Wenn ich solche Pläne sehe, frage ich mich immer: Wie würden die entsprechenden Stadtviertel heute aussehen, wenn die damaligen Planungen realisiert worden wären? Dazu versuche ich mir dann auch immer eine zweite Variante vorzustellen unter der Annahme, Wien hätte das Teilungsschicksal Berlins erlitten und die Grätzln wären 40 Jahre lang unter realsozialistischer Verwahrlosung, äh, Verwaltung gestanden.
Man muss eigentlich von großem Glück reden, dass Wien in den 40 Jahren nach dem Krieg geschrumpft ist. Dadurch war der Nutzungs- und Bebauungsdruck auf einige stadtnahe Juwele sehr gering. Unter dem heutigen Wachstum wären hochwertige, gemeinnützige Einrichtungen wie die Donauinsel oder der Uni-Campus kaum mehr möglich.
Wäre Wien nach 1918 weiter gewachsen, wären wohl auch die innerstädtischen Naherholungsgebiete wie Prater, Alte Donau, Wienerwald weitgehend verbaut und/oder privatisiert worden. Auf der Gänsehäufel-Insel wäre wohl statt einem städtischen Strandbad eine super-luxuriöse Wohnsiedlung mit Golfplatz und privatem Badestrand entstanden.
In der Vergangenheit hat es ja viele interessante / schwachsinnige Infrastrukturprojekte gegeben, bei denen man froh sein kann, dass sie nicht gekommen sind:
* Hauptbahnhof samt Zulaufstrecken auf der Donauinsel
* Ein umfassendes Netz an Stadtautobahnen
* Allwegbahn
Zum Teilungsschicksal Wiens: So viel Unterschied zur Realität wäre kaum gewesen. Auch in Wien waren zahlreiche Stadtviertel dem 40-jährigen Verfall preisgegeben. Die Stadterneuerung hat erst in den 1970er-Jahren begonnen (Spittelberg), vorher wollte man diese Gegenden am liebsten wegräumen und neu bebauen. Die großflächige Instandsetzung und Aufwertung von ganzen Gründerzeitvierteln ist überhaupt erst ein Trend des neuen Jahrtausends (Brunnenmarkt-Yppenmarkt, Karmeliterviertel, Gürtel-West usw.)