Ich habe hingegen den Eindruck, dass Klingelfee durchaus eine Ahnung hat, wie gewisse Prozesse ablaufen. Er hat zum Beispiel Studien von Raumplamungsstudenten erwähnt. Ich bezweifle, dass diese von den Wiener Linien oder einer anderen Planungsstelle der Gemeinde herangezogen werden. Auf politischer Ebene sieht es unter Umständen ganz anders aus...
Bei meinem Studium der Architektur und Raumplanung an der Universität Rom habe ich in den 1980ern eine umfassende Studie zum öffentlichen Verkehr in Rom verfasst. Kernstück war damals die Nutzung der Bahnstrecken in der Stadt für die innerstädtische Mobilität - hauptsächlich in der Form von Durchbindung bestehnder Pendlerstrecken über eine vorhandene Verbindungsbahn, die jedoch nur der Überstellung von Leerzügen und dem Güterverkehr diente, so wie die Integration der Tarife der verschiedenen Verkehrmittel. Damals gab es 8 verschiedene Fahrausweise für U-Bahn, Straßenbahn und Bus, Eisenbahnlinien (nur mit Kilometertarif) und 3 verschiedene Lokalbahnen, wodurch ein Zusammenspiel der Verkehrsträger fast nicht möglich war. Jede Verwaltung hatte ihre eigenen Entwicklungspläne, die Staatsbahn war am Stadtverkehr desinteressiert, die U-Bahnplanung war fast ausschliesslich in der Hand der Bauindustrie (!) und in der Gemeinde war man vielfach davon überzeugt, dass man den öffentlichen Verkehr einer 3-Millionen-Metropole mit Autobussen bewältigen konnte...
Für meine Studie hatte damals der öffentliche Verkehr in Wien Modell gestanden - einerseits die Schnellbahn (Stammstrecke), die ich ja von klein auf kannte, andereseits der damals noch recht neue Verkehrsverbund Ostregion und damit das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Vektoren. Jetzt musste ich das ganze nur noch auf die Umstände in Rom übertragen und fertig war die Studie! Parallel dazu war ich als Student auch politisch im links-grünen Lager aktiv, so dass ich aus der Studie ein politisches Manifest unter dem Titel "Un piano di Ferro" (Ein eiserner Plan) verfasste. Als dann in den 1990ern einer aus unseren Reihen (Francesco Rutelli) zum Bürgermeister von Rom gewählt wurde, hat er viele der im Manifest dargelegten Ideen übernommen und die "Cura di Ferro" (Eiserne Kur) für Rom in die Wege geleitet. Seither haben wir in Rom einen Verkehrsverbund (metrebus - setzt sich aus metro-treno-bus zusammen) und einige durchgebundene S-Bahnlinien, die ich in meiner Studie vorgeschlagen habe. Mein Nickname fr3 bezieht sich auf so eine Linie (früher fm3, heute FL3). Wer also heute mit der S-Bahn in Rom fährt, sollte daran denken dass darin ein Stück Wien steckt.
Erst später habe ich langsam zu verstehen gelernt, wie komplex eigentlich solche Planungs- und Entscheidungsprozesse sind und wie viele verschiedene Akteure daran beteiligt sind (oder eben dagegen arbeiten). Heute muss ich sagen, dass es geradezu an ein Wunder grenzt wenn am Ende dennoch etwas brauchbares herauskommt (oder überhaupt etwas geschieht).
2012 standen wieder einmal Wahlen in Rom an. Damals habe ich nochmals ein Programm zum Thema ÖV für einen Bürgermeisterkandidaten der Linken (Luigi Nieri) verfasst. Er hat sich dann zu Gunsten des - später gewählten - Kandidaten (Ignazio Marino) der Demokraten zurückgezogen. Dieses Manifest befasste sich wieder mit einer Aufwertung der mittlerweile existierenden S-Bahn-Linien, aber hauptsächlich mit einer Renaissance des Straßenbahnnetzes. 13 Jahre später ist diese in vollem Gang. Dieses Manifest
gibt es sogar noch im Internet, ebenso wie die Diskussion dazu auf
Skyscrapercity. Ist natürlich alles auf Italienisch, aber mit google translate wahrscheinlich lesbar.
Zur Zeit arbeite ich an einem Verkehrskonzept für Viterbo, eine Stadt nördlich von Rom - etwa so groß wie St. Pölten. Auch hier ohne Auftrag, aber im Rahmen eines
Sustainable Urban Mobility Plan gemeinsam mit einer Gruppe von Fachleuten. Auch dazu gibt es eine
Webseite. Die Stadtverwaltung hat uns schon zur Mitarbeit eingeladen. Bin neugierig was dabei herauskommen wird...