimmbäder und beim Zoologischen Garten keinen Eintritt bezahlen, und so mancher Kneipenwirt spendierte gegen Vorzeigen eines DDR-Ausweises ein Freibier.

Zitat
Oder eine Art Kuhhandel für Entgegenkommen der DDR im Transitverkehr?

Nein, der DDR war egal, was ihre Bürger "drüben" im NV zahlen mussten. Die Gegenleistung der Bundesrepublik für das Transitabkommen war hartes Westgeld (Transitpauschale plus Infrastrukturmaßnahmen auf den Transitstrecken).
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