Der wahre Frevel im Bezug auf die Stadtentwicklung ist aber, dass der Gleisbereich des Westbahnhofs nicht schon längst zumindest teilweise überplattet (zumindest entlang der Felberstraße bis an die Gleise heran) und bebaut wurde. Damit könnte man nicht nur die Gegend aufwerten, man hätte auch ein Stadtentwicklungsgebiet, das mitten in der gewachsenen Stadt liegt und sich dort gut einfügen könnte.
Überplattungen von Gleisbereichen mögen in bunten Plänen mit wagen Strichen und Formen schön sein, in der Realität sind sie meist aber eher wenig einladend. Am Westbahnhof wäre das Hauptproblem solcher Konstruktionen, nämlich der Höhenunterschied für den Fußgänger und die nie logische und selten einladende Mehrebenenheit solcher Orte zwar durch die eh schon höherliegende Felberstraße ein wenig abgefedert, aber wirklich attraktiv ist soetwas selten, trotz sorgfältiger städtebaulicher, stadtplanerischer und funktionaler sowie architektonischer Gestaltung. Dass solche Überplattungen in den meisten Fällen schiefgehen, sieht man sowohl in Wien (Franz-Josefs-Bahnhof) als auch anderswo (Lyon Perrache). Und dass ein Gleisfeld mitten in der Stadt nicht unbedingt unattraktiv ist, zeigt der Zürcher Hauptbahnhof. Dort hat man sich zum Glück gegen das Wahnsinnsprojekt der Überplattung (Eurogate) entschieden.
Besser wäre es wohl, mit der Bebauung näher an die Gleise zu rücken. So könnte man einen schöne städtebauliche Kante zum Bahnhof und Gleisfeld hin entwickeln, wie es auf der Südseite (ehemalige Posthalle) schon einigermaßen gelungen gemacht wurde.
Wobei der eigentliche städtebauliche Frevel bei der Verbauung der Flächen rund um den Westbahnhof begangen wurde. Die einst monumentale Wirkung des Bahnhofs ging damals verloren. Die denkmalgeschützte Halle wirkt heute wie ein Turnsaal. Das blaue Haus wird von dem unförmigen und überproportionierten Neubau davor vollkommen erschlagen. Schade dass er nicht mit abgerissen wird...
Aus städtebaulicher Sicht finde ich, dass die Neubauten links und rechts vom Bahnhof grundsätzlich die monumentale Wirkung des Bahnhof selbst unterstützen. Ich sehe es dabei aus der Fußgängerperspektive, wenn man Richtung Bahnhof geht: Durch den Mischmasch der stadtgestalterischen Nicht-Maßnahmen (Gürtelfahrbahnen, Baumpflanzungen, U-Bahn-Abgang inkl. Straßenbahnstation) war der Westbahnhof von Osten bzw. der Mariahilfer Straße her kommend schon länger seiner Wirkung beraubt. Die Neubauten bringen diesen "Leuchtturmeffekt" wieder, man sieht wieder ein Ziel. Wenn man direkt vor der Halle steht (weil von weiter weg sieht man sie eh nicht mehr wirklich), beeinträchtigen die doch eher luftigen Zubauten die Wirkung des Bahnhofs auch nicht so immens, wie es aus der architekturfixierten Vogelperspektive scheint.
Das Problem mit den Zubauten ist allerdings deren Ästethik. Ich habe selten solch billig wirkende Architektur an so einem städtebaulich wichtigen Punkt gesehen. Das kennt man normal nur den amerikanischen Hotelketten Intercontinental, Marriot und Hilton, die wohl einen Wettbewerb führen, wer sich unverschämter in europäische Zentren pflanzen kann.
Mit der Umgestaltung der Westbahnhofs zu einem regionalen Bahnhof wären eigentlich 60% der ehemaligen Bahnanlagen entbehrlich und hätten ähnlich wie Süd/Ostbahnhof- und Nordbahnhofgelände großzügig neu gestaltet werden können.
Das ursprünglich von den ÖBB in ihrerer Verwertungsgeilheit gedachte Reduzierungskonzept für die Bahnanlagen in Wien ist unter anderem wegen des privaten Mitbewerbs als auch der deutlich über den Erwartungen gestiegenen Nachfrage nach Verkehrsleistungen in Wien und seinem Umland nicht mehr wirklich durchführbar. Derzeit ist eine Beibehaltung aller Bahnsteigkanten vorgesehen und eine Reduktion der Kapazitäten um 60% undenkbar.
Von demher war es gut, dass die Flächen nicht sofort großzügig neu gestaltet worden sind.